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Die nächsten Wohnblocks fallen

Nicht mal die Hälfte der 25 Häuser in Zittau-Ost steht noch. Nun ist der Abriss von zwei weiteren Gebäuden geplant – zum Protest mancher Mieter.

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© Matthias Weber

Von Mario Heinke

Regina Harenberg wohnt seit zehn Jahren An der Friedensgrenze 8 in einem der Plattenbauten. Seit Dienstag weiß die Zittauerin, dass der Wohnblock im kommenden Jahr abgerissen werden soll. Bis Ende Juni 2018 sollen die Blocks in der Friedensgrenze 8 bis 14 und Bogatynier Straße 1 bis 7 leergezogen sein. Insgesamt 40 Wohneinheiten will die Wohnbaugesellschaft in Zittau-Ost „vom Markt nehmen.“

Von einst 25 Blöcken im Wohngebiet stehen dann nur noch neun. Derzeit wird auch die ehemalige Kaufhalle Ost abgerissen. Nach den Plänen der Stadt soll das Wohngebiet bis 2035 komplett verschwunden und wieder in eine Neiße-Flussaue umgewandelt worden sein. 1978 begann die Planung für das Neubaugebiet mit rund 1 000 Wohnungen. Die ersten Wohnungen wurden 1981 übergeben.

Zu den Mietern der ersten Stunde gehörte Christel Herminghaus. Sie wohnt seit 36 Jahren am anderen Ende des Blocks in der Nummer 14. Ihre Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung ist ruhig gelegen. Eine kleine Eckbank und eine Markise zieren den Balkon, von dem das Auge ins Grüne schweift. „Meine Kinder sind hier groß geworden“, sagt die ehemalige Kinderpflegerin mit etwas Wehmut. Die Tochter lebt schon seit 1995 in der Schweiz und der Sohn in Pforchheim. „Als wir hier einzogen, waren viele Kinder im gleichen Alter“, erinnert sich die 66-Jährige an die Hausgemeinschaft. So kam es, dass in einem Jahr fünf Kinder aus dem Block gleichzeitig Schuleinführung feierten. Man habe sich gegenseitig geholfen, mit Rat und Tat zur Seite gestanden, zusammen gefeiert und sich miteinander angefreundet. Das Gespräch mit den Nachbarn auf der Bank vor dem Hauseingang gehörte zum Alltag.

Im Jahre 2006 feierte die Hausgemeinschaft das 25-jährige Bestehen und erinnerte sich an die ersten Jahre. Die Gemeinschaft im Haus blieb noch einige Jahre erhalten, bis einer nach dem anderen auszog. Zu einigen ehemaligen Mietern unterhält die fast allein im Block Zurückgebliebene noch Kontakt. Heute ist das Treppenhaus in dem Block völlig heruntergekommen, lediglich die Haus- und Kellertüren sind nach der Flut von der Wohnbaugesellschaft erneuert worden, erzählt die Mieterin. Sie und eine junge Familie sind die einzig verbliebenen Mieter im Aufgang. „Das ist manchmal gruselig“, erzählt die Rentnerin. In den anderen Aufgängen ist der Leerstand nicht ganz so dramatisch. Ein Blick auf den Plattenbau reicht jedoch, um zu sehen, dass hinter vielen Fenstern kein Mensch mehr wohnt.

Nächste Woche kommt die Kündigung. Das erfuhren Christel Herminghaus und die restlichen Bewohner des Blocks während einer Mieterversammlung am Dienstag in der Zentrale der Wohnbaugesellschaft aus dem Munde von Geschäftsführerin Uta-Sylke Standke. Sie versuchte, die aufgebrachten Mieter zu beruhigen, versprach individuelle Lösungen und umfassende Hilfe bei der Suche nach einer neuen Wohnung.

„Es ist eine Schande, wie ein Stück Vieh wird man hin und her geschoben“, machte ein älterer Herr seinem Ärger Luft. Er habe seine Wohnung gerade erst renoviert. Der Mann ist sauer, weil er nicht eher von den Abrissplänen erfuhr. Eine Dame erzählte, dass sie erst 2009 an der Friedensgrenze eingezogen sei. Da jeder Betroffene anders mit der Situation umgeht, steht Mitarbeiter Martin Stenzel von der Wohnbaugesellschaft ab sofort für die Wohnungssuchenden bereit. Er soll in individuellen Gesprächen in den vier Wänden der Mieter deren Wünsche und Probleme erfassen, bei der Auswahl einer Wohnung oder der Unterbringung im „Betreuten Wohnen“ beratend zur Seite stehen, die Übernahme der Umzugskosten und anderer Ausgaben im Einzelfall klären. Mieter, die trotz der Rückbaupläne im Wohngebiet wohnen bleiben möchten, können in einen der verbleibenden Blocks ziehen, versprach Frau Standke.

„Ich hätte mir eine Liste der freien Wohnungen gewünscht“, sagt Christel Herminghaus. Sie ist noch ratlos, was sie tun wird. Entweder zieht sie zu ihrem Lebensgefährten nach Oppach oder geht nach Thüringen, wo sie einst aufwuchs.