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Die brennende Frage

In Schmiedeberg wird der tödliche Zellenbrand von Dessau nachgestellt. Daran gibt es heftige Kritik.

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© Frank Baldauf

Von Franz Herz

Schmiedeberg. Eine Polizeizelle ist kein schöner Ort, aber der Versuchsraum in Schmiedeberg ist noch gespenstischer. Im sechsten Stock eines ehemaligen Verwaltungshochhauses hat das Institut für Brand- und Löschforschung eine Zelle des Polizeireviers Dessau nachgebaut. Hier wird gleich ein Brand gelegt. Der soll helfen, einen elf Jahre alten Fall aufzuklären. In der Dessauer Zelle ist damals der Asylbewerber Oury Jalloh aus Sierra Leone bei einem Brand ums Leben gekommen.

Der Schweizer Sachverständige Kurt Zollinger, Staatsanwalt Olaf Braun und Versuchsleiter Thorsten Prein (v.l.) stellen sich den Fragen der Journalisten und der Kritik der Initiative Oury Jalloh.
Der Schweizer Sachverständige Kurt Zollinger, Staatsanwalt Olaf Braun und Versuchsleiter Thorsten Prein (v.l.) stellen sich den Fragen der Journalisten und der Kritik der Initiative Oury Jalloh. © Frank Baldauf

Bei dem Versuch liegt eine Puppe aus Mineralwolle und mit Schweinehaut verkleidet auf einer Schaumstoffmatratze. Im Raum verteilt sind rund 30 Sensoren und Kameras. Sie messen Temperatur und Gasentwicklung und beobachten den Ablauf.

Mit diesem Brandversuch soll das Geschehen in der Polizeizelle rekonstruiert werden. Erste Gerichtsverfahren endeten mit einer Geldstrafe für einen Polizisten. Nach neuen Gutachten wurde 2013 eine Anzeige wegen Mordes erstattet. Für die neuen Ermittlungen dient nun dieser Versuch. Mitglieder der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ sind auch nach Schmiedeberg gekommen. Sie vertreten die Ansicht, dass Oury Jalloh ermordet wurde, und kritisieren Versuchsaufbau sowie den Staatsanwalt. Der sollte anderen Spuren nachgehen und nicht alleine den Brand nachstellen lassen, fordern sie. „Wir haben auch viele Fakten gesehen, die nicht dem Originalzustand bei dem Brand entsprechen“, sagt Nadine Saeed von der Initiative. „Für uns ist das ein Ablenkmanöver.“

Der Fall Oury Jalloh

7. Januar 2005: Oury Jalloh kommt bei einem Brand in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers ums Leben. Da er sich heftig gewehrt hatte, war er zuvor an Händen und Füßen gefesselt worden.

28. Mai 2005: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen zwei Polizisten. Ein Dienstgruppenleiter soll den Rauchmelder der Zelle ignoriert haben. Ihm wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Der zweite Beamte wird wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, weil er ein Feuerzeug in Jallohs Hose übersehen haben soll. Die Anklagen werden zunächst nicht zugelassen.

18. Juli 2006: Gutachter kommen zu dem Schluss, dass der angeklagte Dienstgruppenleiter am 7. Januar 2005 falsch reagierte. Nach Einschätzung von Brandexperten wäre der Mann „bei rechtzeitigem und sachgerechtem Handeln“ des Polizisten zu retten gewesen.

27. März 2007: Am Landgericht Dessau-Roßlau beginnt der Prozess gegen die beiden Polizisten. Sie bestreiten die Vorwürfe im Wesentlichen.

8. Dezember 2008: Das Landgericht Dessau-Roßlau spricht die beiden angeklagten Polizisten frei.

7. Januar 2010: Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entscheidet, dass der Prozess gegen den Dienstgruppenleiter neu aufgerollt werden muss. Der Freispruch des anderen Beamten ist rechtskräftig.

21. Januar 2011: In einem neuen Prozess am Landgericht Magdeburg sagt der Angeklagte aus, trotz des mehrfachen Alarms nicht an einen Brand in der Zelle gedacht zu haben.

13. Dezember 2012: Das Landgericht Magdeburg verurteilt den Beamten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 90 Euro. Gegen das Urteil legen der Verurteilte, die Staatsanwaltschaft sowie die Nebenklage Revision ein.

12. November 2013: Die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ stellt ein neues Brandgutachten vor, nach dem Jalloh das Feuer nicht selbst gelegt haben kann.

4. September 2014: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil des Landgerichts Magdeburg. Damit ist die Verurteilung in letzter Instanz rechtskräftig abgeschlossen.

27. Oktober 2015: Die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ präsentiert neue Gutachten, die eine Beteiligung von Polizisten am Tod Jallohs für wahrscheinlich halten. (dpa)

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Der Gutachter Kurt Zollinger vom forensischen Institut Zürich untersucht den Brand im Auftrag der Staatsanwaltschaft Dessau. Für ihn organisiert das Institut für Brand- und Löschforschung nun den Versuch. Dessen Chef Torsten Prein begründet sein Vorgehen dabei. Die Puppe auf der Liege ist an mehreren Stellen mit Alufolie umwickelt. Das ist erforderlich für die Temperatursensoren. Unter der Puppe sind auch keine Fliesen, wie sie in der Polizeizelle waren. Hier steht eine Waage darunter, die während des Brandversuchs aufzeichnet, wie viel Material sich in Rauch aufgelöst hat. Und die Matratze ist zwar kleiner als die seinerzeitige. Hier kam es vor allem darauf an, dass der Schaumstoff die gleiche chemische Zusammensetzung hat. Trotz aller Kritik startet um 11.30 Uhr der Versuch in der sechsten Etage. Die zahlreichen Journalisten und die Aktivisten der Initiative können ihn im ersten Stock über eine Videoleinwand verfolgen. Vier Bilder sind zu sehen, zwei von einer normalen Kamera, zwei von einer Wärmebildkamera.

In zwei Minuten alles verqualmt

Zwei Männer in Feuerwehrkleidung und Atemschutz treten in den Brandraum. Sie kontrollieren noch mal den Versuchsaufbau. Schließlich zündet einer von ihnen die Matratze neben der Puppe an. Jetzt läuft die Zeit. Nach zwei Minuten fällt die Puppe, die halb gesessen hat, nach hinten. Der ganze Raum ist bereits verqualmt. Zu sehen sind nur noch die Flammen. Nach sieben Minuten wird die Tür geöffnet. Das hat damals in Dessau ein Polizist getan.

Nur ist in der Zelle nichts zu sehen. „Keine Möglichkeit reinzukommen ohne Schutzausrüstung“, erklärt Prein. Auch die Feuerwehr hatte damals Probleme. Sie war schnell am Brandort, musste sich aber erst orientieren. Nach 36 Minuten löschen die beiden Mitarbeiter des Instituts den Brand, nach der gleichen Zeit wie damals die Dessauer Feuerwehr. Der Versuch ist zu Ende.

Die Luft in der Versuchszelle enthält jetzt Kohlenmonoxid, Blausäure, etwas Salzsäure. Sie ist hochgiftig. Die Labormitarbeiter stellen Drucklüfter auf. Die machen Lärm wie ein Gewittersturm und blasen frische Luft in den Versuchsraum. Nach einer halben Stunde misst der Schweizer Sachverständige nach. Der Kohlenmonoxidgehalt ist noch hoch. „Kurz dürfen sie rein“, sagt er zu den Beobachtern. Es stinkt nach der verbrannten Schaumstoffmatratze. Die Puppe liegt schwarz verkohlt darauf. Der Raum ist völlig verrußt. Viel mehr kann ein Laie hier nicht erkennen.

Auch für die Fachleute wird es eine Herausforderung. Die Auswertung der Versuche beginnt. „Sie wird mehrere Wochen dauern“, sagt Kurt Zollinger. Erst analysieren die Mitarbeiter des Instituts für Brand- und Löschforschung die aufgezeichneten Daten. Ihre Ergebnisse liefern sie dem Gutachter in die Schweiz. Der entscheidet, ob weitere Versuche erforderlich sind, und erstattet dem Staatsanwalt Bericht. Ob das dann zur Aufklärung des Todes von Oury Jalloh verhilft, ist momentan völlig offen.