Von Sebastian Beutler
Der erste Schreck hielt nur kurz im Carolus-Krankenhaus vor. Dann lief es wie am Schnürchen: Die Malteser und der Landkreis halfen, ein Hersteller lieferte schnell neue Endoskope, und das Krankenhaus begann, ein neues Sicherheitskonzept umzusetzen. Donnerstagfrüh wurde der Diebstahl der endoskopischen Geräte im Wert von 400 000 Euro bemerkt, seit Dienstagnachmittag kann das Carolus seine Patienten wieder im eigenen Haus untersuchen, als wäre nichts geschehen.
Doch der Schein trügt. Selten hat das Malteser-Krankenhaus so schmallippig auf Presseanfragen reagiert, die Polizei bestätigt sogar, dass das Carolus eine „aktive Berichterstattung nicht gewünscht“ habe. Zu groß ist die Sorge in der Görlitzer Klinik, die Diebe könnten zurückkommen oder durch Berichte womöglich erfahren, wo nun die Abteilung untergebracht worden ist, welche Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden.
Das Carolus steht mit dieser zurückhaltenden Öffentlichkeitsarbeit nicht allein. Zwar informiert das Städtische Klinikum auf SZ-Nachfrage, dass es vor mehreren Monaten Hinweise erhielt, dass im Bereich der Endoskopie verstärkt Einbrüche in Krankenhäusern vorkommen. Daraufhin sei die Abteilung mit einer speziellen Verschlusssicherheit versehen worden. Dann aber fügt Pressesprecherin Katja Pietsch an: „Bei den weiteren Vorsorgemaßnahmen können wir nicht ins Detail gehen.“
Die Krankenhäuser sind vorsichtig geworden, seit sie verstärkt zum Ziel von Dieben geworden sind. Nicht nur in der Endoskopie. So weist Sprecherin Lisa Otto vom Landkreis-Krankenhaus in Zittau auf den Diebstahl von Computertechnik im Frühjahr hin. Deswegen habe ihr Haus schon vor den Ereignissen im Carolus „die Mitarbeiter zu diesem Thema informiert und sensibilisiert“. Auch die Uniklinik Dresden beklagte vor fünf Jahren den Klau eines PCs mit sehr spezieller Software, musste aber entgegen erster Berichte nicht den Verlust von Untersuchungsgeräten, beispielsweise für Darm- oder Magenspiegelungen, verzeichnen. Das bestätigt Pressesprecher Holger Ostermeyer.
12 Millionen Euro Schaden
Sie alle hatten Glück. 54 andere Kliniken in Deutschland, Österreich und Polen hatten es nicht, darunter die Krankenhäuser in Dresden-Friedrichstadt, in Coswig, Stolberg und eine Klinik in Leipzig. Und nun das Görlitzer Carolus-Krankenhaus. Seit Februar 2014 wurden sie von Dieben heimgesucht, die nur ein Ziel hatten: Endoskope. Der dadurch entstandene Schaden nähert sich der Zwölf-Millionen-Marke. Ralf Britz nennt diese Zahlen. Er arbeitet in der Schadensabteilung des Versicherungsmaklers Ecclesia Holding in Detmold. Über diese Gruppe sind weit über 50 Prozent aller nicht-kommunalen Krankenhäuser versichert. Außerdem verfolgt Britz aufmerksam die Schadensmeldungen auch jener Krankenhäuser, die nicht bei Ecclesia Kunde sind. Daher hat er im Moment wohl deutschlandweit den besten Überblick über die Lage – besser als die Polizei.
Obwohl sich der Diebstahl von Endoskopen seit zweieinhalb Jahren durchs Land zieht, ist keine zentrale Sonderkommission gegründet worden. „Sie war wohl mal geplant“, sagt Britz, „aber dann wurde die Idee wegen anderer dringender Ermittlungen wieder beiseitegelegt.“ Dabei spielte auch eine Rolle, dass die Ermittlungen alle im Sande verliefen. Nur einmal gelang es Britz zufolge, die Diebe zu erwischen: Drei Kolumbianer wurden mit Endoskopen in einem Frankfurter Hotelzimmer festgenommen. Sie hatten die Geräte kurz zuvor aus einem Krankenhaus in der Nähe von Frankfurt/Main gestohlen.
Die meisten Endoskope, die zu Untersuchungen des Magens oder des Darms benötigt werden, sind aus Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen gestohlen worden. Das zentrale Problem: Krankenhäuser sind keine Hochsicherheitstrakte. „In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen können sich Patienten und Besucher weitgehend unkontrolliert bewegen“, sagt Britz.
Zwar gehen alle Beteiligten davon aus, dass es sich bei den Diebstählen um organisierte Kriminalität handelt. Weil die Einzelfälle aber immer verschiedene Muster aufweisen, ist es so schwer, den Dieben auf die Spur zu kommen. Nur bei jedem zweiten Einbruch hinterlassen die Täter Spuren, nicht immer müssen sie eine Tür einschlagen wie im Carolus. „Es gibt weder ein Muster, wo und wann die Täter zuschlagen“, sagt Ralf Britz, „noch werden Geräte bestimmter Hersteller bevorzugt.“ Auffällig ist, dass mehr als die Hälfte der Straftaten an Wochenenden erfolgen. Doch im Görlitzer Fall geschah die Tat in der Nacht zum Donnerstag vergangener Woche.
Zudem erleichtern die Geräte selbst die Taten. Endoskope sind vergleichsweise klein. „Acht passen bestimmt in eine Sporttasche“, schätzt Britz. Größere Krankenhäuser verfügen meist über sieben bis acht, um ihre Untersuchungen problemlos vornehmen zu können.
Weil der Export solcher Geräte nach Russland zumindest zeitweilig unter die Sanktionen des Westens fiel, vermuten nun einige Beobachter, dass die gestohlenen Instrumente dorthin verschickt werden. Mitunter tauchen auch einzelne Geräte überraschend wieder auf. So war es vor 20 Jahren, als die erste, wenngleich nicht so große Diebstahlswelle von Endoskopen durchs Land lief. Damals schickte ein ägyptischer Tierarzt ein Endoskop zur Inspektion an den Hersteller. Der überprüfte die Nummer und konnte das Gerät einem Diebstahl zuordnen. Der Ägypter konnte vermutlich nichts dafür. Er hatte Hehlerware erworben.