Von Georg Ismar undJan-Uwe Ronneburger
Für Antonia Maria Freude war Vallegrande im bolivianischen Dschungel ein friedlicher kleiner Ort wie Brochterbeck, ihre Heimat im Münsterland. Doch im Oktober 1967 wimmelte es plötzlich von Militärs und Journalisten in dem Ort. „Auf einmal waren überall so viele Leute aus aller Welt“, erinnert sich die 71-jährige Ordensschwester. Ein Jahr zuvor ist sie von Deutschland nach Bolivien in die Mission gegangen und arbeitet in der Entbindungsstation im Hospital „Señor de Malta“, als die Revolution an die Tür klopft. Ernesto Che Guevara wird in das Krankenhaus gebracht, damals einer der meistgesuchten Männer der Welt.
Nach einer erfolgreichen Revolution 1959 in Kuba und einem missratenen Intermezzo 1965 im Kongo, hatte er im tropischen Tiefland Boliviens versucht, ein zweites Vietnam zu entfachen – und scheiterte kläglich. 58 Mitstreiter hatte Che, vor allem aus Kuba, Bolivien und Peru. Darunter auch die Deutsche Tamara Bunke, die er 1960 als 23-jährige Studentin in Leipzig kennengelernt hatte. Die in Buenos Aires geborene Tochter deutscher Kommunisten soll auch seine Geliebte gewesen sein. Bei einem Schusswechsel am Río Grande wird Tamara Bunke am 31. August 1967 getötet. Sechs Wochen später erwischt es den Comandante selbst.
Ein betrunkener Feldwebel
Am 8. Oktober 1967 um 15Uhr wird der frühere Präsident der kubanischen Nationalbank, der in dieser Funktion die Peso-Noten nur mit „Che“ zeichnete, bei dem Dorf La Higuera gestellt. Wie ein Häufchen Elend steht der erschöpfte, wehrlose Guevara mit schwarzen verfilzten Haaren neben stolz posierenden Bolivianern. „Das Militär warf Hunderte Handgranaten in die Schlucht, wo Che mit seiner Gruppe ausharrte. Sie haben ihn keine 300 Meter von uns entfernt festgenommen“, erinnert sich Guerillakämpfer „Benigno“ Dariel Alarcón.
Die Bolivianer wollen einen Prozess vermeiden. Am 9. Oktober torkelt ein betrunkener bolivianischer Soldat in ein schäbiges Schulhäuschen, wo Guevara gefangen gehalten wird, und mäht ihn mit zwei Salven aus seinem Schnellfeuergewehr nieder. Feldwebel Mario Terán, der sich Mut für die ihm befohlene Tat angetrunken hatte, machte sein Opfer damit unsterblich: Der Mythos vom edlen Revolutionär Che Guevara ist geboren. „Ziele gut, du erschießt einen Mann“, sollen dessen letzte Worte gewesen sein.
Die Leiche wird per Hubschrauber nach Vallegrande gebracht und dort in der Waschküche des Krankenhauses aufgebahrt. Schwester Antonia Maria Freude macht sich in der folgenden Nacht einen eigenen Eindruck. Sie schleicht sich in den tristen Betonraum. Dort bietet sich ihr ein Bild, das haften bleibt. „Er sah aus wie ein Christus.“ Am Morgen kommt der Arzt des Hospitals auf sie zu. „Als er sagte, wir gehen und nehmen dem toten Che Guevara die Hände ab, habe ich gleich gesagt, ich gehe nicht mit.“ Die Bolivianer wollen mit den amputierten Händen den Tod des Guerilleros beweisen. Der Weltöffentlichkeit teilt das Militär mit, seine Leiche sei kurz nach seinem Tod verbrannt worden. Vallegrande sollte keinesfalls zum Wallfahrtsort enttäuschter Revolutionäre werden. Doch in Wahrheit verscharren Soldaten den Toten hastig unter der Landebahn des Flugplatzes. 1997 wird der handlose Leichnam entdeckt und in ein Mausoleum nach Santa Clara auf Kuba überführt.
Vorläufer Osama bin Ladens?
In den 40 Jahren seit seinem Tod hat die Verehrung für den „edlen“ Revolutionär bisweilen religiöse Züge angenommen. Im kollektiven Gedächtnis politisch linker Lateinamerikaner und weit darüber hinaus geistert der Arzt und Guerillero auch heute noch als eine Art „Jesus mit Knarre“ herum, wie Wolf Biermann in seinem Lied „Comandante Che Guevara“ dichtete. 1999 ließen die Kirchen in Großbritannien sogar ein Jesus-Plakat drucken, das dem Poster von Che Guevara nachempfunden war. Seine Kritiker hingegen brandmarken ihn als „stalinistischen Massenmörder“ und Vorläufer Osama bin Ladens, weil er mal gesagt haben soll, er hätte nichts dagegen, wenn New York dem Erdboden gleichgemacht werde. Mit dem tatsächlichen Leben und Wirken des am 14. Juni 1928 in der argentinischen Stadt Rosario geborenen Ernesto Guevara hat die Legende vom modernen Jesus nur in einem, allerdings wichtigen Punkt zu tun: Er setzte sich bis zur Selbstaufopferung für eine gerechtere Welt ein. Zeit seines kurzen Lebens blieb er dem Ideal treu, sich nicht durch persönliche Vorteile vom Ideal einer egalitären Gesellschaft abbringen zu lassen.
Guevara war als Kind einer wohlhabenden Familie zunächst alles andere als politisch. Doch dann zog er zweimal, 1952 und ab 1953, per Motorrad und als Anhalter durch Lateinamerika. Die soziale Not der armen Bauern auf dem Land, die er dabei antraf, erschütterte den Sohn aus gutem Hause zutiefst. „Dieses Herumziehen in unserem Amerika hat mich mehr verändert, als ich gedacht hätte“, notierte er.
Bald identifizierte er den US-Imperialismus und den Kapitalismus als Ursache allen Übels und stieß 1955 in Mexiko zur Rebellengruppe um Fidel Castro. Dort bekam er auch seinen Spitznamen Che, ein Wort, das Argentinier in jedem dritten Satz als eine Art Anrede wie „Hey“ benutzen. 1965 gab Guevara, der zusammen mit Castro 1959 den kubanischen Diktator Fulgencio Batista gestürzt hatte, seine Position als kubanischer Industrieminister auf, um erneut den bewaffneten Kampf im Kongo und später in Bolivien aufzunehmen. Die Härte und Gnadenlosigkeit, die er im Guerillakrieg etwa bei Hinrichtungen von Verrätern an den Tag legte, passen indessen wenig zum heutigen Bild des netten Freiheitskämpfers.
Dazu trug vielmehr das berühmte Foto bei, das der Fotograf Alberto Korda 1960 aufnahm. Der bärtige Che, auf dem Kopf ein Barett mit rotem Stern, scheint leicht gedankenverloren in eine ferne Zukunft zu blicken. Seit den 60er-Jahren ziert es die Wände von Studentenzimmern, wurde millionenfach auf Hemden, Schlüsselanhängern, Feuerzeugen und sogar Bettwäsche oder Fußabtretern verbreitet. Zum Teil völlig losgelöst vom historischen Kontext steht das Konterfei inzwischen für eine vage Vorstellung von Rebellion und dem Streben nach einer besseren Welt. Oft ist es auch nur noch ein Werbelogo.
„Lasst uns wie Che sein!“
In Kuba hingegen lautet das Motto der kommunistischen Pioniere noch heute „¡Seremos como el Che!“ ( Lasst uns wie Che sein!). Die ersten Worte der Babys seien Mama, Papa, Wasser und dann Che, sagt man auf der Zuckerinsel, wo die Ehrungen für den „Revolutions-Helden“ am 30. September begannen und sich bis zum 14. Juni 2008 hinziehen. Dann wäre Guevara 80Jahre alt geworden.
In Lateinamerika ist er noch immer allgegenwärtig. Sein Porträt ziert Transparente von argentinischen Arbeitslosen-Aktivisten und mexikanischen Studenten ebenso wie das aktuelle Titelblatt der konservativen Zeitschrift „Veja“ in Brasilien. In Bolivien wurde jetzt der Wanderpfad „Ruta del Che“ eingerichtet, entlang der revolutionären Pfade des Comandante. Auch in seiner Heimat Argentinien, wo gerade eine neue Che-Statue gebaut wurde, kam in einer Fernseh-Umfrage über „argentinische Helden“ Che auf Platz eins – noch vor der kaum weniger verklärten Präsidentengattin Evita Perón. Fußballheld Diego Maradona zum Beispiel hat sich sein Porträt auf den rechten Oberarm tätowieren lassen.
Eine Ikone für die Linke
Für Südamerikas radikale Linkspolitiker ist der Internationalist Guevara eine der wichtigsten Bezugsfiguren. In Caracas führt Venezuelas Präsident Hugo Chávez die Jubiläumsfeierlichkeiten zum Todestag höchstpersönlich an. Der bolivianische Staatschef Evo Morales nimmt an einer Zeremonie in Vallegrande teil. Er sieht sich als Anführer einer „friedlichen Revolution“ und meint, das sei der einzige Unterschied zu Che, der „Gleichheit und Gerechtigkeit mit der Waffe in der Hand“ erreichen wollte. Denn ein Pazifist war Guevara keineswegs.
Die friedliebende Ordensschwester Antonia Maria ist indes nach mehr als 30 Jahren nach Vallegrande zurückgekehrt und leitet dort nun das Kinderheim „Hogar Santa Susana“. Ab und zu besucht sie noch den Waschraum. Sie war eine der Letzten, die dort vor 40 Jahren Guevaras Leiche sah. Heute ist die 20000 Einwohner-Gemeinde ein Wallfahrtsort für Anhänger von Che. In vielen Häusern hängen neben Kreuzen ikonenhafte Porträts des Comandante, wie ein Heiliger wird er als „Bruder Ernesto de la Higuera“ angebetet.(dpa/AP)