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Die Frauenkirche, ein allerletztes Mal

Hans Jambor wird bald sterben. Sein sehnlichster Wunsch: Er will noch einmal Dresden sehen.

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© René Meinig

Von Sandro Rahrisch

Als Kind verschwendet man kaum Gedanken an eindrucksvolle Bauten. An Gott und Religion wahrscheinlich noch weniger. Der Frauenkirche schenkt Hans Jambor zumindest keine besondere Aufmerksamkeit, als er mit sieben Jahren an ihr vorbeiläuft. „Das hat mich nicht interessiert“, erinnert er sich. Für ihn stand sie da seit eh und je. Und seine Eltern waren nie strenggläubige Christen. Dennoch, die Frauenkirche ist das, was Hans Jambor noch einmal von Dresden sehen will, bevor er stirbt. Der 79-Jährige leidet an Darmkrebs im Endstadium. Ihm bleiben nur wenige Monate.

Das Neumarkt-Pflaster schüttelt den Krankentransportwagen durch. Die Aussicht aus dem großen Panoramafenster kann Hans Jambor nicht so recht genießen. Festgeschnallt auf der Trage hat er damit zu kämpfen, sich nicht zu übergeben. Vor der Frauenkirche hält der Wagen. Die Helfer öffnen die Türen und fächern dem Rentner frische Luft zu. Es wird besser. Jambor wird in einen Rollstuhl gehievt, gerade, als die Kirchenglocken an diesem Sonntagvormittag zu läuten beginnen. Dem Mann fällt es schwer, sich zu orientieren. Sein Sichtfeld ist eingeschränkt. Der Krebs hat Metastasen gestreut, auch in den Kopf. Außerdem sieht alles anders aus, als es Hans Jambor in Erinnerung hat. Zuletzt ist er vor 21 Jahren hier gewesen. „Da stand noch ein Bauzaun um den Neumarkt, daneben lagen die Frauenkirche-Steine nummeriert in Regalen.“

Mit 18 Jahren hat Hans Jambor der DDR den Rücken gekehrt. Mauer und Stacheldraht haben Menschen wie ihn damals noch nicht an der Ausreise gehindert. Sein Glück hat der gebürtige Dresdner im baden-württembergischen Sindelfingen gefunden – Nachbarstadt von Stuttgart. Dort hat er Susanne getroffen. 30 Jahre sind die beiden nun verheiratet. „Eigentlich nicht lange“, sagt die zehn Jahre jüngere Frau. Sie hätte sich mehr Zeit gewünscht. Doch die Diagnose Darmkrebs hat das Paar vor zweieinhalb Jahren ereilt. Angekündigt hatte sich die Krankheit nicht mit einem Wehwehchen. „Es war eigentlich nur eine Routineuntersuchung“, erzählt Susanne Jambor. „Eine Darmspiegelung, wie man sie in diesem Alter regelmäßig machen lassen sollte.“ Im Heim soll ihr Mann seine letzten Monate nicht verbringen. „Er hat Glück, ich bin Altenpflegerin“, sagt die 69-Jährige. Alleine könne sie ihn morgens zwar nicht aus dem Bett holen. Dafür brauche sie Hilfe. Alles andere erledige sie aber selbst. „Für meinen Mann ist das, glaube ich, selbstverständlich. Er ist halt ein alter Sachse“, sagt sie. Im Inneren sei er aber sicherlich froh, dass er nicht im Altenheim sterben muss, ist Susanne Jambor überzeugt. „Ich habe ihm versprochen, dass er da nicht hinkommt.“

Hans Jambor bewundert die noch so hellen Sandsteine der Frauenkirche. Damals, mit sieben, waren sie dunkel, fast schwarz. Das weiß er noch. Dass er ein letztes Mal hier sein kann, hat er nicht zuletzt dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) zu verdanken. Dieser hat deutschlandweit zehn Krankentransportwagen umbauen lassen und fährt Menschen, die nicht mehr viel Lebenszeit vor sich haben, an Sehnsuchtsorte. Sechseinhalb Stunden ist das Ludwigsburger ASB-Team mit Jambor im „Wünschewagen“ nach Dresden gefahren. Eine Abwechslung, auch für seine Frau.

Die Stadt steht zwar weit oben auf der Wunschliste des todkranken Mannes. Doch sein sehnlichster Wunsch wird unerfüllt bleiben. „Ich werde meine Kinder nicht weiter im Leben begleiten dürfen, kann ihnen nicht weiterhelfen. Die müssen ihren Scheiß jetzt alleene machen.“