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Die Schlesier suchen Akzeptanz als Minderheit

Sind die Schlesier ein eigenes Volk? Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kämpfen Schlesier um ihre Anerkennung als Nation.

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Von unserer KorrespondentinGabriele Lesser, Warschau

In Polen lebt eine nationale Minderheit, von der bislang niemand wusste. Und nicht nur das. Zur Überraschung der meisten Polen sind die bekennenden „Schlesier“ oder „Schlonsaken“ die größte Minderheit in Polen. Das brachte die letzte Volkszählung ans Licht: 173 000 Menschen bekennen sich in Polen zur „schlesischen Nationalität“. Damit verweisen sie die Deutschen in Polen (153 000) auf den zweiten, die Weißrussen (49 000) auf den dritten und die Ukrainer (31 000) auf den vierten Platz.

Juristisches Tauziehen

um den Verband

Polens größte Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ konnte es nicht fassen: „Wo kommen die denn her?“, fragte sie entgeistert. Höchst ärgerlich ist aus Sicht der Polen auch, dass die Schlesier, die in den Medien bislang nur als „politische Folklore“ abgetan wurden, in Straßburg Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt haben. Inzwischen beschäftigen sich die Richter in Straßburg mit der Frage, was eigentlich eine nationale Minderheit ausmacht. Und ob diejenigen Schlesier, die sich weder als Polen noch als Deutsche fühlen, eine solche nationale Minderheit darstellen.

Im Wendejahr 1990, als Polen wieder zur Demokratie zurückfand, sprossen im Westen und Osten des Landes Minderheitenorganisationen wie Pilze aus dem Boden. Schon das war für viele Polen schwer zu verkraften. Über Jahre hinweg hatten sowohl die Kommunisten als auch die katholische Kirche versichert, dass es in Polen keine nationalen Minderheiten gebe. Nun meldeten sich Deutsche, Weißrussen, Ukrainer, Juden, Armenier und sogar Tataren zu Wort. Die meisten Oberschlesier organisierten sich in den Minderheitenverbänden der Deutschen. Insbesondere rund um die Städte Opole (Oppeln) und Katowice (Kattowitz).

Im Juni 1997 ließen junge Intellektuelle den „Verband der Bevölkerung schlesischer Nationalität“ beim Gericht in Katowice registrieren. Doch die Freude der „Slazacy“ oder „Schlonsaken“ dauerte nur kurz. Es entbrannte ein heiße Debatte um die „schlesische Identität“, in deren Folge das Appellationsgericht die Zulassung des Schlesier-Verbandes wieder aufhob. Schließlich, so die Begründung der Richter, gebe es doch „gar keine schlesische Nationalität“. Im März 1998 bestätigte der Oberste Gerichtshof in Warschau diese Entscheidung. Die Schlesier hätten weder ein eigenes Territorium, noch eine eigene Sprache, hieß es. Mit Riesenlettern feierte damals die „Gazeta Wyborcza“ die Entscheidung auf der Titelseite: „Es gibt kein schlesisches Volk!“

In Polen gibt es bis heute kein Gesetz, das erklärt, was eigentlich eine nationale Minderheit ausmacht. Diese Gesetzeslücke nutzt Jerzy Gorzelik, der Gründer des nunmehr illegalen Verbandes, um der Region zu mehr Rechten zu verhelfen. Er knüpfte seine Forderung nach schlesischer Autonomie an eine Vorkriegsregelung im demokratischen Polen.