Von Katharina Gust
Bischofswerda. Die Geschichte vom einsamen Hohwaldwolf muss neu geschrieben werden. Denn das Tier, das sein Revier zwischen Neustadt, Steinigtwolmsdorf und Bischofswerda hat, ist streng genommen gar kein Wolf – sondern eine Wölfin. Das haben die Experten vom Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz herausgefunden. „Es handelt sich um eine Fähe, also einen weiblichen Wolf“, sagt Mitarbeiterin Helene Möslinger, die die Entwicklung der Raubtiere in Sachsen seit mehreren Jahren verfolgt.

Die neue Erkenntnis basiert auf Monitoringdaten des Wildbiologischen Büros Lupus, das die Wölfe in Sachsen beobachtet und zählt. Bei den jüngsten Untersuchungen wurden Kot- und Genproben gesichert, die dem Hohwaldwolf zugeschrieben werden können. Die Proben wurden untersucht. Mit dem Ergebnis, dass sich im Hohwald eine sogenannte Jährlingsfähe angesiedelt hat. Das Tier stammt direkt vom einstigen Hohwaldrudel ab. Die Wölfin wurde 2013 geboren. Das alles haben die Experten anhand der Proben nachweisen können. Und noch mehr.
Übergriff auf Damwild-Gehege
„Die Fähe ist für einen Riss in Großdrebnitz verantwortlich“, sagt Helene Möslinger vom Kontaktbüro Wolfsregion Lausitz. Passiert war der Zwischenfall im April dieses Jahres. In einem Damwild-Gehege am Ortsrand des Bischofswerdaer Ortsteiles hatte die Wölfin eine Damkuh getötet. Ein weiteres Tier wurde verletzt. Mehrere Hektar groß ist das Gehege, in dem das Wild lebt. Ein zwei Meter hoher Wildzaun umgibt das Areal. Augenscheinlich zu wenig, um den Wolf vom Jagen abzuhalten. Denn gleich dreimal innerhalb von einem Monat war das Raubtier in diesem Frühjahr in die Damwild-Herde eingedrungen. Das erste Mal, Mitte März, wurden zwei Tiere getötet, das zweite Mal, Anfang April, ein Tier. Dass auch dafür die Wölfin verantwortlich ist, liegt nahe. Amtlich bestätigt ist das aber nicht.
Genauso nahe liegt die Vermutung, dass der jüngste Übergriff in Berthelsdorf bei Neustadt auch auf ihr Konto geht. Über Pfingsten wurden auf der Weide von Schäfermeister Manfred Horn sieben Tiere getötet, zwei Mutterschafe und fünf Lämmer. Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde des Landratsamtes Pirna bestätigten kurz nach dem Angriff, dass der Wolf als Verursacher nicht ausgeschlossen werden kann. Damit bestätigten sie Schäfermeister Horns These, dass der Hohwaldwolf wieder zugeschlagen haben könnte.
Dass das Tier ein zwei Jahre altes Weibchen ist, ist dabei eine kleine Sensation. Denn normalerweise verlassen junge Wölfe das Territorium ihrer Eltern. Sie nabeln sich meist in einem Alter zwischen einem und zwei Jahren von den erwachsenen Tieren ab und suchen sich ein neues Revier. Die aktuellen Erkenntnisse zeigen jedoch, dass im Hohwald wohl genau das Gegenteil passiert sein muss. Hier sind die Elterntiere verschwunden. Die Geschwister der Hohwaldwölfin ebenso. Warum das Rudel überhaupt auf ein Tier geschrumpft ist, diese Frage können die Experten nach wie vor nicht beantworten.
Sie wollen nun noch mehr über die Wölfin herausfinden. Vor allem über ihr genaues Territorium. „Dabei sind wir auf Hilfe angewiesen“, sagt Helene Möslinger. Spaziergänger oder Wanderer, die einen Wolf rund um den Hohwald entdecken, sollten die Sichtung an das Wolfsbüro melden. Jeder Hinweis sei nützlich. Auch Aufnahmen aus privaten Fotofallen verwenden die Experten. Sie beschäftigen sich bereits mit der nächsten spannenden Frage: Bleibt die Wölfin in den nächsten Monaten im Hohwald oder wandert sie auf der Suche nach einem Männchen womöglich ab? Beide Entwicklungen seien möglich, erklärt Helene Möslinger. Sowohl männliche als auch weibliche Wölfe würden umherziehen, um sich fortpflanzen zu können. Zu welcher Riege die Hohwaldwölfin gehört, könne man jetzt noch nicht sagen. „Wenn es der Wölfin hier gefällt und es ausreichend Nahrung gibt, könnte sie sich entscheiden zu bleiben. Vielleicht wartet sie ab, bis ein geeigneter Partner vorbeikommt“, sagt sie. Das könnte jederzeit passieren. Hätte sich schließlich ein Wolfspaar gefunden, würde es ein eigenes Rudel gründen.
Kein Nachwuchs in diesem Jahr
In einem Punkt ist sich die Wolfsexpertin sicher. Die Fähe im Hohwald hat dieses Jahr keine Junge bekommen. Das Kontaktbüro hat keine Hinweise auf Nachwuchs im Hohwald, weder anhand von Spuren noch Kotproben. Normalerweise beginnt die Paarungszeit im Februar oder März. Nur zwei Monate später, im April oder Mai, würden die Wolfsbabys dann zur Welt kommen. Im Durchschnitt wirft ein Weibchen pro Jahr zwischen vier und sieben Jungtieren. Das Rudel kann so schnell auf bis zu zehn Tiere anwachsen – je nach Jahreszeit.
In Sachsen wurden im vergangenen Jahr zehn Wolfsrudel und zwei Wolfspaare nachgewiesen. Das Rudel aus dem Hohwald ist inzwischen jedoch auf ein einzelnes Tier geschrumpft. Das Rudel in Kollm in der Lausitz gibt es ebenfalls nicht mehr. Das Gebiet, das die Tiere einst besetzt haben, wird heute von anderen Wölfen genutzt. Auch das haben genetische Untersuchungen ergeben.