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Die neue Lust an der Politik

Seit der Wahl verzeichnen die Parteien im Kreis Neueintritte. Ein Grund ist die AfD, glaubt ein Experte.

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© Matthias Schumann

Von Sebastian Kositz

Jetzt erst recht. Soeben hatte die Linke im Wahlkreis Bautzen ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl eingefahren. Mickrige 14 Prozent – das hat auch Benjamin Rehor aus Wittichenau geschmerzt. Seit etwa einem Jahr hat er sich bereits für die Partei engagiert, in verschiedenen Projekten mitgearbeitet. Nur einen Tag nach der Wahl hat Benjamin Rehor im Internet dann einen Mitgliedsantrag ausgefüllt. „Es war jetzt einfach an der Zeit, sich öffentlich zu der Partei zu bekennen“, erklärt der 25-jährige Benjamin Rehor.

Der Wittichenauer ist damit kein Einzelfall. Denn obwohl bis auf die AfD und die FDP alle Parteien in der Region bei der Bundestagswahl teils deutlich eingebüßt haben, können sich die Verantwortlichen in beinah allen Kreisverbänden über eine Reihe von Neueintritten kurz vor und nach der Wahl freuen. Die Bundestagswahl – sie war offenkundig auch eine Art Mitgliederwerbemaßnahme für Parteien, die sonst händeringend nach Mitstreitern suchen.

Dass sich Benjamin Rehor ausgerechnet unmittelbar nach der Pleite der Linken der Partei anschloss, hängt zwar nicht allein mit der Wahl zusammen. Der 25-Jährige hatte sich bereits in einer sorbischen Arbeitsgruppe der Linken eingebracht und will künftig für Jugendliche in den sorbischen Dörfern neue Angebote aufbauen. Das starke Ergebnis der AfD und das Ansinnen, mit einer Mitgliedschaft als bewusstes Bekenntnis für die Partei ein Zeichen zu setzen, spielten durchaus eine Rolle.

Bewusstes Engagement

Wie offenbar auch bei den Parteikollegen, die ebenfalls erst im Zuge der Wahl bei den Linken eintraten. Seit Anfang September gewann die Linke acht Mitglieder neu hinzu. „Viele der Neuen spielten offenbar schon länger mit dem Gedanken, bei uns einzutreten. Die Wahl und die Diskussionsrunden in den Medien gaben dann offensichtlich noch einmal den entscheidenden Motivationsschub, sich zu engagieren“, erklärt Felix Muster, Geschäftsführer des Linken-Kreisverbandes in Bautzen.

Auch sein Kollege Thomas Israel bei der Bautzener CDU hat in den vergangenen Tagen eine Reihe neuer Mitgliedsanträge erfreut zur Kenntnis genommen. Zwölf Neueintritte kann die Union seit dem Wahlabend verbuchen, der für die CDU noch mehr als bei den Linken in einem Desaster gipfelte. Und trotzdem treten Interessierte den Christdemokraten bei. „Die Leute sagen ganz bewusst, dass sie sich jetzt engagieren wollen“, erklärt Thomas Israel.

Und auch bei den gemessen an den Mitgliederzahlen kleineren Parteien gab es Zuwächse. Die SPD gewann seit dem Wahlabend zwei Mitglieder hinzu, die AfD fünf. Bei der FDP waren es seit Beginn des Wahlkampfes neun. „Wir haben das schon im Wahlkampf gemerkt, als viele Leute zu uns kamen, teilweise mit ganz konkreten Ideen, für die sie nun mit uns streiten wollen“, erklärt FDP-Kreischef Mike Hauschild.

Leichte Trendwende

Tatsächlich ist das Phänomen der Parteieintritte im Umfeld von Wahlen nicht ungewöhnlich, wie der renommierte Politikwissenschaftler Werner Patzelt erklärt. „Im Zuge von Wahlen wird intensiver über Politik berichtet“, sagt der Dresdner Professor. Zugleich gebe es auch Interessierte, die Teil des Erfolgs sein wollen – oder sich gerade durch Misserfolge ermutigt sehen, in die Parteien einzutreten und so ein Zeichen zu setzen. Der Wahlerfolg der AfD könne zudem das Gefühl vermitteln, dass es wieder wichtig sei, sich politisch in einer Partei zu betätigen. Und: „Die AfD hat vorgemacht, dass sich in kürzester Zeit Dinge politisch bewegen lassen“, sagt Werner Patzelt.

Die Neueintritte sorgen nun zumindest teilweise für eine Trendwende. Denn nachdem in den vergangenen Jahren die Mitgliederzahlen zumeist sanken, haben die allermeisten Kreisverbände im Vergleich zum Jahresbeginn sogar zulegen. Lediglich die Linke schaffte es nicht, den allen voran durch die starke Überalterung bedingten Rückgang gänzlich zu kompensieren. Die Grünen verloren ebenfalls leicht – hatten aber auch seit der Wahl keine neuen Mitglieder mehr hinzugewonnen.