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Die zweite Görlitzer Blüte

Das Ratsarchiv gibt wieder einen Kalender heraus. Als Ansporn für die Unesco-Bewerbung.

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© Robert Scholz/ Ratsarchiv

Von Sebastian Beutler

Guido Hagspihl war ein erfolgreicher Unternehmer, saß im Stadtrat, besaß die Getreidebrennerei und spätere Hefefabrik an der Bautzener Straße. Seinen Erfolg, seinen Rang in der Görlitzer Stadtgesellschaft wollte er auch zeigen. So ließ er sich kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert vom gleichermaßen berühmten Görlitzer Architekten Gerhard Röhr eine großbürgerliche Villa an der Goethestraße errichten. Edle Holzvertäfelungen an Wänden und Decken, historische Schiebetüren, Stuck, repräsentative Räume und obendrauf ein Türmchen mit drei Etagen. Die Villa Hagspihl ist noch heute eines der schönsten Gebäude weit und breit – viele Studenten lernten sie als Hörsaal kennen, momentan stockt die bereits begonnene Sanierung. Der neue Kalender des Görlitzer Ratsarchivs mit Fotos von Robert Scholz führt uns hingegen in die Entstehungszeit der Villa und zeigt uns, wie sie über der Umgebung thronte. Die Spaziergänger im Kaiserreich mussten aufschauen zu der Villa, als sie die neue Aktienbrauerei auf staubigen Wegen passierten.

Das Foto ist eines der Blätter des neuen Robert-Scholz-Kalenders des Görlitzer Ratsarchivs, der ab Montag nächster Woche im Rathaus erhältlich ist. Damit knüpft Ratsarchivar Siegfried Hoche an eine schöne Tradition seit 2010 an. Damals gab er erstmals einen Begleiter durchs Jahr mit zwölf Ansichten des berühmten Görlitzer Fotografen Robert Scholz heraus, der zwischen 1843 und 1926 lebte. Eigentlich sind es sogar 13, denn es gibt ja auch ein Deckblatt. Die Erlöse des Kalenders ermöglichen dem Ratsarchiv, beispielsweise wertvolle Folianten zu restaurieren oder andere Dinge zu erledigen, wofür sonst kein Geld zur Verfügung stünde.

Das Ratsarchiv verfügt über 4400 Platten aus dem Nachlass von Robert Scholz. Das ist zwar nicht der größte Bestand in der umfangreichen Fotosammlung des Ratsarchivs, die 150 000 Aufnahmen umfasst. „Aber er ist am besten erschlossen und wird auch am häufigsten genutzt“, sagt Hoche. Nachkommen, Behörden, Verlage – sie alle greifen gern auf das Fotoarchiv im Rathaus zurück. Dabei wären die Platten beinahe verloren gewesen. Aus einem Schuppen auf der Bismarckstraße rettete sie das Görlitzer Museum, 1998 kamen sie zum Stadtarchiv.

Für den Ratsarchivar hat die Beliebtheit von Scholz mit der Zeit seines Wirkens in der Stadt zu tun. Als Scholz 1867 sein Fotoatelier eröffnete, begann die zweite Stadterweiterung in der wilhelminischen Zeit erst. „Die Widerspiegelung dieser zweiten Blüte der Stadt“, so sieht es Hoche, hat Scholz populär gemacht. Bis heute.

Hoche sieht in den Aufnahmen auch eine besondere Wertschätzung des Fotografen für das Ererbte wie auch das Neuentstehende. „Er bannte es in außergewöhnlicher künstlerischer Qualität auf zum Teil opulente Glasnegative“, sagt Hoche. „Ich bin überzeugt, auch er wäre heute ein großer Kämpfer für den Erwerb des Unesco-Welterbetitels“. Denn diesem Ziel ist der neue Kalender gewidmet. „Görlitz Generationenwerk – Bewusst Wohlstand für die Gegenwart und unbewusst Welterbe geschaffen“, heißt das etwas sperrige Motto der Publikation nach Angaben des Görlitzer Rathauses. Dass dabei Geduld gefragt ist, können die Görlitzer auch bei anderen sehen. Naumburg mit seinem unumstritten wertvollen Dom und den mittelalterlichen Stifterfiguren musste seinen Antrag dreimal schreiben und brauchte 20 Jahre, bevor dem Dom der Sprung auf die Liste gelang.

Der Kalender ist zum Preis von 10 Euro im Ratsarchiv zu folgenden Zeiten ab 27. November erhältlich: montags und mittwochs 9 bis 12 Uhr, dienstags 10 bis 18 Uhr und donnerstags 10 bis 16 Uhr.