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Die heimliche Wirtschaftsmacht

500 Leute arbeiten im Rewe-Zentrallager im Nossener Ortsteil Starbach – und Hunderte rundrum. Das weiß nur niemand.

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© hübschmann

Von Christoph Scharf

Vorsicht bitte! Die Gabelstapler fahren nicht nur verdammt leise, sondern auch ziemlich schnell. Und zahlreich: Dutzende von ihnen rollen gleichzeitig durch die langen Gänge. Wer nicht schnell genug zur Seite tritt, erntet einen Hupton. Kein Wunder: Die Fahrer in den blauen Anoraks haben eine Mission zu erfüllen. Sie stapeln ganze Paletten Milch, Mehl oder Marmelade in die Regale. Oder Cola, Kekse, Knäckebrot. Was auch immer die Kunden in einem von Hunderten Rewe- oder Penny-Märkten in weitem Umkreis kaufen wollen, muss zuerst hier durch: im Rewe-Logistikzentrum Starbach, einem Ort mit knapp 290 Einwohnern nahe Nossen.

Das Dorf selbst wird von Bauernhöfen, Holzscheunen, gepflegten Vorgärten dominiert. Es gibt einen Landgasthof, ein Feuerwehr-Gerätehaus und eine Ampel in Starbach – aber nur, weil die Dorfstraße dort so eng ist, dass zwei Autos nicht aneinander vorbeipassen. Gleichzeitig beherbergt der Ort aber auch einen der größten Arbeitgeber des Landkreises – rund 500 Mitarbeiter gehören zum Logistikzentrum, das der Einzelhandelsriese Rewe 1993 an der A 14 eröffnete. Die Lage an der Autobahn ist perfekt, um die Region zwischen Leipzig und Zittau, Cottbus und südlich von Berlin zu versorgen. Dafür rollen täglich Hunderte Lkws die eigene Zufahrt hinab, die den sinnigen Namen Rewestraße trägt.

Ein ausgeklügeltes System sorgt dafür, dass dabei kein Chaos entsteht. „Wir haben allein 184 Tore, an denen nebeneinander Lastzüge andocken können“, sagt Frank Hunger, einer von zwei Lagerleitern. Mehr als 1 000 Lieferanten beliefern das Depot, wo die Regale bis dicht unter die 14 Meter hohe Hallendecke reichen. In Windeseile entladen die Staplerfahrer die Lkws. Strichcodes auf den Paletten und ein kleiner Computer auf dem Gabelstapler verraten, wo genau die Ware hin muss. „Bei uns geht nichts verloren“, sagt der Riesaer. Ein Kunststück bei einer 65 000-Quadratmeter-Halle – die ungefähr so groß ist, wie das gesamte Dorf daneben.

Das profitiert erst auf den zweiten Blick vom benachbarten Logistikzentrum. Einige Mietwohnungen sind von Leiharbeitern belegt – die meisten Rewe-Leute pendeln aus dem größeren Umkreis her. Auf einen sanierten Gasthof samt Hotel müsste Starbach ohne Rewe wohl verzichten. „Ohne den Nachbarn hätte ich mich nicht an das zwölf Jahre lang leerstehende Objekt gewagt“, sagt Inhaber Eugen Siegle. So sind seit fünf Jahren die Zimmer regelmäßig durch Rewe-Geschäftsleute belegt, dazu kommen Familienfeiern. „Wir sind ausgebucht bis 2015“, sagt der Wirt.

Denn zusätzlich zu den Lager-Fachkräften mit dem Rewe-Schriftzug auf den Anoraks verschafft das Logistikzentrum noch viel mehr Leuten Arbeit. „Von Reinigungskräften über Wachleute bis hin zu Wartungstechnikern – so ein Standort entwickelt immer eine Eigendynamik auf sein Umfeld“, sagt Lars Fiehler von der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Dresden. Vor allem etliche Speditionen verdienen damit Geld, etwa die Spedition Pfenning Logistics aus dem badischen Heddesheim. Allein in Starbach sind für Pfenning 65 Fahrer im Einsatz, um kurz nach Mitternacht mit Lastzügen auf minutiös geplante Touren zu starten, die sie bis nach Magdeburg oder an die polnische Grenze führen.

Auf dem Hinweg haben sie auf einzelnen Rollwagen genau die Waren mit, die jeder einzelne Rewe oder Penny am Vortag bestellt hat. Auf dem Rückweg sind Leergut oder Retouren dabei. Da kann einiges zusammenkommen: Allein 700 Sonderangebote hat Rewe nächste Woche im Sortiment. Zum Standard-Trockenangebot hören 8 800 Artikel. „Dazu zählt alles, was nicht gekühlt oder gefroren ist“, sagt Frank Hunger. In der Abteilung mit dem Gemüse versteht man, warum seine Kollegen dicke Anoraks tragen; beim Speiseeis, warum auch noch Thermohandschuhe, Stiefel und wattierte Kapuzen dazu kommen. Immerhin: Trotz minus 24 Grad Kälte liegt hier kein Schnee – gut für die Gabelstapler.