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Die Straße der hundert Risse

Die Straßen im Wohngebiet Am Pulverturm sind übersät mit Flickstellen. Ist hier schlampig gearbeitet worden?

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© Andreas Weihs

Von Carina Brestrich

Freital. Die einen ziehen zu Himmelfahrt mit dem Bollerwagen los, die anderen mit einem Messrad. So wie Günter Specht und Stefan Heinze. Die beiden Nachbarn nutzten den Feiertag, um die Straßen in ihrem Wohngebiet in Döhlen abzugehen: Die Straße Am Pulverturm, die Wilhelm-Lindig-Straße und der Döhlener Hang sind soweit zwar in einem guten Zustand. Erst bei genauerem Hinsehen fällt auf: Die Straßen sind übersät mit Rissen. Diese sind zwar größtenteils repariert. Specht und Heinze aber glauben, dass die Straße schlampig gebaut worden ist – und fürchten, dass deshalb eines Tages die Anwohner zur Kasse gebeten werden.

Bei genauem Hinsehen zeigen sich zahlreiche geflickte Risse.
Bei genauem Hinsehen zeigen sich zahlreiche geflickte Risse. © Andreas Weihs
An Gullys und Gehwegen gibt es häufig Setzungen.
An Gullys und Gehwegen gibt es häufig Setzungen. © Andreas Weihs

Doch der Reihe nach: Entstanden ist das Neubaugebiet Am Pulverturm – zwischen Zauckerode und Döhlen gelegen – Ende der 90er-Jahre. Ein Unternehmen erschloss die Grundstücke und baute auch die Straßen. Später gingen die Straßen, wie üblich, an die Stadt über. Mit ihr vertraglich vereinbart war, dass der Bauträger die Straße in Ordnung bringt, indem er die Deckschicht erneuern lässt, sobald das Baugebiet weitestgehend fertig ist. Im Herbst 2012 war es soweit. Als die Bauarbeiter anrückten, hatte Stefan Heinze schon so eine Vorahnung. Wenige Monate später, im Frühjahr 2013, bewahrheitete sie sich: Risse hatten sich breitgemacht, auf Gehwegen und an Straßeneinläufen waren erste Setzungen zu erkennen.

Stefan Heinze wandte sich damals mit einem Brief an die Stadt. Er vermutet, dass das Problem kein oberflächliches ist, sondern die Ursache für die Risse tiefer liegt: „Über die Zeit hat durch die schweren Baufahrzeuge der Unterbau gelitten“, sagt er. Deshalb müsste die Straße eigentlich richtig saniert werden. Damit das passiert, solle die Stadt, die jetzt für die Straße zuständig ist, ihre Gewährleistungsansprüche gegenüber der Baufirma geltend machen.

Müssen die Anwohner zahlen?

Doch verschwunden sind die Risse bis heute nicht. Sie sind lediglich nach und nach mit Material verfüllt worden. Einige sind wieder aufgegangen, andere sind hinzugekommen.

„Wenn man das so sieht, fragt man sich, nach welchen Standards hier gebaut wurde“, sagt Günter Specht, der für die SPD auch im Freitaler Stadtrat sitzt. Er und sein Nachbar sind deshalb mit dem Messrad losgezogen. Das Ergebnis: Die drei Straßen in ihrem Viertel weisen insgesamt 150 geflickte Risse mit einer Gesamtlänge von knapp 450 Metern auf. „Damit kann sich die Stadt doch nicht zufriedengeben“, sagt Specht.

Tut sie auch nicht. Die Verwaltung habe bei der Baufirma auf eine Reparatur der Mängel gedrängt, sagt Stadtsprecher Matthias Weigel. Damit verbunden war ein langwieriger Schriftverkehr. Denn die Baufirma sieht die Schuld für die Risse nicht bei sich. Sie verweist auf die Firmen, die die Straßen während des Baus der Häuser aufgerissen haben, um die Hausanschlüsse und andere Medien zu verlegen. Darauf deutet eine Häufung der Risse vor den Häusern hin. „Einen langwierigen Rechtsstreit mit offenem Ausgang aber wollten wir vermeiden“, sagt Weigel.

Die Baufirma habe deshalb aus Kulanz die Risse nach den dafür geltenden Richtlinien repariert. Für eine komplette Sanierung der Straßen dagegen müsste die Stadt selbst aufkommen. Die Gewährleistung für den Unterbau der Straße ist Anfang der 2000er-Jahre jedoch abgelaufen gewesen. Anders läuft es am Döhlener Hang. Weil die Wasserwirtschaft nach 2012 die Straße aufgerissen hat, will sie dort die Risse noch in diesem Jahr reparieren.

Bisher stören die Risse im Wohngebiet niemanden. Doch: „Das Ganze wird erst als Problem bemerkt, wenn den Leuten am Ende ein Kostenbescheid ins Haus flattert“, sagt Günter Specht. Das ist theoretisch möglich. Nämlich dann, wenn der Stadtrat eines Tages entscheiden sollte, Straßenbaubeiträge einzuführen – sprich Geld für den Straßenbau von den Einwohnern einzufordern. Ist die Stadt in einer finanziellen Schieflage, also der Haushalt nicht ausgeglichen, so kann sie dazu sogar vom Kommunalamt verdonnert werden. Die kann die Beiträge dann auch rückwirkend erheben, bestätigt Thomas Obst, Leiter des Kommunalamtes, also auch für Straßen, die längst fertig sind.

Derzeit aber sieht es nicht danach aus, dass Straßenbaubeiträge in Freital wieder eingeführt werden. „Es ist seit vielen Jahren Konsens im Freitaler Stadtrat, auf die Erhebung von Erschließungs- und Ausbaubeiträgen aller Art zu verzichten“, sagt Stadtsprecher Weigel. „Für eine Abweichung von diesem Grundsatz liegen keine Anhaltspunkte vor.“