Merken

Die Aufklärer als Einheitsstifter

Der Kulturprofessor Paul Raabe hatte die Idee, man könne im Lessingjahr 2004 auch mal über sich selbst sprechen – Kulturmenschen, Politiker, Stadtsanierer und andere Macher in Wolfenbüttel, Halberstadt und Kamenz. Am Dienstag wurde in der anhaltinischen Domstadt ein Resümee gezogen.

Teilen
Folgen

Von Reinhard Kärbsch

Lessing und Gleim sei Dank – und auch Raabe! Kaum einer der etwa ein Dutzend Redner und Diskussionsteilnehmer der Abschlussveranstaltung „Ost-West-Gespräche im Lessingjahr 2004“ kam an den drei Männern vorbei, ohne sie nicht lobend erwähnt zu haben. So viel Ehre musste sein!

Die Dichter wie der Bibliothekar (siehe Kasten) fanden damals wie heute, die Mitmenschen könnten zu mancher Einsicht, neuer Erkenntnis und humanistischer Verhaltensweise bewegt werden. Mittel seien kulturvoller Meinungsaustausch, Information über die eigenen Aktivitäten, gegenseitige Besuche und helfende Unterstützung.

Die Idee Raabes, langjähriger Direktor einer der exzellentesten Bücheransammlungen der Welt, der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel und damit in der Nachfolge Lessings stehend, geht wohl auf. Das bescheinigten ihm am Dienstag im Halberstädter Gleimhaus alle Redner durch die Bank: Aufklärer als Einheitsstifter!

Nach dem Kennenlernen die Probleme diskutieren

Der Kamenzer Dieter Fratzke, Leiter des Lessing-Museums, mutmaßte beispielsweise nicht ohne Grund, der Halberstädter Hausherr Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) hätte sich über das Treffen der über 50 Kulturleute ganz sicher gefreut – wie damals über die Geistesschaffenden seiner Zeit, die beim Domsekretär ein- und ausgingen. Gleim ließ übrigens seine Begegnungen von Malern dokumentieren – in Gestalt von Porträts. Die Bilder hängen heute noch so im Gleimhaus, wie sie der Dichter selbst anordnete. Darunter befindet sich natürlich Lessing. Das Gemälde gilt als die authentischste Wiedergabe des Kamenzer Sohnes. Weil Raabe die gegenseitigen Wahrnehmungen zum inhaltlichen Prinzip der Berichte bestimmt hatte, zeigte sich Fratzke auch „außerordentlich überrascht“ über die Ergebnisse der Stadtsanierung, insbesondere im Stadtkern und bei den Fachwerkhäusern. Man könne heute von einer attraktiven Stadt sprechen. Lobende Worte fand er gleichfalls für die gute Zusammenarbeit von Kultur, Kirche, Handel und Wirtschaft. Davon werde diese Entwicklung getragen. Aber der Museumsleiter und Kenner der Kamenzer Wirklichkeit verwies – wie die anderen Redner – ebenso auf die ähnlich gelagerten Probleme in den drei Städten: Erhalt und Ausbau des Geschaffenen angesichts der schlechten Kassenlage der Kommunen. Man müsse sich deshalb über die andauernde Unterfinanzierung austauschen, über sinnvolle Kooperation und komplexe Angebote bei reduziertem Geld sprechen, Geldbeschaffung, Vermarktung und Tourismusfragen erörtern. Auch Probleme mit alterndem wie schwindendem Publikum und Nachwuchsfragen für das Ehrenamt wären Diskussionsschwerpunkte, fand der Kamenzer.

Halberstädter Professor: Visionen sind notwendig

Mit besonderem Interesse verfolgten die Lessingstädter die Darlegungen von Stadtrat Prof. Dr. Rainer O. Neugebauer von der Hochschule Harz. Sein Thema: Halberstadt über Kamenz! Oder Osten über Osten, wie er scherzte. Angesichts des pulsierenden Zentrumlebens in seiner Heimatstadt musste er Kamenz als ruhiges Städtchen mit wenig Touristen charakterisieren. Besser fand er schon den selbst erwirtschafteten Anteil des hiesigen Kulturbetriebes – nämlich 30 Prozent und damit äußerst beispielgebend für Halberstadt. „Mit Gleim ist nicht so viel Theater zu machen“, fand er. Weitere Pfunde sah er in der Zusammenarbeit von kreislichem Museum der Westlausitz und dem städtischen Malzhaus. Und im Stadttheater als Kulturhaus. In Halberstadt stehe ein solches wohl bald zum Abriss. Nicht genug: Neben Lessing hätten die umtriebigen Kamenzer noch den Maler Georg Baselitz als großen Sohn, den sie vielleicht bald zeigen könnten. Auch sein Halberstadt verfolge große Projekte. Er schloss: „Visionen sind heute notwendig.“ Und er erntete für seinen Bericht wohl den ergiebigsten Beifall des Tages.