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„Die Macht saß schon immer auf der Tribüne“

Die Zwickauer Torwart-Legende Jürgen Croy sorgte beim Fußballforum im Schloss für einen neuen Besucherrekord.

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© Anne Hübschmann

Von Manfred Müller

Schönfeld. Ein Keeper, der mit den Füßen auf dem Boden bleibt – das ist eigentlich ein Widerspruch in sich. Aber Jürgen Croy hat genau das ein Leben lang praktiziert. Zwischen den Pfosten machte er meist genau jenen Zwischenschritt, der notwendig ist, um den Ball aus dem Eck zu kratzen. „Wenn man gleich abspringt, sieht das zwar spektakulärer aus“, sagt er, „aber es verkürzt die Reichweite manchmal um die entscheidenden Zentimeter.“ Auch außerhalb des Platzes fiel der Zwickauer nie durch irgendwelche Sprüche, Eskapaden oder Rüpeleien auf. „Eigentlich bin ich ziemlich langweilig“, ließ er am Donnerstagabend die Besucher auf Schloss Schönfeld wissen. „Seit 51 Jahren mit der gleichen Frau verheiratet, und ich habe auch nie eine Rolex durch den Zoll zu schmuggeln versucht.“ Damit spielte er etwas süffisant auf Karl-Heinz Rummenigge an, der sich mit diesem Delikt 2013 in die Schlagzeilen gebracht hatte.

Betrachtet man Croys Fußballer-Karriere, ist der Mann alles andere als langweilig. Der heute 71-Jährige galt in den 1970er Jahren als einer der besten Torhüter der Welt. Er wurde in einem Atemzug mit dem westdeutschen Nationaltorwart Sepp Mayer, dem Italiener Dino Zoff und dem Schweden Ronnie Hellström genannt. Und das, obwohl er seiner Betriebssportgemeinschaft Sachsenring Zwickau immer die Treue hielt. Jürgen Croy ist bei allen internationalen Sternstunden des DDR-Fußballs dabei gewesen: bei Olympia-Bronze 1972 in München, beim Olympiasieg 1976 in Montreal, beim legendären 1:0-WM-Vorrundensieg über die BRD 1974 im Hamburger Volksparkstadion. Hinzu kommt noch der Titel beim UEFA-Juniorenturnier 1965, das als inoffizielle Europameisterschaft galt. Hier schlug die DDR-Mannschaft im Endspiel England mit 3:2. Immer war Croy im Tor eine Bank und dazu ein Spieler mit Übersicht. Das Sparwasser-Sensationstor in Hamburg zum Beispiel hatte er mit einem extrem weiten Abwurf eingeleitet.

Trotz höchster sportlicher und staatlicher Ehrungen verweigerte sich der gelernte Elektriker den Versuchungen und Anfechtungen des Systems ziemlich konsequent. Er lehnte es zum Beispiel ab, von Sachsenring Zwickau zu einem der großen DDR-Fußballklubs zu wechseln. Bei der BSG werde er als Torwart stärker gefordert, so seine Begründung. Als ihm die Funktionäre die Pistole auf die Brust setzten, blieb er standhaft. „Klar hatte ich Angst, dass sie mich in der Nationalmannschaft kaltstellen“, erinnert sich Croy, „aber am Ende passierte nichts.“ Er sei auch mehrmals von der Stasi angesprochen worden, seine Teamgefährten bei Auslandsreisen zu bespitzeln. Auch das habe er abgelehnt, und die befürchteten Konsequenzen blieben aus. „Nein“, sagt Jürgen Croy, „wenn es nichts gab, womit sie einen ernsthaft unter Druck setzen konnten, musste man das nicht tun.“

Der Festsaal von Schloss Schönfeld war am Donnerstagabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Bürgermeister Hans-Joachim Weigel konnte mit mehr als 90 Besuchern einen neuen Rekord verzeichnen, darunter auch Croys Oberliga-Kontrahent Reinhard Hauptmann, der bei Stahl Riesa ebenfalls den Status einer Legende genießt. Nein, Angst hätten die Riesaer vor einem Croy im Tor nicht gehabt, sagt der Stahl-Veteran. Zum Saisonende 1974 schenkten sie den Zwickauern zu Hause sogar ein 2:0 ein. Der Nationaltorwart habe eher motiviert, denn die Tore seien von Spielern gekommen, die sonst eigentlich nie trafen.

Jürgen Croy hat auch nach seiner aktiven Zeit eine erfolgreiche Karriere hingelegt. Da er einen Abschluss als Diplomsportlehrer besaß, konnte er für seinen Verein einige Jahre als Trainer arbeiten. Nach der Wende war er Repräsentant der Sportartikelfirma Puma; 1994 wurde er in Zwickau zum Bürgermeister für Kultur, Schule und Sport gewählt. Von 2000 bis 2010 war Jürgen Croy Geschäftsführer der Kultur Tourismus und Messebetriebe Zwickau GmbH. Zu seinem Verein, heute als FSV Zwickau in der dritten Liga, sei die Verbindung weitgehend abgerissen, bedauert das Fußball-Urgestein. Irgendwie komme er sich komisch vor, sich mit seiner fußballerischen Aura in die Schlange vor dem Kartenhäuschen einzureihen.

Croy wartete in Schönfeld auch mit unorthodoxen Kommentaren zum aktuellen Fußballgeschehen auf. Zu DDR-Zeiten seien die Schiedsrichter geimpft worden, für den Stasi-Klub BFC Dynamo zu pfeifen. Heute pfiffen sie, weil sie auf internationale Einsätze hoffen, mehr oder weniger freiwillig für Bayern München. Dessen Führung habe im deutschen Fußball gewaltigen Einfluss. „Die Macht“, sagt Jürgen Croy, „saß eben schon immer auf der Tribüne.“