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Öffentlicher Dienst vor neuen Warnstreiks

Erst wurden Kitas wegen Corona geschlossen - jetzt streiken voraussichtlich Erzieherinnen: Für den öffentlichen Dienst gibt es ungemütliche Aussichten.

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Auf die Menschen in Deutschland kommen neue Warnstreiks im öffentlichen Dienst zu. Erste Ausstände in einzelnen Regionen beginnen an diesem Dienstag.
Auf die Menschen in Deutschland kommen neue Warnstreiks im öffentlichen Dienst zu. Erste Ausstände in einzelnen Regionen beginnen an diesem Dienstag. © Daniel Reinhardt/dpa

Von Basil Wegener und Corinna Schwanhold

Potsdam. Wenn für den öffentlichen Dienst verhandelt wird, gibt es eigentlich immer irgendwo auch Streiks. Aber in diesem Jahr ist alles etwas anders. Und zwar nicht nur, weil die Gewerkschaften bei Ausständen und möglichen Protesten auf den Infektionsschutz achten wollen. Sondern auch, weil die Corona-Pandemie und der dadurch ausgelöste Wirtschaftseinbruch die Tarifverhandlungen für Bund und Kommunen enorm erschweren. Nach dem ergebnislosen Ende der zweiten Runde in Potsdam: Was kann auf Bevölkerung und Beschäftigte zukommen?

Wer arbeitet im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen?

Im öffentlichen Dienst gibt es Tausende verschiedene Berufsbilder. Hier arbeiten unter anderem Erzieherinnen, Busfahrer, Angestellte von Bädern, Feuerwehrleute, Krankenschwestern, Verwaltungsangestellte, Altenpflegerinnen, Klärwerksmitarbeiter, Förster oder Ärzte. Es geht um rund 2,3 Millionen Angestellte und rund 225.000 Beamte.

Wo soll es nun Warnstreiks geben?

Kitas, Krankenhäuser, Ordnungsämter oder Straßenmeistereien nennt der Chef des Beamtenbunds dbb, Ulrich Silberbach, als mögliche Orte für Einschränkungen. Von vorneherein ausgenommen würden keine Bereiche. "Wir werden mit Abstand für anständige Löhne streiken", sagt die Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Marlis Tepe. Eltern kleinerer Kinder könnten also genauso betroffen sein wie etwa Verkehrsteilnehmer auf den städtischen Straßen. Am Dienstag geht es in einigen Regionen los. Genaueres geben die Gewerkschaften Schritt für Schritt bekannt. Bei der bisher letzten Tarifrunde 2018 machten massive Warnstreiks Hunderttausenden Eltern, Pendlern und Fluggästen über Tage das Leben schwer.

Was spricht für ein starkes Anwachsen der Streikwelle?

Die enormen Gegensätze zwischen beiden Seiten. "Wir sind weit auseinander", sagte der Verhandlungsführer der Kommunen, der Lüneburger Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD), schon zum Auftakt der zweiten Runde. Verdi-Chef Frank Werneke spricht hinterher von einem skandalösen Verhalten, einer Verzögerungstaktik und einer Verkennung des Ernstes der Lage bei den kommunalen Arbeitgebern. Corona sei kein Grund für Streikverzicht. "Streiks bedeuten in erster Linie, dass die Arbeit niedergelegt wird", sagt Werneke. Siehe Post - hier geriet die Zustellung von Briefen und Paketen in mehreren Ländern vor den nächsten Gesprächen an diesem Montag ins Stocken.

Was spricht eher für vergleichsweise milde Streiks?

Doch der Infektionsschutz. Zum Beispiel Straßendemonstrationen wollen die Gewerkschaften keinesfalls ohne Einhaltung des Abstands machen. Und Gewerkschaftsstrategen kalkulieren damit, dass viele Eltern nach den Kitaschließungen vom Frühjahr wohl wenig Verständnis für geschlossene Einrichtungen wegen des Tarifstreits aufbrächten. Vorsorglich versichert man auf Gewerkschaftsseite, mehr als ein bis zwei Tage am Stück würden Kitas erstmal nicht bestreikt. Unter anderem im Gesundheitsdienst gilt bei vielen Mitarbeitern zudem das Arbeitsethos in Krisenzeiten als besonders groß - selbst Warnstreiks mitten in der Pandemie könnten so manchem schwerfallen.

Welche Bedeutung haben die Tarifgespräche für die Betroffenen?

Eine unmittelbare. Beispiel 2018: Drei Erhöhungsschritte bis 1. März 2020 wurden bei der bisher letzten Einkommensrunde vereinbart. Beispielsweise bekam ein Müllwerker in der höchsten Gehaltsstufe schon im ersten Schritt 82 Euro mehr, nämlich 2.712 Euro. Ein Jurist der Entgeltgruppe 13 steigerte sein Einkommen um 160 auf 5.683 Euro.

Sind die Tarifverhandlungen nur ein Ritual um des Scheins willen?

Sie sind auch ein intensiver Interessenausgleich. Die einen wollen zum Beispiel vor allem, dass die Fachkräfte gut abschneiden. Die öffentlichen Arbeitgeber mit ihren moderaten Löhnen tun sich oft noch schwerer als Privatunternehmen, IT-Fachkräfte oder Ingenieure anzulocken und zu halten. Auf der andere Seite pocht man vor allem bei Verdi auf ein deutliches Plus für die unteren Lohngruppen mit ihren großen Zahlen an Beschäftigten und Gewerkschaftsmitgliedern.

Wer ist dieses Mal besonders im Fokus?

Beschäftigte von Krankenhäusern, Sparkassen und Flughäfen, für die auch in ausgelagerten Sonderrunden verhandelt wird. Etwa für die Flughafenangestellten zielt Verdi auf einen Sanierungs- oder Notlagentarifvertrag ab. Denn in großem Umfang drohen Kündigungen.

Welche Argumente gibt es wegen der Corona-Pandemie?

Die Kommunen beklagen massiven Einnahmeausfälle - die Gewerkschaften erinnern an die Kompensation von Gewerbesteuerausfällen im Umfang von rund 11 Milliarden Euro durch Bund und Länder. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erinnert daran, dass viele Beschäftigte in den letzten Monaten Heldinnen und Helden genannt wurden. "Wir müssen unseren Worten auch konkrete Taten folgen lassen." Die kommunalen Arbeitgeber betonten hingegen, an Flughäfen, in Bäderbetrieben, Museen oder Theatern habe teils gar nicht gearbeitet werden können.

Wie geht es weiter?

Seehofer kündigte ein Angebot der Arbeitgeber zur dritten Verhandlungsrunde an. Diese ist für 22. und 23. Oktober angesetzt. Vielleicht werde sie auch etwas verlängert, sagt Seehofer. Das klingt nach der Erwartung einer Einigung in diesen Tagen. Die Gespräche könnten aber auch scheitern. Dann käme eine Schlichtung - oder, weniger wahrscheinlich, es folgen reguläre Streiks. (dpa)