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Die nächste Krise kommt bestimmt

Wie leben wir morgen – Demokratie oder Finanzdiktatur? Mit dieser Frage beginnen die Palais-Sommer-Gespräche.

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© René Meinig

Von Oliver Reinhard

Bei der Bullenhitze kaum zu glauben: 1 000 Menschen setzen, hocken, legen sich am Montagabend auf eine sonnenverbrannte Dresdner Elbwiese und warten, was die Gäste beim ersten Gespräch der Palais-Sommer-Saison wohl antworten werden auf die Frage: „Wie leben wir morgen – Demokratie oder Finanzdiktatur?“

Eine scharf zugespitzte Frage. Doch nicht daran hat sich vorab Kritik entzündet. Einige Seiten bemängelten, dass Podiumsgast Ernst Wolff ein notorisch oberflächlicher und bei verschwörungsaffinen Spartenmedien auffällig beliebter Kapitalismuskritiker sei. Und der Wiener Wirtschaftswissenschaftler Franz Hörmann wegen „zweifelhafter Aussagen über den Holocaust“ vorübergehend von seiner Uni suspendiert worden war. Palais-Sommer-Gründer Polenz ist als radikaler Freigeist gegen jedes „Sprech- und Denkverbot“, wie er sagt. Ihn treibt Ratlosigkeit angesichts der Verwerfungen des kapitalistischen Systems um. Dass es nach Ende der DDR zwar Entwicklungen gegeben habe, aber „Weiterentwicklungen möchte ich es nicht nennen“. Dass die Regierenden viele „Entscheidungen gegen den Willen des Volkes“ träfen. Worauf er das Publikum zur Abstimmungsfrage bittet, wer dagegen sei, „dass der Bund 30 Milliarden mehr für Rüstungen ausgibt“. Die Mehrheit hebt die Hände. Offenbar ohne eine vorherige Erörterung und Diskussion der Fürs und Widers dieses hochkomplexen Themas zu vermissen.

„Sie können etwas tun!“

Mit seinem Vortrag setzt Ernst Wolff die provokante Einstimmung fort: Nie habe es mehr Ungleichheit, mehr Schulden, mehr Armut, mehr Rüstung gegeben. Das Finanzkapital sei mächtiger als die Politik. Am Konzept der Demokratie und des Kapitalismus stimme Grundsätzliches nicht.

Je mehr er ins Detail geht, desto öfter schüttelt Mitdiskutant Christoph Gröner den Kopf. Wohl habe Wolff teils recht in seiner Kritik an den Pervertierungen des Kapitalismus, sagt der Vorstandsvorsitzende der CG Gruppe, ein auch in Dresden und Leipzig aktives Immobilienunternehmen. Aber das mit mehr Armut und Kriegen auf der Welt stimme nachweislich nicht. „Und lassen Sie sich nicht einreden, Sie seien dagegen völlig machtlos“, bittet er das Publikum. „Sie können etwas tun, und sei es über Ihr Konsumverhalten. Kaufen Sie etwa regional, beschäftigen deutsche Handwerker, bestellen bei deutschen Unternehmen, die auch hier ihre Steuern zahlen.“

Spätestens als Wolff die EU wegen deren Sparzwang für Griechenland auf Kosten der Armen geißelt und Gröner an die Mitverantwortung dieses Landes erinnert dafür, dass Reiche dort kaum Steuern zahlten und das Renteneintrittsalter extrem niedrig sei, wird auf der Wiese offensichtlich: Griffige Schlagworte eines Antikapitalisten und US-Kritikers kommen besser an als Sowohl-als-auch-Sichten eines liberalen, aber kritischen Kapitalisten, der die meisten der – erfreulich wenigen – wirklich ätzenden Zwischenrufe erntet.

Auf dem Podium zeichnet sich der Abend trotz gelegentlicher Härten durch weitgehende Fairness aus. Und dadurch, dass die Kategorie „linke“ oder „rechte“ Aussagen zum Kapitalismus sich auflöst. Unmöglich kann es mit ihm so weitergehen, die nächste große Krise steht ins Haus; darin sind sich alle einig. Sogar Gröner und freilich Wolff, der unter dessen Zustimmung die Derivate geißelt, jene Börsenspekulation etwa auf Schulden von Unternehmen und Staaten. Hörmann, Mitglied der Querfrontpartei „Die Mitte“ und scharfer Kritiker des Finanzsystems, findet überdies: Jede Bilanz ist „nur Betrug“, das Funktionieren der Gesellschaft auch ohne Geld möglich und direkte Demokratie in gewissen lokalen Grenzen „zunächst als Experiment“ denkbar. Schade: Letzteres bleibt eine der seltenen Stellungnahmen zur wichtigen Themenhälfte „Demokratie“.

Zwar kreisen viele Statements eher neben- statt in Bezug zueinander. Doch auch daraus ergeben sich inspirierende Denkanstöße. Was das Publikum mit einigen klugen Fragen belegt. Auch mit kritischen, wie der, warum man mit Jasmin Kosubek eine Moderatorin des Kreml-Propagandasenders RT Deutsch eingeladen habe. Jörg Polenz findet: „Weil sie es kann“. Frau Kosubek selbst beweist das an diesem Abend nicht.

Ebenso wenig erwähnt wurde anfangs: Christoph Gröner ist Hauptsponsor des Palaissommers. Dieses kostenlose Kultur-Ereignis wäre in seiner heutigen bunten, vielfältigen und wachsenden Form inklusive Gesprächsreihen samt Kapitalismuskritik ohne jemanden wie die kapitalistische CG Gruppe wohl kaum möglich. Dass zudem viele Gäste für den Abend gespendet haben, zeigt ebenfalls, wie schwer befriedigende Antworten auf die Frage „Demokratie oder Finanzdiktatur?“ zu finden sind. Franz Hörmanns Vorschlag: „Beides.“

Interessant gewesen wäre das Ergebnis einer weiteren Hände-hoch-Frage ans Publikum: Wer gibt von dem, was er hat, regelmäßig etwas an notleidende Menschen in wirklich armen Ländern ab?

Nächstes Palais-Gespräch „Wie leben wir morgen – Sicherheit oder Angst in der Stadt?“: 12. August, 20 Uhr

Die SZ ist ein Medienpartner des Palais-Sommers