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Die zwei Typen von der Bank

Die Dresdner Sylvia Szarvas und Andree Vogel drücken Lasten wie nur wenige andere. Etwas verrückt finden sie das selbst.

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© Jürgen Lösel

Von Alexander Hiller

Das wirkt jetzt nicht sehr schwierig und schon gar nicht spektakulär. Unter eine Hantel legen, Gewicht aus der Ablage heben, auf der Brust ablegen und wieder nach oben drücken – bis die Arme gestreckt sind. Fertig. Bankdrücken nennt sich das. Wobei die Bank eigentlich gänzlich ungedrückt bleibt.

Aber es gibt Leute, die können über diesen simpel wirkenden Vorgang stundenlang referieren. Menschen wie Andree Vogel und Sylvia Szarvas. Den beiden Athleten aus der Kraftsport-Abteilung des USV TU Dresden sieht man ihre Leidenschaft an. Breites Kreuz, kernige Statur, muskulöse Arme. Das muss so sein – will man so erfolgreich sein wie die beiden Sachsen. Silvia Szarvas wurde kürzlich Weltmeisterin in der offenen Klasse der Frauen bis 84 kg Körpergewicht, ihr Klubkollege Vize-Weltmeister in der Altersklasse Masters 2 – bei den Athleten bis 120 Kilogramm Körpergewicht. Szarvas drückte 110 Kilogramm nach oben. Vogel 182,5 kg, neuer Europarekord. Wäre der Autor eine gewichtsbelastete Hantel, hätte Sylvia Szarvas damit kein Problem, Andree Vogel schon gar nicht. Bewundernswert.

Und auch irgendwie irre. Denn einerseits wagten sich die Dresdner für ihre erste WM ans andere Ende der Welt – nach Potchefstrom in Südafrika. Anderseits fällt die öffentliche Wahrnehmung dieser Leistungen recht übersichtlich aus.

„Das ist ein Sport, da muss man Zeit und Geduld mitbringen. Man muss wissen, wofür man das tut. Die Ziele müssen vorher klar sein. Das ist wie überall im Leistungssport“, sagt Andree Vogel. Und der muss es wissen. Der Mann, den sein markanter Bart wie einen Motorrad-Rocker wirken lässt und der tatsächlich auch eine schwere Chopper-Maschine fährt, hat sich beinahe in jeder Sportart schon ausprobiert. Schwimmen, Rudern, als Läufer hätte er es fast mal zur Senioren-EM im Cross geschafft, Hammerwerfen, Kugelstoßen.

Und nun eben Kraftdreikampf. Bankdrücken gehört dazu – wie Kreuzheben und Kniebeugen. Wer da zur Weltspitze gehören will, muss trainieren, trainieren, trainieren. Vogel und Szarvas tun das regelmäßig mindestens dreimal die Woche. „Das ist kein Hobby mehr“, sagt Sylvia Szarvas, „das ist eine Lebenseinstellung.“ Andree Vogel verspricht, dass er nun die ideale Sportart für sich gefunden hat. „Das ist so fest wie der letzte Wohnsitz“, beteuert er. Kann auch daran liegen, dass sein Abteilungs-Chef Jan Thurn genau zuhört.

Sei es drum, die beiden erfolgreichen Schwerathleten wirken so in sich ruhend, dass man ihnen tatsächlich abnimmt, Zeit, Engagement und die Investition von Privatvermögen wären den Aufwand wert. Vogel, bei der SK Baumaschinen Dresden beschäftigt – und Szarvas, technische Mitarbeiterin im Kunststoff-Prototypenbau, steckten in den WM-Trip nach Südafrika teilweise privates Geld. 400 Euro pro Nase – für die beiden Athleten plus einen Trainer. Außerhalb des normalen Jahresurlaubs.

Aber das Duo weiß, wie sich andere für ihre Begeisterung begeistern lassen. „Die Firma hat mir im Nachhinein den Flug bezahlt. Die haben sich sehr für mich gefreut“, erklärt die neue Weltmeisterin. Abteilungsleiter Jan Thurn ergänzt: „Der Verein hat etwas dazugegeben. Wir haben eine Vereinsförderung beim Stadtsportbund beantragt. Da wissen wir noch nichts.“

Die Flugangst überwunden

Dennoch muss eine tiefere, schwer zu fassende Faszination für ihren Kraftdreikampf in den beiden Dresdnern schlummern. Wer fliegt schon freiwillig ans andere Ende der Welt, gewinnt dort gewissermaßen ohne erwähnenswerte öffentliche Wahrnehmung eine WM-Medaille, von der hier kaum jemand etwas mitbekommt?

Und legt dafür auch noch drauf. „Eigentlich“, findet Andree Vogel, „kann man das keinem erzählen. Bissel verrückt muss man schon sein. Sich neben der Arbeit das noch alles anzutun – Sommer wie Winter.“ Und Sylvia Szarvas musste noch ein anderes Hemmnis überwinden. „Ich war schon geschafft vom Flug, den habe ich nicht so gut vertragen. Das war mein erster Flug überhaupt. Ich bin ein bodenständiger Mensch, eigentlich habe ich Höhenangst. Aber ich habe mich überreden lassen“, erklärt die Mutter einer 14-jährigen Tochter.

Wofür aber all diese Entbehrungen? „Ich bin seit meinem sechsten Lebensjahr beim Wettkampfsport, ich brauche den Vergleich zu anderen. Das dauert immer eine gewisse Zeit, bis man das Level erreicht hat. Und dann sucht man sich neue Ziele“, sagt der Vize-Weltmeister. Und seine witzigen Augen werden plötzlich ein kleines bisschen feucht. „Plötzlich stand im Februar fest: Der Vogel ist in der Gewichtsklasse bis 120 Kilo für die WM nominiert.“ Auch kraftstrotzende Herren haben Gefühle. „Für mich ist das total spannend, wie weit man den Körper treiben kann und wo die Grenzen liegen. Solange ich merke, dass es mit legalen Mitteln immer noch vorwärtsgeht, bleibe ich da dran“, erklärt Szarvas.

Aber ist dieser Sport denn für die mächtigen Körper auch wirklich gesund? „Wenn man alles technisch sauber und bewusst ausführt, dann ja“, erklärt Silvia Szarvas überzeugt. Denn so simpel, wie die Bewegungen wirken, sind sie nicht. Selbst kleinste Fehler verzeiht der Körper bei diesen Lasten nicht. Stütz- und Hebe-Winkel, Kraft und Technik müssen eine Symbiose ergeben. Klingt sogar ein bisschen spektakulär – und macht offenbar Lust auf mehr. Die nächste WM ist in Texas. „Sollte man sich angucken“, meinte Vogel.