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Die Bäckerin des Abendmahls

Carola Schmied ist gehörlos und die erfahrenste Kraft in der einzigen Hostienbäckerei Mitteldeutschlands.

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© Christian Juppe

Von Henry Berndt

Es ist besinnlich still hier. Abgesehen vom Zischen des Teiges im heißen Backeisen. Worte sind kaum zu hören. Hostienbäckerin Carola Schmied ist taubstumm und auch ihre Kollegin kann nicht sprechen. Und doch ist die Stimmung keineswegs gedrückt in dem kleinen weiß gefliesten Raum im zweiten Stock des ehemaligen Wäscherei-Gebäudes auf dem Gelände des Diakonissenkrankenhauses in der Neustadt.

Carola Schmied lacht oft einfach vor sich hin. Schlechte Laune kennt sie nicht. Seit 21 Jahren steht sie hier am Backeisen, sechs Stunden am Tag. Um ihren Hals trägt die 52-Jährige eine Kette mit einem goldenen Kreuz. Sie ist sehr gläubig – und damit gut aufgehoben hier. Über eine Bekannte durfte sie damals, 1995, zum Probearbeiten in der Bäckerei reinschnuppern. Eigentlich hatte Carola Schmied ja Damenmaßschneiderin gelernt, aber dafür hätte sie zu viel mit Kunden kommunizieren müssen. Hier gibt es das Problem nicht: Ihr Job ist es, Oblaten zu backen. Hunderte, Tausende kleiner Oblaten, die später als sogenannte Hostien beim Abendmahlsgottesdienst an die Gläubigen verteilt werden. Die einzigen Zutaten dafür sind fein gemahlenes Weizenmehl und kaltes Wasser. Ganz wie das ungesäuerte Brot, von dem das Alte Testament spricht.

Vorsichtig füllt Carola Schmied eine Kelle voll Teig in das Backeisen und schließt blitzartig den Deckel. Es dampft und zischt. Genau anderthalb Minuten später öffnet sie den Deckel wieder. Die Zeit hat sie längst im Gefühl und braucht keine Uhr mehr. Sie strahlt zufrieden, als seien es ihre ersten Hostien. Das Geheimnis einer guten Hostienbäckerin? Carola Schmied verständigt sich mit Stift und Zettel. „Ruhe und Ausgeglichenheit“, schreibt sie. „Hektik ist hier fehl am Platz. Zu viel Trubel lenkt mich ab.“

Ihre waffeleisenähnliche Apparatur hat feine runde Muster in die Teigplatte geprägt: Es sind 69 kleine Hostien, plus eine große mit dem Christusmonogramm, dem übereinanderliegenden X und P. Diese sogenannte Schauhostie wird beim Gottesdienst traditionell vom Pfarrer geweiht und in vier Teile gebrochen.

Auch die kleinen Hostien tragen Symbole: das Kruzifix oder ein Lamm. Experten erkennen daran, dass hier in der Dresdner Diakonissenanstalt noch echte Handarbeit geleistet wird und die Oblaten nicht von gewaltigen Backautomaten produziert werden, wie in den meisten anderen Hostienbäckereien. „Diese Ruhe und Entschleunigung ist uns immer noch sehr wichtig“, sagt Leiterin Christine Ullmann. Carola Schmied stimmt ihr zu: „Es ist schön für mich zu wissen, dass meine Arbeit für viele Menschen eine besondere Bedeutung hat“, schreibt sie. „Die Hostien, die ich backe, sind eine Gabe für die Gemeinschaft beim Abendmahl.“ Deswegen sei auch jeder Arbeitstag etwas Besonderes für sie.

Doch die Ruhe in der einzigen Hostienbäckerei Mitteldeutschlands sollte nicht täuschen. Zu Stoßzeiten wie Ostern backen die zwei bis drei Mitarbeiterinnen hier bis zu 12 000 Hostien pro Tag. Im Jahr etwa eine Million Stück. Die Geschichte der Dresdner Hostienbäckerei reicht 150 Jahre zurück. 1866 brachte der erste Rektor der Diakonissenanstalt die Idee aus Franken mit.

Bis die Oblaten nach dem Backen reisefertig sind, haben sie noch einen langen Weg vor sich. Erst einmal müssen sie einen Tag lang in die Feuchtkammer, damit sie ein wenig geschmeidig werden. Danach werden sie Stück für Stück ausgestanzt, getrocknet, einzeln geprüft und verpackt. 100 in eine Reihe, 500 in einen Karton. Verschickt werden sie nach ganz Deutschland, aber auch nach Österreich und in die Schweiz. Im Büro von Christine Ullmann hängt eine Landkarte mit Hunderten grünen und roten Nadeln. Jede Nadel steht für eine Gemeinde, an die Dresdner Hostien geliefert werden. Darunter sind evangelische Kirchengemeinden, Krankenhaus- und Gefängnisseelsorger und auch einige wenige katholische Gemeinden.

Viel Arbeit für Carola Schmied, die am liebsten rund um die Uhr am Backeisen steht, aber wenn es sein muss auch mal stanzt. „Frau Schmied macht aber auch sehr gern sauber“, sagt die Chefin Christine Ullmann. Ein Lob, das man nicht all zu häufig hört.