Von Frank-Uwe Michel
Nieder-Neundorf. Strom mithilfe der Wasserkraft wird in Nieder-Neundorf schon seit vielen Jahrzehnten erzeugt. Angefangen hatte alles mit dem Engagement der Gebrüder Bruno und Ernst Gottlob Fünfstück, die 1871 das an der Neiße gelegene Grundstück erwarben und aus der Mahlmühle eine von Wasserturbinen angetriebene Holzstoff- und Lederpappenfabrik machten. Im Januar 1925 gab es dazu ein behördlich verbrieftes Wasserrecht. Der hiesige Neißeabschnitt eignete sich deshalb wohl so gut für die Nutzung der Wasserkraft, weil es ringsherum nur wenig Bebauung gab und die geologischen Eigenschaften stimmten.
In der DDR fristete das Objekt ein kümmerliches Dasein. Bei der Energiegewinnung setzte man hauptsächlich auf Braunkohle, Wasser spielte allenfalls eine Nebenrolle. So war es nicht verwunderlich, dass für die Anlage in Nieder-Neundorf, die zur Pappenfabrik Lodenau gehörte, das Aus kam. Reinhard Kasper, der damals in dem Betrieb beschäftigt war, erinnert sich, dass es bereits Ende der 1960er Jahre immer wieder Probleme mit der Technik gegeben hatte. Zuletzt lief nur noch eine der drei Turbinen. Im Januar 1973 beantragte man die Aufhebung des Wasserrechts, im Juli desselben Jahres wurde dem stattgegeben. Im nun nutzlosen Turbinenhaus fanden schon bald mehrere Pumpen Platz, mit denen der benachbarte Landwirtschaftsbetrieb seine Felder bewässerte.
Der Grundbesitz lag jedoch weiterhin bei der Pappenfabrik. Als aus ihr im August 1991 die Firma Celltechnik wurde, war das für die Zukunft der Energieerzeugung durch Wasserkraft an der Neiße wie ein Lottogewinn. Josef Rettenmaier, der schon damals zahlreiche derartige Anlagen betrieb, hatte Wind bekommen von dem Wehr in Nieder-Neundorf, fand Gefallen daran und stieg schließlich als Investor auch bei der Celltechnik ein. „Besser hätte es gar nicht laufen können“, sagt Volker Altus, der die Lodenauer Firma heute leitet. Denn Rettenmaier engagierte sich nicht nur in Nieder-Neundorf, sondern investierte auch in Lodenau und Bremenwerk. Die zu seinem Unternehmen gehörende Parsimonia-Gruppe übernahm die Wasserkraftanlagen in Ludwigsdorf, Bad Muskau und Groß Gastrose bei Guben. Überall gab es einen hohen Sanierungsstau. Und so begann in Nieder-Neundorf bereits 1991 die Planung für die Wiederbelebung von Wehr und Wasserkraftwerk. Im Januar 1993 erteilte das damalige Landratsamt Niesky die „wasserrechtliche Zustimmung zur Instandsetzung und Reaktivierung“. Nur wenige Wochen später begann der Bau, nachdem Celltechnik Lodenau Teile des Geländes an die Rothenburger Firma Marktfrisch verkauft hatte, die seitdem hier eine Schälküche betreibt. „Wir wollten uns an dieser Stelle ausschließlich auf die Energiegewinnung konzentrieren“, begründet Altus. Das alte Holzbretterwehr wurde weggerissen und durch ein modernes Schlauchwehr ersetzt. Hierbei wird in eine quer zum Flussbett liegende Gummimembrane Wasser gepumpt und je nach Erfordernis aufgebläht oder abgelassen. Natürlich wurde auch das Turbinenhaus inklusive der drei Turbinen mit jeweils 242 Kilowatt Leistung komplett erneuert. Davor brachte man moderne Treibgutrechen an. Im Herbst 1993 nahm man die Anlage in Betrieb. Seitdem liefert sie im Durchschnitt je nach verfügbarer Wassermenge 3,2 bis 3,5 Millionen Kilowattstunden im Jahr. Die Energie wird ins örtliche Netz eingespeist und durch die LEW Lechwerke als grüner Strom verkauft.
So sieht es bei den anderen Wehren zwischen Görlitz und Bad Muskau aus
Nach Ansicht von Volker Altus hat die moderne Wehranlage auch für den Hochwasserschutz sehr viel gebracht. „Wenn man die beiden Katastrophen der Jahre 1981 und 2010 miteinander vergleicht, gab es 1981 – als die Wehre in Nieder-Neundorf und Lodenau außer Betrieb waren – wesentlich stärkere Auswirkungen als 2010, wo zwar mehr Wasser unterwegs war, wir aber regulierend einwirken konnten.“ Aktuell ist man von einer solchen Situation natürlich weit entfernt. „Ich bin hier seit 1993 und habe eine solche Trockenheit noch nie erlebt. Im Durchschnitt sind sonst 17,9 Kubikmeter Wasser in der Sekunde unterwegs, momentan haben wir nur 3,43. Ein Wert, bei dem man nicht viel Strom erzeugen kann.“