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Die Schloss-Nomaden

Anneke und Hans Ramp aus Holland kümmern sich in Sachsen gleich um zwei alte Herrensitze. Bei der Erhaltung der historischen Gemäuer gehen sie ganz eigene Wege.

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© Thomas Schade

Von Thomas Schade

Spiegelt sich die winterliche Nachmittagssonne in den Fenstern, dann taucht sie Schloss Wendischbora in ein geheimnisvolles Licht. Der Fassade fehlt die Kraft zu strahlen. Die Dämmerung legt einen besonderen Reiz über den kleinen herrschaftlichen Sitz unweit von Nossen.

Schloss Wendischbora bei Nossen
Schloss Wendischbora bei Nossen © Thomas Schade
Schloss Bobersen bei Riesa von der Elbe her gesehen – im April vergangenen Jahres...
Schloss Bobersen bei Riesa von der Elbe her gesehen – im April vergangenen Jahres... © Thomas Schade
und im Januar 2018.
und im Januar 2018. © Thomas Schade

Drinnen, in drei großen Räumen im Erdgeschoss, geht es überhaupt nicht herrschaftlich zu. Da sitzt ein kräftiger Mittfünfziger am Ende eines langen Speisetisches vor viel Papier und einem Notebook. Wenn es dunkel wird, dann erledigt Hans Ramp (56) drinnen den Bürokram. Seine Frau Anneke (53) steht an der gewaltigen Anrichte und bereitet das Essen vor. Teller, Gläser, Besteck und den Wein nimmt sie von einem wuchtigen Regal. „Haben wir selbst gebaut aus alten Balken, die raus mussten“, sagt Anneke Ramp mit feinstem holländischem Akzent.

Ein in Gold gerahmter Spiegel, ein hoher silberner Kühlschrank, ein kalter Kachelofen, daneben ein geheiztes Eisenöfchen und ein paar kleine Ölbilder komplettieren das Mobiliar. Rustikales Interieur hinter der gediegenen Schlossfassade im Stile italienischer Romantik. Ebenso ungewöhnlich mutet es an, dass das Paar in einem riesigen Raum lebt, in dem zwei Wände unverputzt geblieben sind. „Es gibt Leute, die kaufen Fototapete, damit es so aussieht“, sagt Anneke Ramp. Für den Lehm, der bei ihnen aus den Fugen bröckelt, gibt es einen Staubsauger. Bruchsteine und Lehm harmonieren mit der Küche aus Abrissbalken – es herrscht das Flair einer ewigen Baustelle.

Anneke und Hans Ramp sind ewige Bauleute – zwei, die in jungen Jahren in Holland Landwirtschaft und Ökonomie studiert, in ihren Berufen gearbeitet und fünf Kinder groß gezogen haben. „Nach 20 Jahren haben wir uns gesagt, jetzt machen wir unser eigenes Ding“, sagt Hans Ramp. In Tschechien sei das am besten möglich gewesen. Dort bauten sie einen Milchviehbetrieb mit 300 Kühen, Rinderzucht und 300 Hektar Land auf. „Da haben wir viel Geld verdient.“ Dann habe die EU die Bedingungen verschlechtert. „Da haben wir aufgehört.“ Sie verkauften den Betrieb. „Dann habe ich gesagt, jetzt möchte ich ein Schloss.“ Anneke Ramp lacht bei dem Satz. Vor etwa zehn Jahren veränderte er ihr bisheriges Leben grundlegend.

In Holland ein Schloss zu kaufen, sei unmöglich. „Keine Chance, alles vergeben“, sagt Ramp. So suchten sie zunächst in Tschechien. „Da sind Schlösser sehr teuer, aber in Ostdeutschland, da stehen eine Menge rum.“ Die Ramps gingen zum Denkmalschutz und fragten nach einem Schloss. „Die haben uns gleich ein halbes Dutzend Objekte vorgeschlagen“, erzählt Hans Ramp. Eines davon war Wendischbora – ein kleiner Adelssitz, der in seiner heutigen Gestalt nicht älter als 170 Jahre ist.

Aber Chroniken erwähnen Wendischbora schon im frühen 14. Jahrhundert. Der Zwickauer Verleger August Schumann, Vater des Musikers Robert Schumann, vermutet, der Ort könnte viel älter sein. Sein „Vollständiges Staats-, Post und Zeitungslexikon von Sachssen“ aus dem Jahr 1825 hält Wendischbora für jenes „Bore“, das ein vornehmer Wende namens „Bor“ im Jahre 1071 dem Stift Meißen überlassen hatte. Andere Historiker glauben, da habe Schumann sich geirrt. Für Schumanns Vermutungen spricht, dass einer der ältesten Handelswege von Meißen zum Kloster Altzella und weiter nach Freiberg durch Wendischbora führt – heute heißt er Bundesstraße 101.

Im Jahre 1301 soll Ritter Dietrich von Bora im Ort das Sagen gehabt haben. 1372 wird Wendischbora erstmals schriftlich als Rittersitz nachgewiesen. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich das alte Schloss in den Händen verschiedener Familien des meißnischen Landadels. Nach einem verheerenden Feuer im Jahre 1833 ließ Henriette Ernestine von Feilitzsch aus dem Hause der Schönburger auf den Grundmauern ein neues Schloss bauen und verbrachte darin ihren Lebensabend. Die Entwürfe stammen vom Dresdner Architekten Woldemar Herrmann, einem Zeitgenossen Gottfried Sempers, nicht weniger fleißig, aber kaum bekannt.

Als Hans und Anneke Ramp im Jahre 2013 zum ersten Mal nach Wendischbora kamen, um das Schloss zu besichtigen, da hatte es mehr als 60 Jahre als Kindergarten und Wohnhaus gedient. 2001 war es privatisiert worden. „Der Besitzer vermietete die Wohnungen, tat aber nicht viel für die Erhaltung“, erzählt Hans Ramp.

Als sie es kauften, hatte das Schloss 70 Zimmer, Decken waren abgehängt. „Wir haben erst mal entkernt und den ursprünglichen Zustand wiederhergestellt.“ Fast 300 Tonnen Schutt haben sie aus dem Schloss geholt. „Das war das Teuerste am ganzen Bau“, sagt der Holländer. Natürlich hätten sie mit angepackt. „Wenn wir arbeiten, können andere keine Pause machen“, sagt Ramp und lacht. Heute habe das Schloss wieder 20 Räume. Die Ramps leben im alten Kindergarten des Ortes und haben sich einen Traum erfüllt, sagen sie.

Doch bei einem Traum ist es nicht geblieben. Auch in Tschechien, in Msene-lazne, einem Kurort auf halber Strecke zwischen Teplice und Prag, besitzen sie mittlerweile ein Renaissance-Schloss aus dem 16. Jahrhundert. Und derzeit verwandelt sich Schloss Bobersen bei Riesa von einer abgewirtschafteten Immobilie zu einem schmucken Schlösschen. „Wir sind gerade dabei, innen die Zimmer zu verputzen“, sagt Anneke Ramp. Sie macht in Kopfhöhe eine kreisende Handbewegung – gerade so, als ob sie ein Reibebrett in den Fingern und eine Mauer vor Augen hat. „Was wir machen können, machen wir selbst – immer“, sagt sie.

Schloss Bobersen stand nach 1990 leer und verfiel zusehends. Im Frühjahr 2017 wurden Gestrüpp und Gehölze gerodet. Im Sommer staunten die Leute im Ort nicht schlecht, wie schnell ein ruinöses Gemäuer saniert werden kann. Im späten Herbst hatte das Schloss eine neue Fassade in edlem Lichtgrau, mit anthrazitfarbenen Fensterläden. Die Sandsteingewände von Tor und Fenstern blieben im Original erhalten.

„Vielleicht sind wir im Frühjahr fertig, vielleicht erst im Sommer“, sagt Hans Ramp. Ein Satz, der für das Ehepaar eine tiefe Bedeutung hat. Denn er sagt: Für das Paar ist der Weg das Ziel. Keiner kann die beiden Holländer treiben. „Was heißt schon fertig?“, fragt Ramp. „In Eurem Sinne werden wir vielleicht nie fertig. Ihr wollt immer alles perfekt, so, wie eure Autos perfekt sein müssen. Da muss die letzte Schraube sitzen. So sind wir nicht“, sagt er.

Beim Rundgang durch Schloss Wendischbora wird deutlich, was das heißt. Fertig sind eigentlich nur die Räume, in denen das Paar lebt. Neben der großen Eingangshalle, Ramps guter Stube, liegt der Schlafsaal: ein großes Bett auf dem Fußboden und eine weiße freistehende Badewanne auf schwarzen Fliesen. Um die Ecke hängen zwei edle Duschen von der Decke. Alles modern und geprägt von Überfluss an Platz. Auf der anderen Seite, in einem der alten Salons, stehen antike Sessel, eine Couch, ein riesiger Fernseher und die Lautsprecher einer Stereoanlage. In der ersten Etage sind die meisten Zimmer nur geweißt. Einige sind als Schlafzimmer mit Dusche eingerichtet. „Wenn die Kinder kommen“, sagt die Hausherrin.

Wie die Leidenschaft entstanden sei, könne er gar nicht genau sagen, sagt Hans Ramp. Beide wohnen gern in schöner Lage. „Ein Schloss liegt stets am schönsten Platz einer Gegend und hat fast immer einen Park“, sagt Anneke Ramp. Ein Schloss ohne Wald und Wiese würden sie nie kaufen. Und sie lieben die Symmetrie der alten Bauten und die Gewölbe der alten Keller. „Uns faszinieren alte Bautechniken, insbesondere der Romanik und des Barock.“

Heute, so wirft Ramp ein, sei es egal, ob man ein Einfamilienhaus in guter Lage baut oder ein Schloss saniert. Das Schloss sei sogar billiger. Hätten sie einen Baubetrieb mit der Sanierung beauftragt, hätte der vielleicht 1,5 Millionen Euro gebraucht für Wendischbora. „Aber das kostet es nicht“, sagt Hans Ramp. Wendischbora habe sie alles in allem rund 250 000 Euro gekostet. Bobersen werde nicht annähernd so teuer, „weil wir inzwischen Erfahrung haben und Fehler nicht wiederholen, die wir anfangs gemacht haben.“ Kosten sparen sei aber nicht alles. „Wir managen den Bau selbst, kaufen alles selbst ein, sorgen dafür, dass das Material rechtzeitig da ist, und lassen keinen Stillstand zu, denn jeder Stillstand kostet Geld.“

Anneke Ramp hebt eine Ecke vom Teppich an: „Sehen Sie, eine elektrische Fußbodenheizung, wir bauen keine teure Zentralheizung ein, wir heizen dort, wo wir heizen müssen.“ Bei einem Blick aus dem Fenster zeigt sie Solarmodule im Garten. „Damit versorgen wir die LED-Strahler, die das Schloss anleuchten, wenn es dunkel wird. 500 Watt-LED reichen.“ Und wenn es ums Baumaterial geht, redet sich Hans Ramp in Rage. „Nehmen sie Fliesenkleber, den gibt es für vier Euro oder für 20 Euro pro Sack, und die Baufirma berechnet 50 Euro. Wir kaufen ihn, wenn er irgendwo im Angebot ist.“ Mit den Wasserleitungen sei es ähnlich. Er baue mit flexiblem Leitungsmaterial und vermeide teures Kupfer. Wasser- und elektrische Leitungen verlege er selbst, sagt Ramp. „Bei der Elektrik kommt am Schluss der Elektriker und schließt alles an.“

Der Denkmalschutz ist auch für Ramps ein wichtiger Faktor. „Er kostet uns immer Geld“, sagt Hans. Ab und zu sage der Denkmalschutz: stopp. Aber es gebe keinen Dauerkonflikt. „Wir haben uns aneinander gewöhnt“, sagt Hans Ramp. „Wir wollen den alten Gebäuden ja nicht die Seele nehmen, wir erhalten sie möglichst im Original und machen sie nur ein bisschen moderner.“

Das Geheimnis der beiden Holländer: Sie sanieren die alten Gemäuer, weil sie Freude daran haben und keine Euro-Zeichen vor den Augen. „Uns sitzt keine Bank im Nacken, denn wir nehmen für die Sanierung keine Kredite auf“, sagt Ramp. Und sie verzichten auf Fördermittel. „Das macht uns frei von Auflagen und Bürokratie. Außerdem, wenn zu viele in so einem Projekt etwas zu sagen haben, dann wird zu viel geredet und zu langsam gearbeitet.“

So war es in Wendischbora, in Msene-lazne, und so ist es in Bobersen. Nun würden sie wie Nomaden zwischen den drei Schlössern hin und her ziehen. Mal drei Tage hier, mal eine Woche dort. „Lange können wir nirgends bleiben, denn dort, wo wir nicht sind, ist meist keiner.“ In Wendischbora hätten einige angefragt, ob sie zur Miete ins Schloss ziehen könnten. Aber das wollen sie nicht. „Wenn ein gutes Angebot kommt für Bobersen oder Wendischbora, dann verkaufen wir, aber wir suchen keine Käufer“, sagt die Hausherrin.

Es gibt Leute, die glauben, dass die beiden Holländer jedem ihrer fünf Kinder ein Schloss „bauen“ wollen. Anneke lacht. „Das wollen die gar nicht, die haben ihr eigenes Leben, sind selbstständig, arbeiten in Holland, Deutschland und in der Tschechei.“ Aber fünf Schlösser sollen es schon werden. „Vielleicht machen wir noch zehn Jahre, wenn unsere Kraft reicht.“

Für diese Zeit sind Schlösser ihre Lebensaufgabe geworden. „Man kann sein Geld in Bitcoins anlegen, teure Autos kaufen oder um die Welt reisen, wir kaufen alte Schlösser und fliegen im Winter ein paar Tage in die Türkei“, sagt Hans Ramp.

Der Denkmalschutz habe ihnen schon ein neues Projekt angeboten. Aber darüber wollen Ramps noch nichts sagen, der Eigentümer wisse noch nichts davon. „Er soll es ja nicht aus der Zeitung erfahren“, sagt Anneke Ramp.

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