Von Detlef Drewes, SZ-Korrespondent in Brüssel
Erst anmelden, dann einreisen – diese Praxis der USA soll in Kürze auch für Europa gelten. Monatelang hatten die Innenminister der 28 EU-Mitgliedstaaten nahezu einstimmig betont, dass „wir wissen müssen, wer über unsere Grenzen kommt“. Am Mittwoch präsentierte Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans die europäische Kopie des amerikanischen Esta-Systems. Bürger aus allen Staaten, die nicht der Visumpflicht unterliegen, müssen sich nach der Einführung online bei Etias anmelden, dem europäischen Reiseinformations- und Genehmigungssystem (European Travel Information and Au- thorisation System).
Erfasst werden die persönlichen Angaben wie Name, Anschrift sowie die biometrisch gespeicherten Daten. Diese werden mit den Fahndungscomputern Europas abgeglichen. Gibt es keinen Hinweis auf Dschihadismus, kriminelle Aktivitäten oder eine geplante illegale Einwanderung, spuckt der Rechner schon wenige Augenblick eine Einreiseerlaubnis aus. Der Vorgang dauert zehn Minuten, kostet fünf Euro (USA: 20 Euro), die Bescheinigung bleibt fünf Jahre gültig. Betroffen sind alle Einreisenden aus Nicht-EU-Staaten, die ohne Visum nach Europa kommen dürfen, also beispielsweise die US-Bürger. Eine Etias-Genehmigung wird unabhängig von der gewählten Reiseart fällig – ob Flug, Bahn, Schiff, Bus oder Pkw ist gleichgültig.
„Mit Etias schließen wir eine Informationslücke, indem Informationen über visumbefreite Reisende mit all unseren anderen Systemen abgeglichen werden“, sagte Timmermans gestern bei der Präsentation des Vorschlags. Mehr ist es noch nicht. Die Mitgliedstaaten müssen erst noch zustimmen, das Europäische Parlament ebenfalls.
Außerdem bleibt noch zu klären, wer die rund 200 Millionen Euro zahlt, die die Installation kostet. „Etias ist das fehlende Teil im Puzzle zum Management der Außengrenzen“, erklärte Brüssels für Migrationsfragen zuständiger Kommissar, Dimitri Avramopoulos. Denn künftig lägen den Grenzschützern die Informationen über Reisende bereits vor, bevor diese die Übergänge erreichen.
Während die EU-Behörde von einem „einfachen, kostengünstigen und schnellen Verfahren“ schwärmt, sind sich die Kritiker noch nicht ganz einig, ob sie die Euphorie über das neue Instrument zur Grenzsicherung teilen sollen. Einige Experten befürchten eine regelrechte „Datenkrake“, weil offenbar auch Informationen zum Gesundheitszustand sowie zu möglichen Vorstrafen und früheren Aufenthalten in Kriegsgebieten erfasst und vorgehalten werden sollen. Damit würde sich Europa eine Sammlung persönlicher Informationen anlegen, die weit über das amerikanische Esta-System hinausgeht.
Der Grünen-Europapolitiker und Datenschutz-Experte seiner Fraktion Jan Philip Albrecht meinte außerdem, es sei „völlig unklar, welchen Mehrwert das Reisedatensystem bringen soll, zumal es nur für solche Länder gelten wird, die eine Befreiung von der Visumpflicht mit der EU ausgehandelt haben“. Anstelle von mehr Daten seien eine verbesserte Auswertung sowie ein schneller Austausch vorliegender Daten über verdächtige Personen nötig. „Terroristen und sonstige Straftäter kümmern sich nicht um nationale Grenzen“, meint der für Sicherheitsfragen zuständige britische EU-Kommissar, Julian King. Nach den Vorstellungen der EU-Behörde könnte Etias nach Durchlaufen des parlamentarischen Verfahrens Ende 2020 in Betrieb gehen.