Von I. Hennig und M. Marcziniak
Vor einer Weile stand die kleine Heilige Barbara noch in einem Entwässerungsschaft des polnischen Energiekonzerns PGE. Bergleute haben ihr zu Füßen immer ein Schälchen mit Milch und Essen hingestellt. Eine Opfergabe an die Schutzpatronin der Bergleute war dies nicht. Sondern ein Mahl für die Ratten, die es unter Tage gibt – wenn alles in Ordnung ist. War das Schälchen leergefressen, wussten die Bergleute: Es sind Ratten hier und ihnen geht es offensichtlich gut. Also alles okay im Schacht. Blieben die Gaben unberührt, wussten die Männer, die Ratten sind fort und etwas stimmt hier nicht. Die Luft vielleicht, die Statik. Ratten sind schlau.




Die kleine Barbara aber steht nicht länger im Schacht. Sie ist umgezogen. Erst nach Zgorzelec in die Kirche Josef Robotnik beziehungsweise in die Unterkirche, die der Heiligen Barbara gewidmet ist. Inzwischen steht sie in einer anderen Kirche der Heiligen Barbara in Zielonka (Alt Kohlfurt), das bei Wegliniec (Kohlfurt) liegt.
Dass sie überhaupt steht, beziehungsweise entstanden ist, ist eine dieser merkwürdigen Geschichten, die sich zwar erzählen lassen. Für die es aber nicht leicht eine Erklärung gibt. Barbara von Nikomedien jedenfalls lebte wohl im dritten Jahrhundert und wurde der Überlieferung nach von ihrem Vater enthauptet. Denn sie hatte sich geweigert, ihren christlichen Glauben und ihre jungfräuliche Hingabe an Gott aufzugeben. Ihr Ehrentag ist der vierte Dezember. Sie gehört zu den sogenannten 14 Nothelfern und ist nicht nur Patronin der Bergleute, sondern auch anderer Gewerke bis hin zu so modernen Berufsständen wie Kampfmittelbeseitigern und Pyrotechnikern.
In Polen war die Verehrung der Heiligen Barbara nicht gern gesehen. Die lokalen kommunistischen Behörden und die Verwaltung des Tagebaus Turów gestatteten es nicht, religiöse Symbole auszustellen und den Kult um die Heilige zu pflegen. Doch am 11. Oktober 1981 kam Kardinal Henryk Gulbinowicz, Erzbischof aus Wroclaw zum Tagebau Turów. Eingeladen hatte ihn die Gewerkschaft Solidarnosc. Gemeinsam feierten sie einen Gottesdienst, bei dem nicht nur die Fahne der Gewerkschaft geweiht wurde, sondern auch drei Figuren der Heiligen Barbara. Wer der Auftraggeber für die Figuren aus Gips-Zement gewesen ist, ist nicht bekannt. Auch den Künstler kann niemand nennen. Auf jeden Fall waren es drei unterschiedliche Darstellungen, zwei davon relativ groß, die dritte nur einige Dutzend Zentimeter hoch.
Die Heilige wurde bald bedeutsam für oppositionelle Kräfte im Nachbarland. Als in den 1980er Jahren das Kriegsrecht in Polen eingeführt wurde, wählte sich die demokratische Untergrundbewegung die Märtyrerin Barbara zur Wächterin über die schwierige und gefährliche konspirative Arbeit. Diese Suche nach Hilfe kam nicht von ungefähr. Denn, wer beispielsweise regierungskritische illegale Publikationen und Broschüren verteilte, und in den Straßen verstreute, dem drohte Haft. Etwa ein Dutzend politischer Aktivisten aus den Reihen der Demokratiebewegung wurde von „unbekannten Tätern“ sogar ermordet.
Abgebrannt und wiederentdeckt
Die drei neuen Barbaras von 1981 wurden verteilt. Eine kam, wie erwähnt, in den Schacht und steht heute in Zielonka. Die zweite wurde vorm Bürogebäude der Geschäftsleitung des Turówer Tagebaus aufgestellt und befindet sich noch immer dort. Die dritte ist seit 1983 vor der katholischen Kirche Herz Jezu in Porajów (Poritsch) bei Bogatynia (Reichenau) zu finden. In einer Art Nische und geschützt durch ein Gitter.
Die Geschichte um die drei Heiligenfiguren brachte schließlich eine vierte Barbara neu zu Ehren. Jene nämlich, die einst in einem Gotteshaus an der heutigen Bialogórska Straße von Bogatynia stand. Im 14. Jahrhundert als Holzkapelle errichtet, von den Hussiten niedergebrannt, als Hallenkirche wiederaufgebaut, wurde sie schließlich zu einer der eindrucksvollsten Kirchen in der Oberlausitz. 1819 erhielt das da schon lange evangelische Gotteshaus einen neuen Altar. Geschaffen übrigens von Bildhauer Josef Gareis aus Ostritz. Zumindest zum großen Teil. Denn Gareis forderte für die Fertigstellung der Figuren mehr Geld. Als er das nicht bekam, schickte er seine Arbeit unvollendet nach Reichenau. Der böhmische Bildhauer Suckel aus Niemes (heute Mimon) hat ihnen dann den letztgültigen Schliff verpasst.
Zum Altar gehörte eine Darstellung der Heiligen Barbara. Die landete mit weiteren Skulpturen in den 1960er Jahren in der katholischen Pfarrkirche zur Unbefleckten Empfängnis Marias an der Kurowska-Straße. Und wurde hinter der Orgel, verborgen unter einer Plane, aufbewahrt. Zuvor war ihr „angestammtes Gotteshaus“ durch Brandstiftung zerstört worden.
1986 kam mit Kazimierz Adamczuk ein neuer Pfarrer in die Gemeinde an der Kurowska-Straße. Ihm wurde klar, wie viele Bergleute es unter seinen Schäfchen gab. Er erfuhr von der Weihe der drei Barbara-Figuren einige Jahre zuvor. Und beschloss, eine eigene Heilige für die Kirche anzuschaffen. Dann aber schaute er sich mit Gemeindemitgliedern an, was da hinter der Orgel verborgen war – und fand die Barbarafigur. Sie wurde wieder aufgestellt und war am 3. Dezember 1986 zur Bergmannsmesse in der Kirche wieder im Dienst.