Kamenz
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Die guten Geister vom Armenhaus

Karin und Rudolf Welk engagieren sich seit vielen Jahren im Heimatverein Reichenau. Auch Pilger aus aller Welt profitieren davon.

Von Ina Förster
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Rudolf Welk feiert am 8. Oktober seinen 80. Geburtstag. Das Engagement im Heimatverein und die vielfältigen Aufgaben in Reichenau halten das Ehepaar fit. Ehefrau Karin (78) ist immer an seiner Seite. Im Dorf kennt sie jeder.
Rudolf Welk feiert am 8. Oktober seinen 80. Geburtstag. Das Engagement im Heimatverein und die vielfältigen Aufgaben in Reichenau halten das Ehepaar fit. Ehefrau Karin (78) ist immer an seiner Seite. Im Dorf kennt sie jeder. © René Plaul

Reichenau. Die 57. Pilgerin für dieses Jahr war vor genau zwei Wochen da. Sie kam aus Thüringen und war allein unterwegs. Ein Foto vom 24. September mit ihr ziert bereits die Chronik der Pilgerherberge Reichenau. Ein paar liebe Worte hat sie dazu geschrieben. Das ist hier so Tradition. Karin und Rudolf Welk kümmern sich mit viel Herzensgüte und Leidenschaft um die Einkehrer. Im ehemaligen Reichenauer Armenhaus können seit dem Buß- und Bettag 2006 Wanderer auf dem ökumenischen Pilgerweg ihre müden Häupter betten. Sonst kommen etwas mehr vorbei. Im Schnitt 120 pro Jahr. Doch 2019 gab es Sanierungsarbeiten im Haus. Die Feuchte drückt immer wieder durchs alte Gemäuer. „Da mussten wir wieder einmal etwas tun und investieren“, sagt Rudolf Welk. Knapp 4 000 Euro brachte der Heimat- und Museumsförderverein Reichenau auf, um das Nötigste zu stemmen. Das meiste stammt aus Spenden der Übernachtungen.

Das hier ist zwar seit 1845 ein Armenhaus gewesen, aber dieser Bestimmung wird es nie wieder zugeführt. Als der Verein das karge Gemäuer 2004 von der Gemeinde für einen symbolischen Wert von einem Euro erwarb, ahnte keiner, was für ein Potenzial in den Wänden schlummerte. Bis 1993 war das Gemeindeamt selbst in einer Hälfte des Gebäudes untergebracht, bevor man nach Reichenbach umzog. Am 25. Dezember 2002 verstarb 93-jährig der letzte Bewohner. Mithilfe des Förderprogrammes Leader Plus begann der Umbau. Zehn Prozent der Eigenmittel und 20 Prozent Eigenleistungen musste der Verein erbringen. Nur noch wenig erinnert heute an die Vergangenheit. Einladend stehen Holztische mit Blumenvasen da, hängen Bilder an den Wänden, warmes Holz, wohin man schaut. In der kleinen Küche warten moderne Gerätschaften. Draußen plätschert geruhsam die Pulsnitz vorbei.

Hunderte Pilger waren seit der Eröffnung da. Haben die Individualität genossen. Dass man den schönen alten Ofen anheizen kann, finden sie toll. Dass im Kühlschrank immer Bratkartoffeln, etwas Speck und Eier vorhanden sind für die, die keine Zeit mehr hatten, sich selbst zu verpflegen, ist nur ein weiteres Detail, warum sich das Armenhaus Reichenau zu einem viel empfohlenen Ort der Einkehr gemausert hat. Auch die frisch gewaschene und gerollte Bettwäsche im Obergeschoss begeistert. Und vor allem kommt die persönliche Betreuung der Welks an. Karin Welk gibt den Pilgern meistens eine Einführung in die Heimatkunde. „Viele sind dankbar für Hintergrundwissen“, weiß sie. Und alle loben die schöne Gegend. Bis aus Zürich oder Holland, Berlin oder Celle, Hamburg oder „nur“ aus Leipzig kommen die Pilger. Der Spagat zwischen historischer Neugestaltung bis ins Detail und modernen Kapazitäten ist geglückt. Im Obergeschoss können Wanderer übernachten, aber auch Familienfeiern bis 20 Personen, Männer- und Frauenabende , Adventssonntage und Lichterfeste finden hier statt. Günstig gelegen ist das Häuschen nämlich mitten im Ort und durch einen glücklichen Umstand an der Via Regia, dem Jacobsweg. Sanitäre Einrichtungen wurden nötig. Trotzdem arbeitete der Verein immer eng mit dem Denkmalschutz zusammen, wurden wertvolle Details erhalten. Dass am 8. Oktober im Hause Welk gefeiert wird, wissen viele im Haselbachtal. Aber der Jubilar selber möchte eigentlich gar kein Aufhebens um seine 80 Jahre machen. „Das gehört doch nicht in die Zeitung“, sagt er bescheiden. Doch das sehen einige anders. Allen voran seine liebe Ehefrau Karin.

56 Jahre lang sind sie miteinander verheiratet. Beide engagieren sich seit den Anfängen des Heimat- und Museumsfördervereines Reichenau für die gute Sache. Kein Tag vergeht, dass sie beide nicht irgendetwas planen, ausführen oder Ideen umsetzen. Seit 18 Jahren führt Rudolf Welk nun schon den Verein. Knapp 20 Mitglieder engagieren sich. An Nachwuchs fehlt es wie überall. Doch eine Nachfolge hat man im Blick. Darüber hinaus kümmerte sich Rudolf Welk in den 70er-Jahren um den Bau der Kegelbahn im Ort und leitetet Ende der Achtziger den Bau der Gemeinschaftsantennenanlage. Zusammen mit Mitgliedern des Heimatvereines schrieb er Biografien der Gefallenen und Vermissten des Zweiten Weltkrieges auf. Auch das seit 1930 bestehende Heimatmuseum in der alten Schule wird gepflegt. Das Ehepaar bietet Führungen für Grundschulklassen an und begrüßt Klassentreffen im Haus. Aktuell wird eine historische Wäscherolle rekonstruiert und ein Raum dafür im Museum eingerichtet. Zu tun gibt es ständig etwas. Und auch mit 80 Jahren wird Rudolf Welk nicht müde, etwas für die Gemeinschaft zu tun. „Ehre, wem Ehre gebührt“, sagt Karin Welk deshalb. „Fast sein ganzes Leben lang ist er Initiator und Organisator für viele positive Veränderungen in der Gemeinde – zum Wohle aller“, sagt die 78-Jährige stolz.