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Die Krise stemmen

Immer neue Dopingfälle und angedrohte Kürzungen – wie gehen Gewichtheber mit dem Negativ-Image um? Ein Besuch an der Basis in Eibau.

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© Robert Michael

Von Daniel Klein

Für die Erwachsenen unter den Zuschauern hat der Hallensprecher am Ende noch eine gute Nachricht: Freibier. Es ist nicht nur das beste Ergebnis, sondern auch der letzte Wettkampf der Saison, die Fortschritt Eibau auf Platz elf beendet. Damit ist der Klassenerhalt in der Gewichtheber-Bundesliga mal wieder geschafft. Das alles soll gebührend begossen werden.

Wenn der Sportlerball ruft, wird der Wettkampf schon mal in Pumps beendet.
Wenn der Sportlerball ruft, wird der Wettkampf schon mal in Pumps beendet. © Robert Michael

Natürlich greifen auch die Heber zur Flasche, müssen sich jedoch beeilen, die Sportlergala in Zittau steht noch an. Das zeitlich zu koordinieren, ist an diesem Samstagabend das größte Problem. Alle anderen sind ganz weit weg.

Dabei gibt es gravierende. Ihnen auszuweichen geht nicht, man stolpert zwangsläufig über den Dopingsumpf, liest von der schmutzigsten Sportart. Es sind Formulierungen, die immer wieder auftauchen, wenn es derzeit ums Gewichtheben geht. Dies als journalistische Übertreibungen abzutun, fällt schwer angesichts der Faktenlage. Allein 47 gedopte Heber wurden bei Nachkontrollen der Spiele 2008 und 2012 erwischt – keiner davon kam aus Deutschland. Eine Spanierin ärgerte sich vor fünf Jahren in London noch über Platz vier, inzwischen ist sie Olympiasiegerin.

Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, kündigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière an, im Zuge der Leistungssportreform künftig dopingverseuchten Sportarten und solchen mit geringen Medaillenchancen die staatlichen Förderungen drastisch zu kürzen oder gänzlich zu kappen. Kurzum: Dem Gewichtheben ging es hierzulande schon mal besser.

In Eibau ist davon an diesem Abend nichts zu spüren. Knapp 100 Zuschauer wollen den Kampf gegen die Mannschaft vom AC Germania St. Ilgen aus Baden-Württemberg sehen. Der zweijährige Knirps ist gekommen, sein 82-jähriger Opa, die Halle, die zu DDR-Zeiten mal eine Kantine war und der man das Alter ansieht, ist gut gefüllt. Beifall bekommen auch die Auswärtigen, die Einheimischen werden mit Trommel und Fanfare angefeuert. Die Zurufe aus den Sitzreihen verraten, dass hier Wiederholungstäter vor Ort sind. „Hol sie dir“ und „ordentlich Druck“ wird empfohlen. Meistens hilft das auch.

Eibau gewinnt den Kampf klar, der Kapitän von St. Ilgen bedankt sich beim „außerordentlich fairen Publikum“ und sagt, dass es „sehr viel Spaß“ gemacht habe, hier zu heben. Zum Abschluss gibt es ein dreifaches „Kraft frei“, dann steht man beieinander, mit der Flasche in der Hand, kauft sich noch eine Bockwurst für zwei Euro. Die zu häufig gebrauchte Formulierung von der Sportfamilie – hier passt sie wirklich.

Steve Burkhardt hebt, seit er sechs ist. Jetzt ist er 31. Für eine Weltmeisterschaft oder Olympia hat es nie gereicht, trotzdem zählt er zu den Publikumslieblingen. Auf der Bühne in Eibau, die ebenerdig und damit streng genommen keine ist, schreit er nach gültigen Versuchen in martialischer Lautstärke und spannt dabei die Bizepsmuskeln. Ein bisschen Show muss sein.

Beim Stichwort Imageproblem fallen ihm die Vorurteile ein, die es übers Gewichtheben gibt: Dass man sich Rücken und Knie ramponiert und zwangsweise übergewichtig wird. Beides stimme natürlich nicht, sagt er, mit seinen durchtrainierten 85 Kilo ist er der beste Gegenbeweis. An Doping und angedrohte Kürzungen denkt er erst auf Nachfrage. „In Deutschland zu dopen, ist nahezu unmöglich“, sagt er und meint damit die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden. In Osteuropa dagegen nimmt man das offenbar gewissenlos in Kauf. Heber aus Russland, Bulgarien, Kasachstan, Aserbaidschan, Armenien, der Türkei und Weißrussland fallen immer wieder – im schlechten Sinne – positiv auf.

Schuld daran hat für Thomas Faselt auch der Weltverband, der vor allem eines macht: viel zu wenig. „Das ist die absolute Katastrophe“, meint Faselt, der zehn Jahre am Leistungszentrum in Leimen als Bundestrainer war. Nun ist er wieder zurück in Görlitz und betreut von dort aus die sächsischen Talente wie den 16-jährigen Eibauer Erik Ludwig.

An diesem Abend stellt der eine neue Bestleistung auf, Faselt traut seinem Schützling zu, später mal bei einer EM oder WM zu starten – wie schon einige Eibauer vor ihm. Dann aber soll es endlich gerechter zugehen auf den Heberbühnen. Der 49-Jährige gibt die Hoffnung nicht auf. „Wenn den Russen weiterhin so auf die Finger geklopft wird, könnte das einen Dominoeffekt auslösen“, hofft er. „Denn die Russen werden sehr genau darauf achten, dass ihre ehemaligen Teilrepubliken sie nicht betrügen und um ihre Erfolge bringen. Vielleicht wird unser Sport so sauberer.“ Faselt gehört zu den Berufsoptimisten.

In Eibau ist Doping kein Thema. Auf Heber aus Osteuropa greift der Verein nur in personellen Notlagen zurück, bei der Bundesliga-Konkurrenz ist das dagegen die Regel. Ablesen lässt sich das auch in der Tabelle. „Wir müssen dadurch auch mal einen Abstieg in Kauf nehmen“, erklärt Burkhardt. „Das ist dann eben so.“ Dafür, plädiert Faselt, gehört der Titel „Stärkstes Dorf Deutschlands“ an einen Ort, der ausschließlich auf den eigenen Nachwuchs setzt – nach Eibau also.

Damit ließe sich Werbung machen, doch mit Sponsoren ist das so eine Sache in dieser Sportart – noch dazu in der strukturschwachen Oberlausitz. In großen Städten gebe es große Firmen, sagt Burkhardt. Umgekehrt gilt das auch. Gewichtheben ist vor allem auf dem Dorf eine große Nummer. Für seine Einsätze in der Bundesliga und die mindestens drei Trainingseinheiten pro Woche bekommen Burkhardt und seine Mannschaftskollegen eine Aufwandsentschädigung. „Viel mehr als Benzingeld ist nicht drin“, sagt er. Klagen will er darüber nicht, er kennt es nicht anders. „Wer mit seinem Sport reich werden will, muss woanders hingehen.“

Der sächsische Gewichtheberverband finanziert sich „zu 89 Prozent aus öffentlichen Zuschüssen“, erklärt Faselt. „Wir hängen an diesem Tropf.“ Um ein wenig Geld in die klammen Kassen zu bekommen, bieten viele Vereine in ihren Räumen Fitnesskurse an. In Eibau wurde zudem eine Kletterwand eingebaut.

Wenn der Bundesinnenminister Mittelkürzungen androht, weil die Medaillenaussichten mau sind, schrillen bei den Betroffenen die Alarmglocken. Entsprechend deutlich wurden die Proteste formuliert. „Wir werden im Wettkampf beschissen, weil wir gegen die Gedopten keine Chance haben. Jetzt will man uns doppelt und dreifach bestrafen und uns auch noch die Förderung wegnehmen“, klagte Almir Velagic aus Speyer, bei den Spielen vergangenen Sommer in Rio de Janeiro als Neunter bester Deutscher.

Die Empörung zeigte Wirkung. Inzwischen ist keine Rede mehr von radikalen Einschnitten. Faselt fürchtet die anstehenden Reformen deshalb auch nicht, er warnt allerdings vor Schnellschüssen. Und er mahnt, dass man die Basis, also die Ehrenamtlichen und die Talentschmieden, dabei nicht vergessen dürfe. „Mit uns in den Landesverbänden hat bis jetzt noch niemand gesprochen.“ Die Reform werde ja auch „von oben“ gedacht statt „von unten“.

In Eibau wundert man sich darüber nicht. Vielleicht ist das einfach so, wenn man etwas abseits liegt. Und vielleicht hat man hier auch einfach schon zu viel erlebt. Die Wimpel und Pokale an der Wand sind stolz aufgereiht, der älteste stammt von 1975. Beim Saisonfinale stehen sie jedoch unbeobachtet hinter Glas. Der Trainer der SG Fortschritt hat andere Sorgen, er muss für Biernachschub sorgen. Der Weg mit der Kiste in der Hand führt direkt über die Heberbühne. Krise? Welche Krise?