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Die zwei Probleme der Briefwahl

Immer mehr stimmen von zu Hause aus ab. Das ist gut für die Wahlbeteiligung, es führt aber auch zu verfassungsrechtlichen Bedenken.

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© dpa/Sebastian Gollnow

Berlin. Bundeswahlleiter Georg Thiel sieht die seit Jahren steigende Zahl der Briefwähler kritisch. "Eine hohe Wahlbeteiligung ist gut für den demokratischen Willensbildungsprozess. Die Verfassung und die darauf beruhenden Gesetze sehen aber die Stimmabgabe an der Urne, also am Wahlsonntag, als Grundsatz vor", sagte Thiel den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Dienstag). Die Briefwahl beeinflusse die Prinzipien der gleichen und geheimen Wahl.

Thiel sieht vor allem zwei Probleme in der steigenden Briefwahl-Quote: Der Zeitraum der Stimmabgabe wird auf mehrere Wochen gestreckt. Das bedeutet, dass nicht alle Wähler unter denselben Voraussetzungen abstimmen. Zwischen Stimmabgabe und Wahltag können unvorhergesehene Ereignisse liegen, die noch Einfluss auf die Stimmabgabe haben könnten. Das gilt aktuell beispielsweise für die Ibiza-Affäre in Österreich, die in ganz Europa für Aufsehen sorgt. Hinzu kommt, dass das Prinzip der geheimen Wahl unterlaufen werden kann, wenn man zu Hause wählt.

Zur Notwendigkeit einer Reform wollte Thiel sich nicht äußern: "Ob es bei dem derzeitigen Verfahren der Briefwahl Änderungen geben sollte, ist nicht vom Bundeswahlleiter zu beurteilen, sondern vom Parlament oder gegebenenfalls vom Bundesverfassungsgericht." Bis 2008 musste man noch eine Begründung liefern, wenn man per Brief abstimmen wollte. Das Ist heute nicht mehr so. Das könnte zum Anstieg der Briefwahl-Quote beigetragen haben.

Hintergrund der Äußerungen Thiels ist der seit Jahrzehnten steigende Anteil von Briefwählern bei Wahlen in Deutschland. Bei der Europawahl 2014 lag er bei 25,3 Prozent. Bei den Bundestagswahlen gab es seit 1994 einen kontinuierlichen Anstieg von 13,4 auf 28,6 Prozent bei der Wahl 2017. Bei den meisten Parteien wich das Briefwahlergebnis bei der letzten Bundestagswahl um weniger als 1,5 Prozentpunkte vom Gesamtergebnis ab.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits mit der Briefwahl befasst und festgestellt, dass sie mit dem Grundgesetz vereinbar ist. "Die Grundsätze der freien und geheimen Wahl sowie der Öffentlichkeit der Wahl werden nicht verletzt", heißt es in einem Beschluss, der rund ein Jahr vor der Europawahl 2014 gefasst wurde. Doch auch die Karlsruher Richter wiesen damals darauf hin, dass im Zusammenhang mit der Briefwahl Einschränkungen der "Grundsätze der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl" abgewogen werden müssten.

Kritik an der Einschätzung des Bundeswahlleiters kommt unter anderem von der FDP. "Die Briefwahl trägt zu einer höheren Wahlbeteiligung bei. Das kann in einem demokratischen Gemeinwesen nichts Schlechtes sein", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Auch der Wirtschaftsverband Die jungen Unternehmer widersprach der Kritik des Bundeswahlleiters an der Briefwahl und forderte Online-Wahlen. "Die Europawahl ist jugendfeindlich gestaltet", sagte Sarna Röser, Bundesvorsitzende des Verbands, der Deutschen Presse-Agentur. "Das altmodische Wahlprozedere schreckt besonders die Jugend, die alles digital und zeitunabhängig erledigt, ab, ihren demokratischen Beitrag zu leisten", ergänzte sie. (dpa)