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Die Ostgaragen

Ein fast 100 Jahre altes Firmengebäude soll verschwinden. Dort hatte der Monopolist VEB Güterkraftverkehr seinen Sitz.

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© Sven Ellger

Von Lars Kühl

Ihr Ende ist besiegelt. Nicht erst, seit die Immobilienfirma USD (Unser Schönes Dresden) das große Areal an der Schandauer Straße gegenüber der Gartensparte Flora I voriges Jahr gekauft hatte. Bald soll dort ein Wohngebiet hochgezogen werden. Wohnungsbau – das ist heute das Zauberwort, um Geld zu verdienen. Striesen mit seinem Leerstand, der gegen null geht, ist dabei immer noch eine der lukrativsten Adressen in Dresden, der Hallenkomplex ein geeigneter Standort. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands vor 26 Jahren wird er nicht mehr gebraucht.

Immer wieder wurden neue Kipper angeschafft. Sehr zur Freude der Fahrer.VEB Güterkraftverkehr - auf dem Bild die Übernahme der neuen Skoda MS 24
Immer wieder wurden neue Kipper angeschafft. Sehr zur Freude der Fahrer.VEB Güterkraftverkehr - auf dem Bild die Übernahme der neuen Skoda MS 24 © Privatfundus Siegfried Kurze
Als Ost-Garage überstand die Firma die Jahre des Zweiten Weltkrieges, wenn auch nicht unbeschadet.
Als Ost-Garage überstand die Firma die Jahre des Zweiten Weltkrieges, wenn auch nicht unbeschadet. © Privatfundus Siegfried Kurze

Das weiß Siegfried Kurze. Doch der 75-Jährige kennt noch die Zeiten, als es komplett anders war. Als das Objekt aus allen Nähten platzte. Als hier, auf dem Gelände hinter der Hausnummer 26, der VEB Güterkraftverkehr seinen Sitz hatte, der „Monopolist für Transportleistungen auf der Straße“, wie Kurze erzählt. Der Grunaer kennt jede Jahreszahl, die Belegschaftsstärke in den verschiedenen Dekaden oder die Größe des Fuhrparks und die verschiedenen Lkw-Typen. Aus dem begeisterten Sammler ist längst ein akribischer Chronist geworden. Einer, der nicht nur Bescheid weiß, sondern sein Wissen aus eigener Erfahrung einbringen kann.

Siegfried Kurze war zu DDR-Zeiten stellvertretender Technischer Direktor beim VEB Kraftverkehr – jenem Kombinat, das 1971 ein Jahr nach dem Zusammenschluss des gleichnamigen volkseigenen Betriebes mit dem VEB Deutsche Spedition und eben dem VEB Güterkraftverkehr hervorging. Eine Kopie der Gründungsurkunde ist immer noch im Besitz von Kurze. Dazu unzählige Fotos, Zeitungsartikel und jede Menge Informationen.

Aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg sind die allerdings eher spärlich. Vorgängerfirma war die Dresdner Garagen- und Aktiengesellschaft, gegründet im April 1922. Neben der Vermietung von überdachten Auto-Stellplätzen gab es eine Werkstatt, eine Tankstelle und einen Handel mit Ersatz- und Zubehörteilen. Gut fürs Geschäft war, dass die Straßenbahn 1926 bereits auf der Schandauer Straße fuhr, die Endhaltestelle der Linie 17 war direkt neben dem Firmengelände. Drei Jahre später mieteten die Verkehrsbetriebe die Dresdner Garagen AG – Omnibusse wurden in einer großen Halle abgestellt. 1930 war das Objekt auf einem Stadtplan als Lkw-Bahnhof eingezeichnet.

Zehn Jahre später kaufte die Kraftverkehr Sachsen AG das Gelände, die „Ostgaragen Schandauer Straße GmbH“ entstand. Der Krieg wütete damals bereits im zweiten Jahr. Ein Ende war nicht in Sicht. Immer mehr wurde der Waffenproduktion untergeordnet. So auch in der „Ost-Garage“, wo Ende 1944 Kriegsgefangene Munition herstellten. Noch etwas hat Kurze herausgefunden: Gegenüber dem Areal ist eine Gartenanlage. Dort war ein unterirdischer Bunker eingebaut worden.

Als das Zweite Weltkrieg vorbei war, begannen auch an der Schandauer Straße 26 die Aufräumarbeiten. Trümmer mussten weggeschafft werden. Was noch benutzt werden konnte, wie Werkstätten, wurde auf Vordermann gebracht. Dazu kam die Suche nach abgestellten Fahrzeugen. In einer Notbaracke waren Küche, Umkleideraum und Lager untergebracht. Noch im Mai 1945 wurde der Güterverkehr wieder aufgenommen. Große Aufgaben warteten.

Das Hauptproblem war zunächst die Versorgung der Bevölkerung. 1950 arbeiteten in den Garagen an der Schandauer Straße schon wieder 70 Fahrer und 24 Angestellte. Zwei Jahre später wurde im Juli dann der VEB Güterkraftverkehr gegründet. 66 Lkw und 46 Anhänger standen bereit. 167 Menschen waren in dem Betrieb beschäftigt. Doch sie hatten Probleme, alle Aufgaben zu meistern. Die Fahrzeuge waren zu alt, zudem unterschiedlicher Bauart, Ersatzteile fehlten. Das zeigte sich besonders, als 1955 begonnen wurde, in Dresden den Wohnungsbau voranzutreiben. Die Werktätigen des Güterkraftverkehrs übernahmen den Transport der Großblöcke. Auch Zement wurde von einer Zugmaschine und einem Anhänger mit zwei Silos gefahren. 1957 gab es bereits fünf Brigaden – für die Bereiche Zugmaschinen, Milchtransport, Schienenersatz, Kipper und Fernverkehr. Das staatliche Unternehmen breitete sich danach im Dresdner Umland aus und erweiterte seinen Fuhrpark.

Bald zeigte sich, dass das Fassungsvermögen an der Schandauer Straße erreicht und überschritten war. Die Fahrzeuge standen schon auf den angrenzenden Straßen. Auch für die wachsende Belegschaft war es viel zu eng. Zwar wurden Baracken errichtet, der Arbeitsschutz verbot aber, neue Kollegen einzustellen. Es wurden weitere Standorte gesucht – und gefunden, wie an der Hennigsdorfer, der heutigen Straße des 17. Juni, der Münchner und der Hamburger Straße. 1980 konnte der Dresdner Güterverkehr auf 680 Lkw, 595 Anhänger und 15 Zugmaschinen zurückgreifen. Neue Brigaden kamen dazu, wie 1973 „Unidad Popular“ als Solidaritätsbekundung für das gegen die Reaktion kämpfende chilenische Volk. Da gehörte der Betrieb, wie geschrieben, schon zum Kombinat VEB Kraftverkehr. Erst, als 1983 der Autohof an der Tiergartenstraße fertig war, wurde das Objekt an der Schandauer Straße 26 entlastet.