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Die unbekannte Olympiasiegerin

Mariama Jamanka war die große Überraschung von Pyeongchang. Wer ist diese Bob-Pilotin, der anfangs niemand Talent bescheinigt hatte? Zu Besuch in Oberhof.

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© action press

Von Michaela Widder

Katis Café-Stübchen bringt ein bisschen Berliner Kiez-Flair nach Oberhof. Die Stühle sind ein buntes Sammelsurium, die Stehleuchte mit dem ockerfarbenen Lampenschirm stand in jedem zweiten DDR-Wohnzimmer. Viele Fotos und Sprüche hängen an den Wänden. Ein Duft von frisch gebackenem Kuchen zieht durch das kleine Café. Hier, am Ende der kurzen Fußgängerzone in dem Thüringer Wintersportort, schlürft Mariama Jamanka am liebsten einen Latte Macchiato.

Mariama Jamanka
Mariama Jamanka © action press

Man kennt, man grüßt sich freundlich, und das nicht erst seit dem völlig überraschenden Olympiasieg im Februar. Dass jedoch ein älterer Herr etwas verlegen an den Tisch kommt und nach einem Autogramm fragt, wäre der Bob-Pilotin vor paar Monaten ganz sicher nicht passiert. „Ich glaube, ich habe ja per se einen höheren Wiedererkennungswert“, sagt Jamanka.

Die Geschichte der Tochter einer Deutschen und eines Gambiers gehört zu den verrückten bei den Spielen von Pyeongchang. Noch nie zuvor hatte sie einen Weltcup gewonnen und plötzlich stand sie, die gebürtige Berlinerin, ganz oben auf dem Olymp. Ein Aufstieg fast aus dem Nichts. Vor fünf Jahren war sie noch eine mittelmäßige Leichtathletin, die den Hammer auf 48 Meter schleuderte.

Schon als Kind hatte sie viel ausprobiert: Reiten, Karate, Ballett, Cheerleading, Schwimmen. „Als Berlinerin kommt man nun aber nicht auf die Idee, Wintersport zu machen“, erzählt sie. Doch ihr Wurftrainer riet ihr, es doch mal als Bobfahrerin zu versuchen. Leichtathleten werden oft im schnellsten Wintersport gecastet. Schnellkräftig ist sie – und ein „Adrenalinjunkie“ sowieso.

Bei ihrer ersten Fahrt vom Jugendstart in Oberhof habe sie sich „gefühlt wie ein willenloser Sandsack, der die Bahn runtergeschleudert wird“. Die Seiteneinsteigerin saß erst mal für zwei Jahre als Bremserin hinten im Schlitten, bevor sie 2015 an die Lenkseile wechselte. „Anfangs hätte mir niemand bescheinigt, dass ich Talent habe.“

Plötzlich eine neue Partnerin

Von den vielen Stürzen ließ sie sich jedoch nicht entmutigen. Die Trainer in Oberhof loben Jamankas Beharrlichkeit. Nur zwei Jahre nach ihrem Debüt als Pilotin gewann sie in Winterberg den EM-Titel – mit Annika Drazek, die als beste Anschieberin der Welt gilt. Ausgerechnet vor den Winterspielen dann nahm Bundestrainer René Spieß eine Umsetzung vor, die schon einer kleinen Demütigung gleichkam. Ihre vertraute Anschieberin saß plötzlich im Schlitten von Stephanie Schneider, die als Team eins als sichere Medaillenkandidatin an den Start ging. Und deren Bremserin Lisa Buckwitz wurde Jamanka zugeteilt.

Die Oberhoferin respektierte die sportliche Entscheidung, was blieb ihr auch anderes übrig. „Es ist schwierig, wenn plötzlich menschliche Verbindungen auseinandergerissen werden. Doch wir haben uns alle ausgesprochen“, versichert die 27-Jährige. Jamanka war im Weltcup schon mit sechs verschiedenen Bremserinnen unterwegs und wusste: „Ich kann auch mit Lisa aufs Podest fahren.“ Und möglicherweise hat diese vermeintliche Degradierung Jamankas Ehrgeiz noch mehr entfacht. Sie flog mit einem guten Gefühl zu ihrer Olympiapremiere, im Weltcup war sie immer unter den Top sechs. Der Ausreißer fehlte nach oben wie nach unten. Jamanka freute sich auf die „anspruchsvolle Bahn, auf der man fahrerisch noch etwas retten kann“.

Sie musste nichts retten, führte nach zwei Läufen. „Ach du scheiße, jetzt sind wir Erste“, dachte sie damals. In der Nacht nach den ersten beiden Läufen fand sie keinen Schlaf, flunkerte aber, als ihre Anschieberin danach fragte. „Später haben wir mal festgestellt, dass wir beide wach lagen, aber es keiner der anderen sagen wollte.“ Auch am zweiten Tag behielt Jamanka die Nerven. „Ich glaube, ich war einfach im Flow.“ Die Tränen flossen erst, als sie im ganzen Trubel direkt ihre Mutter zu Hause in Reinickendorf anrief. „Wir haben beide ein bisschen geweint.“

Zurück in der Heimat gingen Mutter und Tochter für zwölf Tage auf ein Kreuzfahrtschiff zu den Hurtigruten in Norwegen. „Das war ein Lebenstraum von meiner Mama, sie könnte sich das nicht leisten“, erzählt Einzelkind Jamanka. Der große Geldregen blieb aus, damit hatte Jamanka auch nicht gerechnet. „Ich bin jemand, der seinen alten Sponsoren gern treu bleibt“, sagt die Sportsoldatin. In ihrem Leben hat sich seit dem Olympiasieg nicht viel verändert. „Es waren nur viele Termine, schöne, aber ich bin froh, dass der Trainingsalltag jetzt zurück ist.“

Wenn sie frei hat, lässt sie Oberhof mit seinen 2000 Einwohnern gern hinter sich und geht in Erfurt oder Jena mit Freunden zum Stadtbummel, ins Konzert oder Kino. Hin und wieder zieht es sie in ihre Heimat- und Lieblingsstadt Berlin.

Auch in Oberhof kann sich Jamanka gut die Zeit allein vertreiben. Am liebsten liest sie in jeder freien Minute, sogar beim Zähneputzen. 600 Bücher, mal Stephen King, mal einen Liebesroman, hat sie auf ihrem Kindle. Ihre ganz eigene Geschichte liefert auch guten Lesestoff.