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Die Grünen und die schwierigen Ostwahlen

30 Jahre nach der Wende, die auch Umweltschützer anstießen, stehen die Grünen vor einer Zäsur: Zweistellige Ergebnisse und drohende Zerreißproben.

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Katja Meier und Wolfram Günther, Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für die Landtagswahl in Sachsen, präsentieren im Juli in Dresden ihr Wahlplakat.
Katja Meier und Wolfram Günther, Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für die Landtagswahl in Sachsen, präsentieren im Juli in Dresden ihr Wahlplakat. © Sebastian Kahnert/dpa

Von Simone Rothe und Teresa Dapp

Dresden, Alle in den Osten! Die Grünen klotzen beim Wahlkampf - nicht nur ihre Spitzenleute sind seit Wochen auf Tour. Das Nordlicht Robert Habeck hat in Dresden schon eine Stamm-Joggingstrecke, so oft war der Parteichef zuletzt hier. Kein Wunder: Noch nie war die Chance auf ein zweistelliges Ergebnis in Ostdeutschland so groß wie bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen am kommenden Sonntag - und knapp zwei Monate später dann in Thüringen. Zum Endspurt vor dem Wahlsonntag tagt der Bundesvorstand nochmal in Dresden. Mit Blick auf den barocken Zwinger beschwört die Parteispitze Wechselstimmung.

Die Botschaften werden aggressiver auf diesen letzten Metern. Habeck und Co-Parteichefin Annalena Baerbock teilen ungewohnt heftig aus gegen CDU und SPD, werfen ihnen unseriöse Politik, gar Panik vor. Eigentlich geben die beiden sich konstruktiv, haben sich vorgenommen, über sich zu reden statt über die anderen. Aber nervös sind sie eben auch, die Grünen - aus gutem Grund.

Erstens: In den Umfragen ging es zuletzt nicht mehr bergauf, sondern geradeaus oder bergab. Die Parteien der Ministerpräsidenten - SPD in Brandenburg, CDU in Sachsen - legten zu, auch auf Kosten der Grünen. "Daraus spricht sicherlich ein Stück weit die Sorge, dass die AfD die stärkste Kraft in den jeweiligen Ländern werden kann", sagt Habeck.

Zweitens: Umfragen zwischen 10 und 14 Prozent sind für die Öko-Partei mit dem Wessi-Image immer noch viel mehr als bisher - aber noch ist nicht gewählt. 2014 ging nur die Hälfte der Sachsen zur Wahl. Wer bringt seine potenziellen Unterstützer dazu, auch wirklich ihre Stimme abzugeben?

Drittens: Nach den Wahlen könnte es kompliziert werden. In Brandenburg regiert bisher Dietmar Woidke (SPD) mit den Linken, in Sachsen Michael Kretschmer (CDU) mit der SPD. Beide bräuchten dem Umfragen zufolge die Grünen als dritte im Bunde, um weitermachen zu können. Hier Rot-Rot-Grün, da Schwarz-Rot-Grün mit einer CDU, in der manche - nicht Kretschmer - sich durchaus auch eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen können. Ein Spagat - und wenn die Ergebnisse mäßig werden, schwindet automatisch auch der grüne Einfluss in den Koalitionen.

Dauerhaft hohe Ergebnisse zu meistern

Aber der Preis ist verlockend: Statt in neun Ländern könnten die Grünen in elf mitregieren - und in der ostdeutschen Fläche richtig Fuß fassen. Denn obwohl sie neben Berlin auch in Sachsen-Anhalt und Thüringen als Juniorpartner an der Macht sind, gilt Ostdeutschland nach wie vor als schwieriges Terrain für die Partei.

"Wir wurden früher vor allem als Stadtpartei wahrgenommen. Aber wir haben uns entwickelt. Wir haben gezeigt, dass wir regieren können", sagt Thüringens Spitzenkandidatin und Umweltministerin Anja Siegesmund. Die 42-Jährige ist seit 2014 das Aushängeschild der Grünen in der rot-rot-grünen Koalition von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) - und eine harte Verhandlerin bei grünen Projekten.

Hochburgen hat die Klimaschutzpartei bisher vor allem in den wenigen ostdeutschen Ballungsgebieten und in den Uni-Städten. Nun will sie auch in den Kleinstädten in ländlichen Regionen punkten - sie fehlen auf keiner Rundreise der Wahlkämpfer. "Mit Bienen und Bauern das Land erneuern" - das ist einer der Slogans für Thüringen, wo die Grünen das Agrarministerium im Auge haben.

Von dort stammt Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Sie erzählt von Passanten in ostdeutschen Städten, die ihr früher zuraunten, sie hätten ihr Kreuz heimlich bei den Grünen gemacht. Inzwischen gingen die Menschen selbstbewusster mit ihren politischen Entscheidungen um. "Und es sind die gleich Themen, egal ob in München, Potsdam oder Erfurt, die die Menschen interessieren."

Ist das so? Der Kohleausstieg treibt die Wähler in den Braunkohle-Regionen jedenfalls viel mehr um als in Bayern. Ihren Beschluss von Dresden überschreiben die Grünen denn auch mit "Klimaschutz und Strukturentwicklung als Chance". Darin stehen Sätze wie: "Bündnispartei zu sein, heißt für uns, den Wandel so zu gestalten, dass eine Mehrheit der Menschen ihn bejahen kann und keine Angst vor ihm hat."

Die Spitzengrünen müssen in Dresden noch weiter denken als bis zu den Landtagswahlen. Im Herbst könnte die große Koalition im Bund wackeln, im Winter zerbrechen. In Sachen Programm und Personal könnten die Grünen schnell in einen deutschlandweiten Wahlkampf einsteigen. In Umfragen bleiben sie nah an der Union. Was sich organisatorisch ändern muss in einer Partei, die so schnell wächst und dauerhaft bei 20 Prozent liegt - oder liegen will, das ist in Dresden auch Thema. (dpa)