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Die Geständnisse der Linda W.

Die Pulsnitzer Schülerin trifft im Gefängnis ihre Familie und berichtet über ihre Zeit beim IS. Kann man ihr glauben?

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© ndr/ARD

Von Tobias Wolf und Jonny Linke

Die Mutter verliert kurz die Fassung, als Linda W. den Raum im Justizpalast von Bagdad betritt. Zaghaft fragt Kathrin W., während die Kamera läuft, ob sie ihre Tochter umarmen darf. Schluchzen, ein paar Sekunden Nähe. „Ich bin froh, dich in meinen Armen zu halten“, sagt die Mutter und schnieft. Dann ist Schwester Miriam dran. Linda, inzwischen 17, trägt ein weißes Kopftuch mit Blumenmuster.

Fast eineinhalb Jahre hat die Pulsnitzer Schülerin ihre Familie nicht gesehen. Linda soll 2016 über Istanbul nach Syrien gereist und dem IS beigetreten sein. Die irakischen Behörden haben den Besuch bei der mutmaßlichen IS-Terroristin erlaubt. Zusammen mit Journalisten von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung sind die beiden Frauen nach Bagdad gereist. Die Bilder dazu waren im „Weltspiegel extra“ am Donnerstagabend zu sehen. Erstmals erzählt Linda ein bisschen etwas über die Zeit bei der Terrormiliz Islamischer Staat.

Sie hält die Hände von Mutter und Schwester, als sie spricht. „Ich will nicht im Irak bleiben, überall Militär auf den Straßen. Ich pack das nicht mehr“, sagt Linda W., die im Juli von irakischen Spezialeinheiten bei der Befreiung von Mossul verhaftet worden war. Drei Jahre hatte die Stadt unter der Kontrolle des IS gestanden. Mit Linda werden Hunderte andere Ausländer aus Asien und Europa in Mossul gefangen genommen. Darunter mindestens sieben deutsche Frauen mit neun Kindern.

Wie gefährlich sie sind oder welche Rolle sie im selbst ernannten Kalifat der Terroristen gespielt haben, ist unklar. Deutsche und irakische Behörden gehen davon aus, dass die Frauen Angehörige der Sittenpolizei waren, die etwa die Einhaltung der strengen Kleidervorschriften durchgesetzt haben soll. Der Generalbundesanwalt plant eine deutlich schärfere Strafverfolgung von IS-Frauen. Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sagte gegenüber NDR, SWR und Süddeutscher, dass IS-Kämpfer ihre Angehörigen in Sicherheit zu bringen versuchten. „Wir nehmen wahr, dass es sich anders als in den Vorjahren oft um Frauen und Kinder handelt, die hoch indoktriniert sind, die sich nicht von der IS-Ideologie gelöst haben.“

Warum ist Linda W. von Pulsnitz in den Irak gegangen? War sie auf der Suche nach Akzeptanz, Orientierung und Geborgenheit? Sie selbst nennt Probleme zu Hause, die Angst, wieder heimgebracht zu werden, wenn sie abhaut, dieses und jenes. Aber keine Details. Die Mutter hakt ein: „Da hätte man doch auch drüber reden können.“ Die Tochter guckt sie von der Seite an und sagt: „Mit dir hat man ja nicht reden können.“ Doch, das hätte man, beteuert die Mutter. Linda sagt, die Mutter hätte nicht akzeptiert, dass sie Muslima sei. Kathrin W. kontert: „Was denkst du, warum wir den Koran gekauft haben?“

In sozialen Netzwerken habe die damals 15-jährige Linda eine junge Muslima aus Hamburg kennengelernt. Die habe zu einer schnellen Konversion zum Islam gedrängt. Romantisierende Videos über das Leben im IS-Territorium besorgten wohl den Rest. Linda erinnert sich an Bilder, auf denen unter anderem Brot für die IS-Gemeinschaft gebacken wird. Aber auch brutale Hinrichtungsvideos hatte Linda wohl bei sich. Darüber spricht sie nicht.

Die Extremismusexpertin Claudia Dantschke arbeitet für „Hayat Deutschland“, eine Initiative, die sich unter anderem um IS-Rückkehrer kümmert. Den Kontakt über soziale Netzwerke und Messengerdienste, die professionell gemachten Werbevideos. All das nennt Dantschke eine radikale Popkultur, Pop-Dschihadismus. Die Stars sind die „Löwen des Islam“, Dschihad-Kämpfer. Schließlich meldet sich jemand anderes bei Linda: „Willst du ausreisen? Ja oder Nein?“ Niemand kann in den Kopf der jungen Frau gucken, niemand weiß, ob und wie stark sie jetzt noch von der IS-Ideologie beeinflusst ist. Nur eine Nachricht schrieb Linda in ihrer IS-Zeit. Sie sei am Leben, die Mutter solle sie „nicht zuheulen“. Sie wisse, dass Verfassungsschutz und Bundespolizei mitläsen, und an jene gerichtet: „ein paar worte an euch dreckige hunde (...) es werden noch viele viele anschläge bei euch folgen“.

Im TV-Interview beteuert Linda W. nun, nie im Umgang mit Waffen geschult worden zu sein oder Kampferfahrung gesammelt zu haben. „Ich war nur in Häusern, also ich hab nie mit Waffen so richtig was zu tun gehabt, gar nicht.“ An ihre Mutter schrieb Linda, dass es ihr gut gehe, sie keine Schlagzeile wie „Vermisstes Mädchen meldet sich bei Mutter“ will. Für den Fall droht sie mit Kontaktabbruch. Sie benutzt Phrasen wie „Alhamdulillah“ (Gelobt sei Gott), „Inshallah“ (so Gott will) oder „Vallahi“ (bei Gott). Zumindest zu diesem Zeitpunkt scheint sie der IS-Ideologie erlegen. Sie berichtet der Mutter, „dass dein Schwiegersohn Shahid ein sehr lieber und netter war“. Mit dem Mann, nach Lindas Angaben ein Österreicher mit tschetschenischen Wurzeln, sei sie fünf Monate verheiratet gewesen, bevor er starb. „Hast ja ein Recht drauf, es zu wissen.“ Per Telefon seien sie getraut worden, als Linda noch in der Türkei war. Und sie drohte ihrer Mutter noch einmal: „Ich werde auch Kontakt abbrechen, wenn ich höre, dass bestimmte Personen Probleme bekommen.“

Warum jetzt in die Öffentlichkeit?

Kathrin W. macht sich Vorwürfe, weil sie zur Arbeit gegangen ist, als Linda verschwand. Ein Zettel lag noch da: „Bis Sonntag, so gegen 16 Uhr.“ Eine Lüge, um die Mutter in Sicherheit zu wiegen. In Syrien und im Irak erlebt Linda den Ernst der Lage, verbringt lange Wochen in einer Art Frauenhaus in Mossul, das von der irakischen Armee ständig bombardiert wird. Lindas Aussagen lassen sich kaum oder nur schwer prüfen.

Der TV-Beitrag wirft Fragen auf. Warum geht die Familie ausgerechnet jetzt an die Öffentlichkeit, für jeden erkennbar, obwohl seit Monaten quasi eine Kontakt- und Nachrichtensperre herrschte – immer mit der Begründung, es gehe um den Schutz einer Minderjährigen? Soll die Bundesregierung dazu bewegt werden, Linda heimzuholen, egal, was es kostet? Denn bisher hieß es, Linda könnte für ihre IS-Mitgliedschaft auch mit dem Tod bestraft werden.

In Pulsnitz herrscht nach dem TV-Interview Aufregung. Anwohner Hermann Pöntzsch sagt: „Ich finde, jeder sollte für seine Taten bestraft werden.“ Er sei aber nicht für die Todesstrafe. Es sei ja noch ein junges Mädchen.“ Maik K. fordert, das Mädchen hart zu verurteilen. Niemand wisse, was da wirklich passiert sei und was sie gemacht hat. „Da müssen auch grobe Anschuldigungen mit den Beweisen reichen um sie in dem Land, nicht in Deutschland, zu verurteilen.“ Sie habe dort mehr Leuten Leid angetan als den Deutschen.