Merken

Die Kleeblattfinderin

Irene Pagel aus Weida hat fast 40 000 vierblättrige Glücksbringer gefunden. Abergläubisch ist sie aber nicht, sagt sie.

Teilen
Folgen
© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Irene Pagel ist von einem Sammelfieber befallen. Kleeblätter haben es ihr angetan. Natürlich keine ganz normalen, sondern jene mit vier Blättchen. Mehr als 39 000 Stück besitzt sie inzwischen. Und es werden immer mehr – fein säuberlich laminiert, lagern sie in dicken Mappen. Jeder Fund wird in einem Schulheft dokumentiert. An manchen Tagen entdeckt sie mehrere dutzend vierblättrige Kleeblätter.

Als besonderen Glückspilz würde sich die 70-Jährige jedoch nicht beschreiben. „Ich schaue einfach nur genauer hin als andere.“ In Weida, wo sie mit ihrem Mann lebt, hat sie ihren Spitznamen weg: die Kleeblattfrau. Doch genau hinzusehen ist nur ein Teil ihres Geheimnisses. Der andere ist ihr geschulter Blick. Wo andere nur „grüne Wiese“ sehen, erkennt Irene Pagel offensichtlich Details. „Ich entdecke ein Kleeblatt, das mehr als drei Blättchen hat, auch vom Fahrrad aus. Andere starren eben nur auf ihr Smartphone, wenn sie unterwegs sind.“ Charakteristisch an den vielblättrigen Kleeblättern sei, dass sie von oben aussehen wie kleine Blumensträuße. „Die Blättchen verdrehen sich.“ Und so finden sich in ihrer Sammlung nicht nur Vierblättrige, sondern auch solche mit fünf oder sechs Blättchen. Ihr Rekord: ein zehnblättriges Kleeblatt. Doch das klassische vierblättrige Exemplar ist ihr immer noch am liebsten. „Mein Mann sagt dann immer, ich soll die anderen Blättchen einfach abreißen. Das kommt bei mir nicht infrage.“

Das erste vierblättrige Kleeblatt hat Irene Pagel gar nicht gesucht. Es hat sich ihr quasi aufgedrängt. „Das war vor acht Jahren. Mein Mann und ich haben einen Ausflug nach Brandis gemacht. Wir waren dort Eis essen und sind spazieren gegangen.“ Sie seien zügigen Schrittes gegangen. Da habe es sie plötzlich „angeschaut“ – ihr erstes vierblättriges Kleeblatt. Als habe es Irene Pagel finden wollen und nicht umgekehrt. „Als Kind habe ich nie welche gefunden. Von da an habe ich mir gesagt: Ab jetzt hältst du häufiger Ausschau.“ Gesagt, getan. Anfangs wollte sie Hundert Kleeblätter zusammenbekommen, danach 500. Doch irgendwann merkte sie: „Das hört nicht mehr auf.“ Dazu kommt der Ehrgeiz, an jedem neuen Ort ein vierblättriges Exemplar zu finden.

Die ersten Fundstücke hat Irene Pagel noch eingerahmt, dann aber bemerkt, dass die Blättchen ausbleichen – ihr frisches Grün verlieren und unansehnlich gelb werden. Dann kam sie auf die Idee, die Blätter zu laminieren. So bleiben sie grün. Mit ihrer Sammelleidenschaft hat es Irene Pagel sogar schon ins Fernsehen geschafft. 2012 war ein Filmteam der MDR-Sendung „Außenseiter-Spitzenreiter“ bei ihr zu Hause. Eine Interviewkarte der Moderatorin Madeleine Wehle hängt noch an der Pinnwand im Wohnzimmer. Damals besaß die Sammlerin 8000 Kleeblätter. Eine läppische Anzahl – aus heutiger Sicht.

Das Schönste an ihrem Hobby seien die Gespräche darüber. „Die Leute wollen wissen, was ich suche. Die meisten vermuten Pilze oder Kräuter.“

Mit 69 Jahren ins Tattoostudio

Viele würden dann selbst anfangen, Ausschau nach den Glücksbringern zu halten und würden fündig. „Das freut die Leute dann ungemein. Man vermittelt Glück. Das ist das Tolle daran.“ Wer häufig auf den Boden schaut, sieht natürlich auch andere Dinge: Geld zum Beispiel. „Ich habe sogar schon mal einen Einhundert-Euro-Schein gefunden.“ Die ehrliche Finderin hätte das Geld abgegeben, aber: „Da war wirklich niemand – weit und breit.“ Glück gehabt. Dass das mit ihrer immensen Zahl an vierblättrigen Kleeblättern zusammenhängt, glaubt sie nicht. Denn abergläubig sei sie nicht – zumindest nicht richtig. Aber ohne ein vierblättriges Kleeblatt steigt sie dann doch nicht ins Auto, wenn es in den Urlaub geht.

Da ist sie ganz offen. „Am Ende weiß man ja doch nicht, ob es was gebracht hat.“ Natürlich hat sich ihr Hobby auch schon rumgesprochen. Bei einigen Menschen gilt sie als zuverlässiger Glücksbringerlieferant – oder gar als eine Art Heilsbringerin. „Wir sind jahrelang in ein Gästehaus nach Bayern gefahren. Als wir vor ein paar Jahren dort waren, war die Wirtin gerade in einer Rehaklinik. Es sah schlecht aus.“ Sie habe ihr ein gerahmtes Kleeblatt gebracht. „Es ging ihr danach besser.“ Einige Verwandte würden bis heute glauben, dass ihr das Kleeblatt Glück gebracht habe. „Aber ich bin nicht schuld, wenn es Unglück gibt“, betont sie.

Ihr Lieblingskleeblatt trägt Irene Pagel sogar auf dem Arm – als Tattoo. Eins der vier Blättchen hat eine herzförmige Aussparung. Vor einem Jahr ließ sie sich das Bildchen stechen. „Meine Enkelin hat gesagt: Oma, jetzt bist du völlig verrückt geworden.“ Hat es wehgetan? „Nein“, sagt Irene Pagel „Es war etwas kritisch, weil ich zu dem Zeitpunkt Blutverdünner nehmen musste. Aber geschmerzt hat es nicht. Wenn man das wirklich will, tut es nicht weh.“