Merken

Die Drecksarbeiter der Automafia

Das Bautzener Amtsgericht schickt einen Kurierfahrer der Autodiebe ins Gefängnis. Das soll sich in Polen ruhig herumsprechen.

Teilen
Folgen
© Archivfoto: Jürgen Lösel

Von Jana Ulbrich

Bautzen. Die beiden Männer, die Damian P. an diesem Abend in dieser Bar im polnischen Piensk ansprechen, nennen sich Boris und Jogi. Damian P. hat sie schon öfter hier gesehen. Ob er sich ein schnelles Geld verdienen will, fragen sie den 32-Jährigen. Er müsse nur mit ihnen nach Deutschland fahren und ein Auto nach Zgorzelec „überführen“. 750 Euro würde er bei der Übergabe bekommen. Damian P., als Helfer auf dem Bau nur knapp bei Kasse, willigt ein.

Es ist der 19. Oktober 2017. In dem schwarzen BMW, in dem Boris und Jogi immer in Piensk auftauchen, fahren sie zu dritt Richtung Leipzig. An einer Bushaltestelle lassen die Männer Damian aussteigen. Es würde ungefähr eine halbe Stunde dauern, sagen sie. Es ist mitten in der Nacht. Boris und Jogi bringen einen zwei Jahre alten Audi Q7 mit. Die Elektronik des 42 800 Euro teuren Fahrzeugs ist professionell geknackt, werden Polizeibeamte später bei der Prüfung feststellen. Die Männer drücken Damian ein Navi in die Hand, in dem die Route zum Übergabeort in Zgorzelec schon eingetragen ist. Sie geben ihm ein Handy mit einer eingespeicherten Telefonnummer. Die soll er anrufen, wenn er angekommen ist. Sie geben ihm einen 50-Euro-Schein zum Tanken. Sie schärfen ihm ein, dass er niemals den Motor ausgehen lassen darf, auch beim Tanken nicht. Denn ohne Schlüssel würde er den Q7 nicht mehr anbekommen.

Am nächsten Morgen, gegen 7.30 Uhr, fährt Damian zum Tanken an den Rasthof Oberlausitz. Zufällig ist gerade um diese Zeit eine Streife der Autobahnpolizei in der Nähe. Den Beamten fällt der teure Audi mit Döbelner Kennzeichen auf, der da mit laufendem Motor an der Tankstelle steht. Damian P. wird festgenommen.

Auf der Anklagebank

Jetzt sitzt der junge Pole auf der Anklagebank im Bautzener Amtsgericht. Und erst jetzt wird ihm klar, worauf er sich da eingelassen hat: auf die Drecksarbeit. So aber läuft das in den Strukturen der osteuropäischen Automafia. Spezialisten wie Boris und Jogi, die es beherrschen, die elektronischen Schranken der Fahrzeuge zu überwinden, sind rar. Sie wollen und sollen nicht erwischt werden. Denn sie sind nur schwer durch neue Leute zu ersetzen.

Deswegen lassen sie sich auch nicht auf die gefährliche Flucht mit den gestohlenen Fahrzeugen ein. Dafür braucht es solche wie Damian P., die naiv oder skrupellos oder dumm genug sind, sich auf das riskante Geschäft einzulassen, weiß der Bautzener Amtsrichter Manfred Weisel. Er verhandelt sehr oft in solchen Sachen gegen junge Männer. Sie kommen meistens aus dem grenznahen Raum in Polen, brauchen Geld, sind oft auch drogenabhängig. Und alle erzählen sie dem Richter eine ähnliche Geschichte: Irgendwo in einer Kneipe oder Bar sind sie von unbekannten Männern angesprochen worden.

Strafe härter als erwartet

In der Regel sind es immer nur die Kuriere, die mit den gestohlenen Fahrzeugen erwischt werden. Weil sie ihre Auftraggeber gar nicht kennen, bleiben die wirklichen Täter und die Hintermänner verschont. Die Ermittler der Soko Kfz haben Damian P. Fotos von ein paar Verdächtigen vorgelegt, die sie schon länger im Visier hat. Darunter ist auch das Foto jenes Mannes, dessen Mobilnummer in dem Handy eingespeichert war. Es ist die Nummer, die P. bei seiner Ankunft in Zgorzelec anrufen sollte. Er behauptet, die Männer allesamt noch nie gesehen zu haben. Richter Manfred Weisel weiß nicht genau, ob er ihm glauben soll. „Könnte es auch sein, dass Sie das hier so sagen, weil Sie Angst haben?“, fragt er den Angeklagten. Der schüttelt energisch den Kopf.

Damian P. ist der versuchten Hehlerei angeklagt. Nur das ist es, was die Staatsanwaltschaft den Kurierfahrern wirklich zweifelsfrei nachweisen kann. Auch Damian P. muss gewusst haben, dass der Q7, den er ohne Schlüssel fahren sollte, gestohlen war. Die Strafe allerdings ist weitaus härter, als P. sich das vorgestellt hat. Wie alle anderen erwischten Kurierfahrer vor ihm auch, muss er nun für ein Jahr und sechs Monate ins Gefängnis. Eine Bewährungsstrafe kommt für den Richter nicht infrage. „Ohne Kuriere, die die Drecksarbeit machen, würde das System nicht funktionieren“, sagt er. „Wenn sich dafür nicht immer wieder schnell und problemlos Leute finden würden, würde es viel weniger Autodiebstähle geben“, ist Manfred Weisel überzeugt. Und es soll sich in Polen ruhig herumsprechen, dass die Kurierfahrer hier nicht – wie es ihnen ihre Auftraggeber weismachen wollen – mit Bewährungsstrafen davonkommen.