Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland

Die Wolkenguckerin

Anita Bätz beobachtet seit 29 Jahren das Wetter. Sie kann zwar nicht sagen, wie es wird, aber sehr genau, wie es gerade ist.

Teilen
Folgen
NEU!
© Sven Ellger

Von Anna Hoben

Dresden/Berbisdorf. Auf der Wiese liegen, dem Blätterrauschen der Bäume lauschen, einen Sommertagtraum träumen, ab und zu blinzeln und nachsehen, wie sich die Wolken verschoben haben. Das hat Anita Bätz schon als Kind gern getan, und man kann sagen, dass sie ihre Lieblingsbeschäftigung zum Beruf gemacht hat. Die 46-Jährige ist Wetterbeobachterin auf dem Flughafen in Dresden-Klotzsche. Dort hat der Deutsche Wetterdienst eine Station.

Natürlich liegt Anita Bätz nicht auf einer Wiese. Sie blinzelt auch nicht und schaut ab und zu in die Wolken. Sie sitzt in einem unscheinbaren Flachbau am Rande der Landebahn in zwei Meter Höhe, eine Fensterfront mit Sonnenschutzfolie vor sich, außerdem fünf Computerbildschirme. „Ich habe das Wetter immer im Blick“, sagt die Berbisdorferin. Und immer heißt immer, jede Minute ihrer Zwölf-Stunden-Schicht: Tagdienst von morgens halb sieben bis abends halb sieben, Nachtdienst umgekehrt. Immer heißt: auch in der Pause. Der Job im Glaskasten ist ein Einzelarbeitsplatz, und der Wetterbeobachter muss jederzeit verfügbar sein. Anita Bätz wechselt sich mit sechs Kollegen ab. Der Platz ist rund um die Uhr besetzt, an jedem Tag im Jahr. Manchmal geht die Wetterbeobachterin raus auf den Balkon, der sich im ersten Stock um das Gebäude zieht. Sie prüft die Sichtweite. Anita Bätz schaut nach links: „Der Keulenberg bei Pulsnitz“, sagt sie, „17 Kilometer“. Sie schaut geradeaus, hinter einem Flugzeug und einem Wald ist bei angestrengtem Hinsehen ein dunstiger Hügel zu erkennen. „Der Valtenberg in der Lausitz, 40 Kilometer.“ Dann schaut sie nach rechts: das Erzgebirge. An der Rückseite des Hauses sieht sie bis Moritzburg, Großenhain, Meißen. Und natürlich die nahe gelegenen Kirchtürme von Bärnsdorf und Bärwalde. Den ihres Heimatortes allerdings nicht. Der ist zu niedrig.

Dienstagvormittag kurz vor zehn: Sichtweite top, weißblaugrauer Himmel, Sonne, keine Wolken. Halt, doch, rechts hinten zieht ein kleines weißes Kumulus-Gebirge auf, Quellwolken also. Noch nicht relevant, aber zu beobachten. Sobald sich beim Wetter etwas verändert, muss Anita Bätz dies registrieren und melden. „Der Flugverkehr hat absolute Priorität.“

Jede halbe Stunde liefert sie Informationen zu Sicht, Wolken, Wetterzustand und Wind. Wenn ein Pilot Dresden anfliegt und kurz vor der Landung das Wetter in der Stadt durchsagt, dann ist es Anita Bätz’ jüngster Bericht, den die Passagiere hören. Jede Stunde gibt es außerdem einen Wetterbericht aus Klotzsche. Der wird codiert, mit Buchstaben und Zahlen, sodass er weltweit lesbar ist für alle, die den Schlüssel kennen. „Ich bin ein Gitterpunkt in einem Netz, das die ganze Welt umspannt, ein kleines Rädchen im Getriebe“, sagt die Wetterbeobachterin. Ein Punkt, der wichtige Informationen liefert, aus denen andere Meteorologen Vorhersagen treffen – denn das tut sie in Klotzsche nicht.

„Cavok“, steht im Moment auf einem der Bildschirme. Die Abkürzung steht für „cloud and visibility okay“, Wolken und Sichtbarkeit in Ordnung. Bestes Flugwetter also. Aber was zum Fliegen und privat als „schönes Wetter“ gilt, ist im Dienst ein bisschen langweilig. Wenn es Sturm, Schnee, Hagel oder Regen gibt, ist es natürlich spannender. Dann, wenn sie eben nicht bis in die Lausitz und zum Erzgebirge schauen kann, sondern gerade mal zwei Kilometer bis Hellerau, „dann wird’s interessant. Wenn richtig was los ist, das ist eine Herausforderung.“ Aber sie mag auch die Ästhetik ihrer Arbeit: Regenbögen, Sonnenaufgänge. Und immer wieder Wolken, die schaut sie am liebsten an.

Vieles, was früher zum Job gehörte, ist inzwischen weggefallen. Ging Anita Bätz einst jede Stunde raus zur Wetterhütte, um die Daten zu messen, liefert diese heute die Technik. Windsensoren, Wolkenmesser, Niederschlagsmessgeräte, Strahlungsmesser. Der Wetterbeobachter selbst hat heute hauptsächlich eine Kontrollfunktion. Dass die Handarbeit kaum noch zum Job gehört, findet Bätz „ein bisschen schade“. Ihre Entscheidung für die Ausbildung als technische Assistentin für Meteorologie, damals Ende der 1980er-Jahre in Potsdam, hat sie indes nie bereut. In der Schule war sie gut in Mathe und Physik, ein Berufsberater überzeugte sie. „Es klang abenteuerlich.“

Abenteuerlich ist auch ihr Arbeitsweg: am Flughafen durch die Sicherheitsschleuse, dann auf kurvigen Straßen bis zum Ende des Rollfeldes. Dass sie während des Dienstes ganz schön einsam ist, stört sie nicht. Nur ihre Familie stelle manchmal fest, dass sie erhöhten Redebedarf habe. Anita Bätz ist ein geselliger Mensch, und die einzige Zeit, in der sie auf Arbeit jemanden zum Reden hat, ist, wenn ein Kollege zur Ablösung kommt.

Nach einer Nachtschicht fällt sie sofort ins Bett. Nach einer Tagschicht macht sie gern noch Gartenarbeit. Sie liebt die Phänologie: wiederkehrende Naturerscheinungen, den Wechsel der Jahreszeiten.

www.dwd.de