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Dieser beißende Geruch

Die Jüdische Gemeinde ist geschockt über den Anschlag vom Sonntag und macht in der Stadt einen aggressiven Antisemitismus aus. Bedroht fühlt sie sich dennoch nicht.

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Von Claudia Schade

Der Wind rauscht in den Blättern der alten Bäume, die wohlgepflegten Gräber schimmern im Sonnenschein in stiller Würde: Der jüdische Friedhof an der Fiedlerstraße strahlt eine besinnliche Ruhe aus – wäre da nicht dieser beißende Geruch.

Nora Goldenbogen, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, hat ihn in der Nase, während sie die beschädigte Eingangstür der Beerdigungshalle betrachtet. Sie streicht mit den Fingern vorsichtig über das verkohlte Holz. Sie wirkt bedrückt.

In der Nacht zum Sonntag haben ein oder mehrere Täter die schwere zweiflügelige Holztür in Brand gesetzt. Die Flammen hatten bereits ein Loch hineingefressen, als am frühen Sonntagmorgen eine Radlerin das Feuer entdeckte und Hilfe herbeirief.

Erschreckende Aggressivität

„Ich bin sehr berührt“, sagt Nora Goldenbogen. „Unsere Gemeinde ist sehr offen, sie lädt zum Besuchen ein. Umso mehr schmerzt es mich, wenn man in bestimmten Abständen wieder merkt, dass es einen aggressiven Antisemitismus gibt.“ Daraufhin schweigt sie einen Moment. „Es ist erschreckend, dass der sich so stark entlädt“, fügt sie schließlich hinzu.

Immer wieder hat sich die jüdische Gemeinde in den vergangenen Jahren Anfeindungen gegenüber gesehen. 1993 wurde die Außenwand des Friedhofs auf einer Länge von 60 Metern mit antisemitischen Parolen und Hakenkreuzen beschmiert. Etwa 30 Gräber wurden damals geschändet. Einige wurden umgeworfen, andere mit Hasstiraden und Zeichnungen verunstaltet. In den zwei darauffolgenden Jahren wiederholten sich die Angriffe auf die wehrlosen Toten. Nicht selten erhält die Gemeinde schriftliche Drohungen, neuerdings auch verstärkt per E-Mail. Und erst im vergangenen Jahr beschmierte ein Mann die Außenwand der Synagoge mit Hakenkreuzen.

„Das alles kennen wir“, sagt Nora Goldenbogen. „Aber ein Brandanschlag ist eine andere Kategorie.“ Ein Feuer an einer Synagoge weckt die Erinnerung an die brennenden Synagogen in der Reichspogromnacht am 9. November 1938. Damals hatten die Nazis jüdische Gotteshäuser im ganzen Land in Brand gesteckt, Wohnungen und Geschäftshäuser von Juden zerstört und im Anschluss daran mit der Deportation der Menschen in Konzentrationslager begonnen.

Diese Bilder laufen bei vielen älteren Mitgliedern der jüdischen Gemeinde vor dem inneren Auge ab, wenn sie nun von einem Brandanschlag hören. „Viele sind verängstigt“, sagt Nora Goldenbogen. Sie hat bereits zahlreiche Telefonate mit beunruhigten Mitgliedern geführt.

Mit der jetzigen Beerdigungshalle ist zudem die Keimzelle der neuen jüdischen Gemeinde in Dresden getroffen worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die alte, von Gottfried Semper errichtete Synagoge am Hasenberg total zerstört. An einen Neubau war nicht zu denken. Auch die Beerdigungshalle auf dem Gelände des 1867 gegründeten Friedhofs war von Bomben getroffen. Sie konnte aber 1949/50 mit großem Engagement und der Hilfe vieler Spender auf den alten Fundamenten neu errichtet werden. „Die Stadt Dresden und das Land Sachsen gaben damals sogar 150000 Mark“, sagt Goldenbogen.

Keimzelle der neuen Gemeinde

51 Jahre lang diente das Gebäude nicht nur als Beerdigungshalle, sondern in einer ungewöhnlichen Doppelnutzung auch als Synagoge. Sie war wichtiger Anlaufpunkt für die damals noch sehr kleine jüdische Gemeinde. Hier wurden die Festtage gefeiert und Familienereignisse zelebriert. Hier konnte nach Leid und Vernichtung des Krieges erstmals wieder jüdisches Leben in seinen zahlreichen Facetten praktiziert werden. Und hier wurzelt auch die Rückkehr des Judentums in das Dresdner Stadtzentrum mit der Weihe der neuen Synagoge am 9. November 2001.

Viele Gemeindemitglieder hatten sich im vergangenen Jahr in die Menschenkette gegen Nazis eingereiht. „Erstmals konnten sie ohne Angst zu haben gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen“, erklärt Nora Goldenbogen. Nun hat die gelöste Stimmung wieder einen Dämpfer bekommen. Vor allem die zugewanderten Russland-Deutschen, die in ihrer alten Heimat diskriminiert wurden, seien verängstigt.

Nora Goldenbogen selbst indes will sich nicht beirren lassen. „Ich gebe mir Mühe, mich nicht bedroht zu fühlen“, sagt sie. „Sonst kann man vieles ja gar nicht mehr machen.“