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„Die Stadt lässt das ungeliebte Kind sterben“

Das angekündigte Aus für das Ernst-Grube-Stadion erschüttert Manfred Dönicke – auch wenn es ihn nicht überrascht.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Riesa. Der Putz blättert ab, Beton bröckelt, Stahlträger rosten. Traurig betrachtet Manfred Dönicke die Zeichen des Verfalls an der Tribüne des Ernst-Grube-Stadions. „So weit hätte es nicht kommen müssen“, sagt der Riesaer, der jahrzehntelang Stadionsprecher in der Anlage war. „Die Stahlkonstruktion der Tribüne ist damals mit 14-facher Sicherheit gebaut worden“, erinnert sich der 75-Jährige.

An der Bauweise vor rund vier Jahrzehnten liege es nicht, dass das Gebäude heute so traurig aussieht und wegen Baufälligkeit gesperrt ist. „Das ist die Schuld der Stadt, die den Beton jahrelang nie gepflegt und mit Spritzbeton ausgebessert hat.“ Seit der Auflösung des Rohrkombinats Riesa habe es an vernünftiger Unterhaltung gefehlt – das sei auch für ein Bauwerk zu viel, das als erste freitragende Tribüne der DDR 1968 eingeweiht wurde. Damals war die BSG Stahl Riesa gerade in die höchste Spielklasse der DDR, die Fußball-Oberliga, aufgestiegen.

10 000 bis 11 000 Zuschauer besuchten in den 70ern und 80ern im Schnitt die Heimspiele, erinnert sich der Riesaer. „Dazu kamen die ganzen Leute aus den Nachbarhäusern, die bei jedem Spiel an den Fenstern hingen – oder sich sogar auf den Dächern auf den Laufbrettern der Dachdecker breit machten.“ Als mal – nicht ganz ernst – angekündigt wurde, zehn Meter hohe Werbewände zwischen Spielfeld und Wohnhäuser zu stellen, habe es Protest gehagelt. Deshalb hat er auch kein Verständnis für die heutige Lärm-Argumentation der Stadtverwaltung: Die hatte angemerkt, dass eine neue Inbetriebnahme der „Grube“ als Stadion baurechtlich nicht zulässig sei – schon allein wegen der Lärmbelastung in der Nähe bestehender Wohnbebauung. „Das ist doch nur vorgeschoben.“ Als Argument lässt Dönicke allenfalls gelten, dass die Parkplätze knapp werden könnten – seinerzeit seien bei Heimspielen sämtliche Straßen im Umfeld zugeparkt gewesen.

Heimlich den Rasen gewässert

Das Hauptproblem bleibe aber der bauliche Zustand des Stadions nach Jahrzehnten ohne Sanierung. „Es tut weh, wenn man heute sieht, wie das Stadion systematisch vernachlässigt wird.“ Dabei sei man das als einstige Betriebssportgemeinschaft (BSG) längst gewohnt: Diese seien schon zu DDR-Zeiten oftmals gegenüber den besser geförderten Sportclubs benachteiligt worden – ob bei der Verteilung von Torwarthandschuhen oder Videokameras. „So mussten wir damals heimlich mit durchlöcherten Schläuchen den Rasen wässern, weil das Beregnen des Spielfelds aus Wassermangel verboten war.“ Ohne das Stahlwerk und unzählige Beziehungen zum Organisieren von nötigen Baustoffen hätte das Ernst-Grube-Stadion nie zu dem Oberliga-Spielort werden können, wie ihn Generationen von Fußballfans erlebt haben.

Heute aber fehle der Rückhalt in Riesa. „Die Stadt gibt dem ungeliebten Kind keine Nahrung mehr, sondern lässt es lieber sterben“, sagt Manfred Dönicke. Das sei kein gutes Zeichen für eine Sportstadt.