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Polizei wehrt sich gegen Generalverdacht

Nach der Aufdeckung rechtsextremistischer Chats debattieren Politiker über mögliche Konsequenzen.

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Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU)
macht sich Sorgen über das geistige Klima in Teilen der Polizei. In seinem Bundesland werden 30 Beamte verdächtigt, an rechtsextremen Chat-Gruppen beteiligt gewesen zu sein.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) macht sich Sorgen über das geistige Klima in Teilen der Polizei. In seinem Bundesland werden 30 Beamte verdächtigt, an rechtsextremen Chat-Gruppen beteiligt gewesen zu sein. © Marcel Kusch/dpa

Von Anne-Béatrice Clasmann, Berlin

Nach der Affäre um rechtsextreme Chats von Polizeibeamten in Nordrhein-Westfalen mehren sich die Rufe nach grundlegenden Reformen, um entsprechende Tendenzen bundesweit zu unterbinden. Zwar ist die Zahl der zuletzt in NRW, Hessen, Bayern und Baden-Württemberg festgestellten Rechtsextremismus-Fälle in Relation zu insgesamt rund 300.000 Polizisten und Polizistinnen klein. Die Tatsache, dass der wohl schon seit Jahren andauernde Austausch von menschenverachtenden Nazi-Inhalten bei Polizisten aus dem Ruhrgebiet eher zufällig aufgeflogen ist, zeigt aber, dass über das tatsächliche Ausmaß letztlich nur Mutmaßungen möglich sind.

Denn in dem Ermittlungsverfahren der Behörden in Nordrhein-Westfalen ging es eigentlich um die Frage, ob ein Polizist Informationen zu Ermittlungen im Clan-Milieu an einen Journalisten weitergegeben hat. Beim Auswerten seines Handys stießen die Ermittler auf den internen Chat.

„Wichtig ist aber, dass die Ermittler die Brisanz dieses Zufallsfunds sofort erkannt und dann entsprechend weiter ermittelt haben“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek. „Das zeigt, dass es eben kein strukturelles Rechtsextremismus-Problem in der Polizei gibt, wie manche behaupten.“

Kompetenzen wie Empathie, Wertschätzung fördern

Auch die Innenminister stellen sich in der öffentlichen Debatte in der Regel vor ihre Polizeibeamten. Auch weil sie befürchten, dass undifferenzierte Kritik nach hinten losgehen könnte. Von der AfD, deren inzwischen offiziell aufgelöster „Flügel“ vom Verfassungsschutz als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet wird, ist kaum ein kritisches Wort zu hören. Sie umwirbt Polizisten gezielt als Wähler.

In einem Bericht zur Innenministerkonferenz in Erfurt vom vergangenen Juni heißt es, wichtig sei es, in der Polizei Kompetenzen wie Empathie, Wertschätzung und interkulturelle Kompetenz zu fördern, „die mit extremistischen Einstellungen nicht vereinbar sind“. „Mahnen und Warnen haben durchaus ihre Berechtigung, erreichen aber nicht alle“, stellen die Innenminister fest. Und eine Sorge treibt sie um: „Zudem besteht die Gefahr, dass eine innere Abwehrhaltung eingenommen wird und die Beschäftigten befürchten, unter einen Generalverdacht gestellt zu werden. Dies muss auf jeden Fall verhindert werden.“

Bisher stehen in NRW 30 Polizistinnen und Polizisten unter Verdacht, an den Chatgruppen beteiligt gewesen zu sein. Unter den Bildern, die dort geteilt wurden, sind laut Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) Fotos von Adolf Hitler und die fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einer Gaskammer.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zeigt sich schockiert: „Diese Vorgänge sind völlig inakzeptabel. Herbert Reul hat das einzig Richtige gemacht und die betroffenen Beamten sofort suspendiert. Wer sich im rechtsradikalen Spektrum bewegt, chattet, Thesen übernimmt oder Ähnliches, hat weder beim Bund noch beim Land in einer öffentlichen Position etwas verloren.“ Da sei er kompromisslos.

Studien sollen Klarheit bringen

Im Frühsommer hatte Seehofer das Bundesamt für Verfassungsschutz beauftragt, ein Lagebild zu Rechtsextremismus und Rassismus in den Sicherheitsbehörden zu erstellen. Dafür hat die Behörde in den Ländern seither Informationen zu entsprechenden Disziplinarverfahren und strafrechtlich relevanten Vorgängen abgefragt. Das Lagebild werde bis Ende September fertiggestellt, heißt es im Bundesministerium. Später soll es eine umfassendere Studie zu Rechtsextremismus und Rassismus im öffentlichen Dienst geben. Wer die erstellen soll und wonach dann genau gefragt wird, steht noch nicht fest.

Das Lagebild des Verfassungsschutzes werde womöglich nicht genau Aufschluss darüber geben, wo es in Deutschland die größten Probleme mit diesem Phänomen gibt, vermutet Radek. „Denn es mag sein, dass in einem Bundesland, weil es dort von der politischen Führung eine größere Sensibilität dafür gibt, mehr ans Licht gekommen ist, während das Problembewusstsein andernorts vielleicht geringer ist.“

Die Grünen dringen auf eine wissenschaftliche Polizei-Studie. Um herauszufinden, ob sich statistisch gesehen mehr Rechtsradikale bei der Polizei bewerben als anderswo. Oder ob polizeitypische Frusterlebnisse im Arbeitsalltag – Überstunden, schlechte technische Ausstattung, Erfahrungen mit Mehrfachtätern – anfällig machen für menschenverachtende Einstellungen. Für Radek ist wichtig, dass bei der Organisation der Arbeit darauf geachtet wird, dass einzelne Beamte nicht zu lange am gleichen Ort die gleiche Tätigkeit ausüben. Er sagt, es sei gut, dass beispielsweise bei der Bundespolizei die Teams, die Abschiebungen begleiteten, jedes Mal neu zusammengesetzt würden – mit Polizisten aus ganz Deutschland. (dpa)