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Wie viel Extremismus steckt in der Polizei?

Wenn rechtsextremes Handeln in einer Dienststelle der Polizei nicht geahndet wird, hat das eine verheerende Wirkung auf alle. Fragen und Antworten.

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Am Dienstag teilte die Polizeidirektion Dresden mit, in der sächsischen Landeshauptstadt sei ein Polizist wegen rechtsextremer Äußerungen vom Dienst suspendiert worden. Er sei wegen verfassungsfeindlicher Chatbeiträge aufgefallen.
Am Dienstag teilte die Polizeidirektion Dresden mit, in der sächsischen Landeshauptstadt sei ein Polizist wegen rechtsextremer Äußerungen vom Dienst suspendiert worden. Er sei wegen verfassungsfeindlicher Chatbeiträge aufgefallen. © Boris Roessler/dpa (Symbolbild)

Von Anne-Beatrice Clasmann

Berlin. Zum ersten Mal hat der Verfassungsschutz einen Lagebericht vorgelegt, der sich gezielt mit Rechtsextremisten in der Polizei und bei anderen Sicherheitsbehörden beschäftigt. Mehr als eine Annäherung an das Problem stellt diese Bestandsaufnahme aber nicht dar.

Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie viele Rechtsextremisten sind aufgefallen?

Insgesamt wurden in den Behörden von Bund und Ländern innerhalb von gut drei Jahren 377 Verdachtsfälle registriert. Nicht immer hat sich der Verdacht bestätigt. 71 Menschen wurden wegen rechtsextremer Vorkommnisse entweder entlassen oder gar nicht erst dauerhaft eingestellt. In etlichen Fällen wurden Disziplinarverfahren eingeleitet. Bei der Bundespolizei, wo fast 49.000 Menschen beschäftigt sind, wurden 24 rechtsextremistische Verdachtsfälle registriert, zusätzlich 20 Verdachtsfälle, bei denen es um Rassismus ging.

Wie hat der Verfassungsschutz die Daten erhoben?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat allen Behörden einen Fragebogen geschickt. Darin wurde unter anderem nach der Zahl der eingeleiteten Disziplinarverfahren mit rechtsextremistischem Hintergrund gefragt. Aber auch konkret nach der Verwendung von NS-Symbolen, nach Kontakten zu rechtsextremen Organisationen oder auch nach rassistischen Kommentaren, etwa in Chat-Gruppen von Polizisten.

Wie aussagekräftig sind diese Daten?

Mehr als einen ersten Einblick bieten sie nicht. Das räumt auch der Verfassungsschutz ein. Er schreibt: "Auch wenn die absoluten Zahlen dieser Verfehlungen in Relation zur Gesamtzahl der Beschäftigten bei den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern gering sind, ist grundsätzlich von einem Dunkelfeld auszugehen." 

Denn wie viele Fälle bekannt werden, hängt von vielen Faktoren ab: Wie ist die Behördenkultur vor Ort? Wo können sich Polizisten melden, wenn ihnen fragwürdige Äußerungen von Kollegen auffallen? Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, kritisiert: "Bei allen Zahlen handelt es sich um freiwillige Meldungen der Landespolizeistellen an den Verfassungsschutz. Für die Erstellung des Lageberichts wurde nicht eigenständig und unabhängig ermittelt - das Dunkelfeld bleibt somit bestehen." Der Bericht sei "verharmlosend", kritisiert der Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke.

Bewerben sich viele Rechtsextremisten bei den Sicherheitsbehörden?

Dafür gibt es bislang keine Hinweise. Wer beispielsweise Polizist werden will, wird vor der Einstellung durch eine Abfrage in den polizeilichen Datenbanken überprüft. In einigen Bundesländern gibt es zusätzlich eine Abfrage bei den Verfassungsschutzbehörden. Damit soll ausgeschlossen werden, dass bereits erkannte Extremisten in den Polizeidienst gelangen.

Und was passiert später?

Hier liegt wohl das eigentliche Problem. Denn wer sich über Jahre etwa ausschließlich mit islamistischem Extremismus, mit Clan-Kriminalität oder mit Menschenhandel beschäftigt, muss aufpassen, dass er dadurch keinen Tunnelblick entwickelt und in Wir-gegen-die-Kategorien denkt. 

Der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, sagt, Polizisten, die an einem Großstadt-Hauptbahnhof innerhalb einer Woche sieben oder acht Mal die gleiche Person wegen Taschendiebstahls oder sexueller Belästigung vorläufig festgenommen haben, stellten sich irgendwann schon die Frage nach der "Sinnhaftigkeit ihres Tuns". Ähnlich sei es mit Beamten, die einen Ausländer bei der Einreise kontrollierten, der schon mehrfach in den für sein Asylverfahren zuständigen EU-Staat zurückgebracht worden sei. 

Diese Beispiele erklären vielleicht auch, warum es bei der Bundespolizei und den Polizeibehörden der Länder, wo die Beamten im Berufsalltag mehr persönliche Erfahrungen mit Kriminellen machen, mehr rechtsextreme Verdachtsfälle gibt als beispielsweise beim Bundesamt für Verfassungsschutz oder beim Bundesnachrichtendienst.

Welche Folgen hat der Bericht?

Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang hofft, dass dadurch, dass die Zahlen und Fakten jetzt bundesweit zusammengetragen wurden, das Problembewusstsein in den einzelnen Behörden wächst. Denn das ist vielleicht nicht in jedem Bundesland gleich ausgeprägt. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will, dass sich der Verfassungsschutz jetzt auch einzelne Verdachtsfälle näher anschaut, auch um bestimmte Muster zu erkennen. 

Für den Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch, ist der Bericht ein "guter Aufschlag", die Diskussion über das Problem aber noch lange nicht beendet. Wichtig ist ihm, dass Polizisten Kollegen, die in den Rechtsextremismus abdriften, nicht decken, dass sie Kollegialität nicht mit "Kumpanei" verwechseln.

Ist der Streit um die Rassismus-Studie damit jetzt beendet?

Nein. Eine Studie von Wissenschaftlern, die rassistische Einstellungen von Polizisten erforschen, lehnt Seehofer nach wie vor ab. Dafür hatten sich unter anderem die Grünen und einige SPD-Innenminister ausgesprochen. Seehofer ist dagegen. Er sagt, damit würde man die Polizei unter Generalverdacht stellen. Eine Untersuchung des Polizeialltags, wie sie beispielsweise jüngst von der Gewerkschaft der Polizei vorgeschlagen würde, könnte sich der Bundesinnenminister dagegen gut vorstellen. Außerdem sagt er: Rassismus sei ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es sollte deshalb auch umfassend untersucht werden, nicht nur mit Blick auf die Polizei. (dpa)