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Die Kreuzfahrerin

Als Crew-Mitglied auf der Aida hat Cynthia Thor immer Urlaub – und doch nie. Ein gelebter Traum von Freiheit.

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© Aida Cruises

Von Henry Berndt

Dresden. Palma, Rom, Florenz, Marseille, Barcelona. Fünf Höhepunkte in sieben Tagen. Da glüht der Fotoapparat. Auf einem Bild das Kolosseum, auf dem nächsten die Sagrada Familia. Kann man mal machen. Auch bei der zweiten Runde entdeckte Cynthia Thor noch versteckte Schätze, bei der dritten wusste sie dann, wo es die beste Pizza gibt. Und spätestens jetzt, nach zwölf Runden durchs Mittelmeer, kann die 31-Jährige sagen: Sie kennt sich ein bisschen aus in Südeuropa.

Im Frühjahr will Cynthia Thor nach Nordeuropa zurückkehren.
Im Frühjahr will Cynthia Thor nach Nordeuropa zurückkehren. © Aida Cruises

Als Teil der Crew arbeitete Cynthia Thor zuletzt zweimal mehrere Monate lang auf Aida-Schiffen. Ab April vergangenen Jahres schipperte sie zunächst durch den nördlichen Atlantik. Großbritannien, Irland und Island standen bei 14-Tages-Rundfahrten auf dem Programm. Ab Herbst war sie dann regelmäßig auf siebentägiger Mittelmeertour.

Auf den Schiffen kümmerte sich die aus Kamenz stammende Wahl-Dresdnerin als Redakteurin um die sogenannten Bordmedien. Jeden Tag erstellte sie einen sechsseitigen Flyer mit dem Tagesprogramm, der abends in den Kabinen verteilt wurde. Welcher Shop hat wann geöffnet? Was kommt im Kino? Aber mehr als das: Alles, was auf den Schiffen gedruckt werden musste, ging über ihren Tisch. Ob die Menükarten für die Restaurants oder ein Hinweisschild: „Raucherbereich gesperrt“.

Wie aber kommt man aus Dresden auf die Aida? Indem man sein geregeltes Alltagsleben über Bord wirft. „Ich bin im wahrsten Sinne zu neuen Ufern aufgebrochen“, sagt Cynthia Thor, die nach ihrem Master-Studium der Medienwissenschaft in Dresden zunächst für regionale Fernsehsender arbeitete, bevor sie zuletzt als Videoproduzentin bei der Sächsischen Zeitung im Einsatz war. „Eine Freundin von mir arbeitete schon bei Aida und hat mich gefragt“, sagt sie. „Da konnte ich einfach nicht widerstehen.“

Bammel vor der Übelkeit

Die Voraussetzungen schienen ideal: Sie reiste sowieso gern, war schon in Südafrika und den USA. Und sie war auch nicht privat gebunden – weder an Freund noch an Haustier. Als sie dann noch ihre Wohnung kündigte, war sie bereit für ihr berufliches Abenteuer. Jetzt hätte ihr nur noch die Seekrankheit übel mitspielen können. „Davor hatte ich wirklich Bammel“, sagt sie. Glücklicherweise spielte ihr Magen mit, auch, weil sie eine wichtige Grundregel befolgte: bei Seegang immer essen!

Eine andere Grundregel lautet: Freie Tage sind auf dem Schiff selten. Und so reiste sie monatelang zu Traumzielen, von deren Vorzügen sie selbst oft wenig bis nichts selbst genießen konnte.

Für ihren Job brauchte sie nicht mehr als ein Büro mit Computer und Drucker. Mit den Gästen kam sie kaum in Kontakt – im Unterschied zu den Animateuren, mit denen sie abends gern mal auf ein Gläschen an der Bar zusammensaß. Auswahl an netten Crew-Kontakten hatte sie reichlich. Immerhin arbeiten auf der Aida Perla, mit der sie durchs Mittelmeer fuhr, rund 900 Leute aus 40 Nationen. Damit gehört die Perla zu den größeren von derzeit insgesamt zwölf Schiffen der Aida-Familie.

In der Regel fahren die Schiffe nachts und legen am frühen Morgen an. Wenn dann die Gäste an Land gehen, setzt sich die 31-Jährige an den Schreibtisch. Das kann schon mal stressig werden, wenn gerade mal wieder alle auf einmal neue Flyer und Karten haben wollen. „Aber ich habe festgestellt, dass Stress etwas typisch Deutsches ist“, sagt sie. „Ich hab mir das mit der Zeit abtrainiert.“

Manchmal, wenn die Kreuzfahrt Pause machte, konnte auch die Kamenzerin für ein paar Stunden von Bord gehen. „In Reykjavík haben wir uns spontan ein Auto gemietet und sind zu Geysiren und zum berühmten Wasserfall Gullfoss gefahren.“ Andere Höhepunkte konnte sie direkt vom Schiff aus verfolgen, so etwa die Mitternachtssonne am Nordkap oder Hafeneinfahrten durch bezaubernde Fjorde.

Spätestens zu Weihnachten wurde es besinnlich. „Als das ganze Schiff ‚Stille Nacht‘ gesungen hat, liefen viele Tränen. Auch bei mir.“ Später wurden sogar Plätzchen gebacken und Geschenke verteilt. Es war ihr erstes Weihnachtfest ohne Familie – irgendwo auf dem Mittelmeer auf dem Weg nach Palma de Mallorca.

Überraschender Besuch

Ihre Eltern konnte Cynthia Thor jedoch wenige Wochen später in die Arme schließen. Auf der Aida. „Eigentlich reisen sie immer sehr individuell“, sagt sie. „Ich habe anfangs auch nicht geglaubt, dass das etwas für sie ist.“ Doch die Eltern ließen sich nicht von ihrem Plan abbringen und begleiteten ihre Tochter im Januar durchs Mittelmeer. „Sie fanden es am Ende gar nicht so übel“, sagt sie und lacht.

Vor wenigen Tagen reisten die Eltern zurück nach Kamenz – samt Tochter. Hier richtet sie sich vorübergehend wieder in ihrem alten Kinderzimmer ein. Lange bleiben wird sie allerdings nicht. Schon Ende März zieht sie das Fernweh wieder hinaus auf die See. Für den Frühling und Sommer geht es wieder gen Norden. Fast wie Urlaub – nur ohne Urlaub.