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Jogginghosen-Verbot an Schule sorgt für Ärger

Dürfen Schüler vom Unterricht ausgeschlossen werden, weil sie Jogginghosen tragen? Nein, sagen renommierte Rechtswissenschaftler zu dem Fall in Wermelskirchen.

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Ein Jogginghosen-Verbot an einer Schule in Nordrhein-Westfalen schlägt hohe Wellen.
Ein Jogginghosen-Verbot an einer Schule in Nordrhein-Westfalen schlägt hohe Wellen. © dpa

Wermelskirchen. Das von der Sekundarschule Wermelskirchen ausgesprochene Jogginghosen-Verbot für Schüler ist nach Ansicht von Rechtswissenschaftlern rechtlich nicht haltbar. "Es gibt keine Grundlage für ein individuelles Verbot. Die Rechtslage ist ziemlich eindeutig", sagte Professor Hinnerk Wissmann, Hochschullehrer von der Uni Münster.

Das nordrhein-westfälische Schulgesetz lasse in der Sache wenig Spielraum. "Die Schulkonferenz kann in Fragen der Kleiderordnung eine Empfehlung aussprechen, mehr aber auch nicht." Entsprechend könne das Tragen einer Jogginghose nicht als Pflichtverstoß gewertet werden, der einen Ausschluss vom Unterricht rechtfertigt. Damit werde das Recht auf Bildung unterlaufen, sagte Wissmann.

Die Schule könne zwar im Einzelfall Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen gegen Schüler verhängen. Dafür müsste aber ein Pflichtverstoß vorliegen, den das bloße Tragen einer Jogginghose nicht darstelle. "Da müsste schon noch mehr dazu kommen", sagte Wissmann, der das Land NRW in Fragen des Schulrechts beraten hat.

Wenn ein Gespräch mit der Schulleitung nicht fruchte und eine Eingabe beim Schulamt auch nicht, könnten Betroffene gegen den Ausschluss vom Unterricht Rechtsschutz bei den Verwaltungsgerichten suchen.

Abkehr von der Jogginghose sei wichtig - für späteres Leben

Ähnlich äußerte sich Professor Markus Ogorek von der Uni Köln: "Eine Empfehlung kann schon dem Wortsinne nach keine Verpflichtung sein." Der Ausschluss von mit Sporthosen bekleideten Schülern dürfte daher rechtlich nicht gedeckt sein: "Wer Sanktionen aus dem Nichtbefolgen einer Empfehlung ziehen will, verkennt schlichtweg deren mangelnde Bindewirkung", so der Rechtswissenschaftler.

Angesichts der bewussten Festlegung des Gesetzgebers bestehe zudem kein Raum, über Konstruktionen wie einer Gefährdung des Schulfriedens eine Verpflichtung doch noch pauschal durchzusetzen, erklärte Ogorek.

Die Leitung einer Sekundarschule in Wermelskirchen hatte Schüler in Jogginghosen zum Umziehen nach Hause geschickt. Dies hatte unter Schülern und Eltern für Ärger gesorgt. "Trotz Kritik in den Medien" wolle man die Kleiderordnung aufrechterhalten, hatte die Schule mitgeteilt. "Wir möchten unsere Schüler:innen dazu animieren, Kleidung zu tragen, die nicht zum "Chillen" verleitet." Für die Vorbereitung auf das Berufsleben sei eine Abkehr von der Jogginghose wichtig.

Wie die Bezirksregierung Köln auf Nachfrage mitteilte, haben sich laut Auskunft der Schule sechs Eltern von betroffenen Schülern beschwert, weil diese nach Hause geschickt wurden, um sich umzuziehen.

Die Deutsche-Knigge-Gesellschaft unterstützt ein Jogginghosen-Verbot in Schulen. "Jogginghosen sind, wie der Name schon sagt, Funktionskleidungsstücke, die zum Sport oder für die Entspannungsphase danach getragen werden", sagte eine Sprecherin. "Sportler tragen auf dem Sportplatz ihr Trikot als Arbeitsuniform und nach getaner Arbeit die Jogginghose in ihrer Freizeit. Schulzeit ist Arbeitszeit, daher hat die Jogginghose dort keinen Platz."

Knigge: Bequemlichkeit hat sich eingestellt

Eine neue Bequemlichkeit, die sich durch Zeiten des Homeoffice eingeschlichen habe, will die Deutsche-Knigge-Gesellschaft nicht auf die Außenwelt übertragen sehen: "Mit dem Arbeiten von Zuhause hat sich bei vielen eine gewisse Nachlässigkeit und Bequemlichkeit eingestellt, die außerhalb der eigenen vier Wände nicht funktioniert", sagte die Sprecherin.

Arbeitskleidung, Uniformen und Dresscodes seien sozial gewachsen. "Mit der Kleidung wird eine bestimmte Aufgabe, Autorität oder Zugehörigkeit ausgedrückt. Aus diesem Erfahrungsschatz heraus lässt sich die Jogginghose im Alltag nicht beziehungsweise nicht zu einer wertvollen Aufgabe zuordnen und stößt auf Widerstände."

Die Deutsche-Knigge-Gesellschaft möchte die in Aufklärung und Humanismus verwurzelten Ideen des 1796 verstorbenen Adolph Freiherrn Knigge verbreiten. Sie setzt sich für vollendeten Stil, sichere Kenntnis der aktuellen Umgangsformen, moralische Selbstverantwortung, sittlich einwandfreies Verhalten sowie einen situativ angemessenen toleranten und lockeren Umgang miteinander ein.

Gefährdet die Jogginghose den Schulfrieden?

Zunächst hatte die Schule für Medienanfragen an die Bezirksregierung in Köln verwiesen. Dort hieß es, es seien wohl "nur einige wenige Schüler zum Kleidungswechsel aufgefordert worden". Ein Behördensprecher verwies zudem allgemein auf das Schulgesetz NRW, wonach die Schulkonferenz sich auf eine Kleiderordnung einigen kann, wenn die Schülervertreter dies mittragen. Dies sei 2019 geschehen. Der Konferenzbeschluss von 2019 werde immer noch mehrheitlich durch die Schulgemeinschaft getragen und sei damit Teil der Schulordnung.

Dabei findet sich die Kleiderordnung, die das Tragen von Jogging- und Trainingshosen nicht gestattet, auf der Schul-Website. Zudem ist dort am Mittwoch ein Brief an die Eltern mit Datum von vergangener Woche zu sehen, in dem die Schule ankündigt, Schüler bei Verstoß gegen die Kleiderordnung nach Hause zu schicken.

Die Landesschülervertretung kritisierte das berichtete Vorgehen. "Der sofortige Ausschluss vom Unterricht ist auf jeden Fall nicht der richtige Weg", sagte Vorstandsmitglied Julius Lachmann auf Anfrage. Im Schulgesetz sei lediglich von einer Empfehlung die Rede.

"Man muss sich fragen, ob eine Jogginghose wirklich den Schulfrieden gefährdet und einen Ausschluss rechtfertigt", sagte Lachmann. Fragwürdig sei zudem, dass die Kleiderordnung vier Jahre lang nicht umgesetzt worden sei. Daher hätte vorher die aktuelle Schülerschaft befragt werden sollen, ob eine Zustimmung überhaupt noch vorliegt.

Schulen können Schlabberlook nicht wirklich verbieten

Aus dem NRW-Schulministerium hieß es, das Ministerium begrüße es, wenn sich die Schulgemeinden vor Ort über eine einheitliche Schulkleidung verständigten. Das Schulgesetz biete dafür einen guten Rahmen. Das äußere Erscheinungsbild eines Schülers sei allerdings grundsätzlich eine persönliche Angelegenheit, die durch das Grundgesetz geschützt werde. Eine zwangsweise Einführung, die für alle Schülerinnen und Schüler gelte, sei nicht möglich. Als rechtswidrig wollte ein Ministeriumssprecher das Verhalten der Schulleitung aber nicht einstufen: "Es kommt auf den konkreten Einzelfall an."

"Die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme ist doch eher zweifelhaft und rechtlich bedenklich", sagte Beate Schulte zu Sodingen, auf Schulrecht spezialisierte Rechtsanwältin, der Deutschen Presse-Agentur. Laut NRW-Schulgesetz könne die Schulkonferenz ausdrücklich nur eine Empfehlung aussprechen. Betroffene Eltern könnten nun zunächst Beschwerde bei der Schulaufsicht einreichen.

Der Verband Bildung und Erziehung hatte bereits 2016 mitgeteilt, dass die Schulen den Schlabberlook nicht wirklich verbieten könnten. Auch für Schüler gelte "das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit". 2019 hatte eine Realschule in Bad Oeynhausen ebenfalls per Schulkonferenzbeschluss Jogginghosen verboten. Dort hatte jeder Schüler drei Verwarnungen frei. Erst beim vierten Mal sollten die Schüler zum Umziehen nach Hause geschickt werden. (dpa)