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Die wilden Damen vom Rollfeld

Roller-Derby ist spektakulärer als jeder Bauch-Beine-Po-Kurs. Aber nichts für zarte Damen, denn Rempeln ist ausdrücklich erlaubt. Nun greift auch ein Dresdner Team an.

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Von Doreen Reinhard

Wenn es dunkel wird in Dresden, rollen sie in ihr Doppelleben. Aus Miriam, der Mediendozentin, wird Mary Toothfairy, die resolute Anführerin in goldenen Hot Pants. Mit einer Trillerpfeife kommandiert sie ein Dutzend Damen durch die Halle: Angestellte, Informatikerinnen und Sozialarbeiterinnen, die sich nach Feierabend für ihr zweites Ich auf Rollschuhen rüsten. Helme, Gelenkschoner und Zahnschienen sind Pflicht, denn der Abend kann gefährlich werden. Roller-Derby ist nichts für zarte Damen. Hier geht es um Show und Schnelligkeit, hier ist Körpereinsatz ausdrücklich erwünscht. Es darf geblockt und gerempelt werden, denn Schultern und Hintern sind die besten Hilfsmittel, um die Gegner auszuschalten und mit den meisten Punkten ins Ziel zu rasen.

Miriam alias Mary hat in ihrem Leben schon viele Sportarten ausprobiert, aber keine wie diese: „Nichts hat so viel Spaß gemacht, nirgendwo entsteht ein so großes Gemeinschaftsgefühl.“ Roller-Derby, das hat sie vor Jahren das erste Mal in einem Videoclip gesehen. Flippige Mädchen, die in irrem Tempo auf einer Bahn irgendwo in Amerika kreisten. Dort hatte der Rollschuh-Sport seinen letzten Höhepunkt in den Siebzigerjahren erlebt, mittlerweile bahnt sich ein Comeback an. Wütender und aggressiver als zuvor. Über 700 Teams haben sich im letzten Jahrzehnt in Amerika gegründet und ihr Erbe inzwischen nach Europa verpflanzt.

Seit einem halben Jahr auch nach Dresden, dafür hat Teamchefin Mary gesorgt. Anderthalb Jahre hatte sie in einem Berliner Team gelernt, danach wollte sie Nachwuchs in Sachsen finden. Erst mal ganz vorsichtig mit einer Kleinanzeige im Internet. Die Resonanz war enorm. Zum Kennenlern-Treffen kamen 35Interessenten, die noch nie auf Rollschuhen gestanden hatten, aber mehr darüber wissen wollten.

Auch Lutz, Mitte zwanzig, hauptberuflich Mediengestalter und „immer für Projekte fernab vom Mainstream zu haben“. Sogar für solche, bei denen für Männer nur Nebenrollen als Schiedsrichter vorgesehen sind. „Mich hat interessiert, dass es kein reiner Sport ist, sondern ein Mix aus Bewegung, Show und Selbstdarstellung.“ Bei Wettkämpfen gehören Kostüme dazu, zerrissene Strümpfe, grelle Leibchen und Kriegsbemalung im Gesicht. Auf dem Parcours bekommt jeder ein zweites Ich – inklusive Künstlernamen. Selbst beim Training existieren Silvana und Judith nicht, hier kämpfen Glitter Violation und Kara M. Bolage gegeneinander. „Die Suche nach dem neuen Namen dauert manchmal Monate“, sagt Sarah alias Ruby Riot. Es darf weltweit keine Dopplungen geben, alle Neuzugänge werden in einer riesigen Datenbank abgeglichen.

Sportliche Emanzipation

Auch Schiedsrichter Lutz ist getauft worden und steht beim Roller-Derby nun als „Dadacroix“ am ovalen Spielfeld, in letzter Zeit immer öfter. Aus der fixen Idee ist in sechs Monaten ein ehrgeiziges Projekt geworden. „Andere Teams diskutieren noch auf dem Parkplatz, bei uns geht es schnell voran“, sagt er. Eine Mannschaft hat sich formiert, ein harter Kern, zu dem jede Woche zwei, drei neue Kandidatinnen stoßen, um sich bei Trainerin Mary Toothfairy Ausrüstung zu borgen und ein paar Testrunden zu drehen. Nicht alle bleiben, aber viele.

Die Stammbesetzung erzählt sich unterdessen bei jedem Training begeistert, in welcher deutschen Stadt gerade neue Teams gegründet wurden, man redet von der Weltmeisterschaft und der Nationalmannschaft und träumt davon, dass Roller-Derby irgendwann eine olympische Disziplin wird. Darüber staunt sogar Schiedsrichter Lutz: „Ich hätte nicht gedacht, dass es so ernsthaft wird. Das ist mehr als eine Mode-Erscheinung.“

Auch wenn das manche anders sehen. Zum Beispiel die Volleyballer, die am anderen Ende der Halle trainieren und schon ein paar Male verständnislos zugeschaut haben. Mädchen auf Rollschuhen? Was soll das denn bloß werden? Eine sportliche Emanzipation, würden die Damen vom Rollfeld sagen. Mal etwas anderes als ein Bauch-Beine-Po-Kurs, viel anstrengender und nicht so furchtbar harmlos.