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SZ + Dippoldiswalde

Was hat Corona mit den Schülern in Dipps gemacht?

Im Glück-auf-Gymnasium sprechen Kinder- und Jugendärzte über die Nachwirkungen der Lockdowns. Es geht um Medienkonsum, aber nicht nur.

Von Siiri Klose
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Die Kinder- und Jugendärztin Antje Jäger-Hundt mit einer Karte zu den Kinderärzte in der Region: Es gibt gerade mal zwei zwischen Bannewitz und Altenberg.
Die Kinder- und Jugendärztin Antje Jäger-Hundt mit einer Karte zu den Kinderärzte in der Region: Es gibt gerade mal zwei zwischen Bannewitz und Altenberg. © Siiri Klose

Antje Jäger-Hundt findet klare Worte: "Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit psychischen Problemen soll sich nicht wesentlich erhöht haben? Das kann ich nicht bestätigen", kommentiert sie die Studie, in der der Freistaat die psychische Gesundheit von Schülern im Zusammenhang mit den Schulschließungen während der Corona-Pandemie betrachtet. Die Kinderärztin steht auf Einladung des Schulleiters Volker Hegewald vor dem voll besetzten Saal des Dippoldiswalder Glück-auf-Gymnasiums und verdeutlicht die Situation der medizinischen und psychischen Betreuung Jugendlicher in der Region: Mehr als zwei, drei Praxen gibt es nicht zwischen Bannewitz und Altenberg.

In ihrer täglichen Praxis in Dippoldiswalde erlebt sie zwei- bis dreimal so häufig wie vor der Pandemie "Themen wie akute suizidale Gedanken, diffuse Ängste, psychosomatische Beschwerden, Essstörungen, verschobener Tag-Nacht-Rhythmus, Medienmissbrauch". Besonders bitter empfindet sie es, dass sie so wenig helfen kann: Auf eine Psychotherapie müssen die Betroffenen im günstigsten Fall ein halbes Jahr, meistens jedoch ein Ganzes warten. "Ein Kind mit suizidalen Gedanken braucht aber sofort Hilfe."

Schulängste finden sich bei allen Schulformen

Margret Tiebel vom Kinderärztlichen Dienst des Landkreises bestätigt Jäger-Hundts Erfahrungen: "Vor der Pandemie hatten wir ein Kind im halben Jahr, das die Schule total verweigerte", sagt sie. "Jetzt sind es zehn." Bei ihr würden die Kinder erst aufschlagen, wenn sie sozusagen schon in den Brunnen gefallen sind. Deshalb findet sie als niedrigschwelliges Hilfsangebote eine feste Stelle für Schulsozialarbeiter an jeder Schule wichtig. Bisher sieht der Freistaat diese Stellen nur in Oberschulen vor. Doch Kinder mit Schulängsten finden sich in jeder Altersstufe, Schulform und sozialer Schicht. Sozialarbeiter und Schulpsychologen für alle Schulformen ist daher eine zentrale Forderung an diesem Themenabend.

Psychisch auffällige Kinder habe es schon vor der Pandemie gegeben, stellt Anett Schlenkrich vom Landespräventionsrat Sachsen klar. "Doch Corona war wie ein Brennglas und hat alle Probleme sichtbarer gemacht." Besonders bedenklich findet sie den überbordenden Medienkonsum, den sich unzählige Schüler während der Lockdowns hingegeben haben und bis heute schwer zu einem sinnvollen Maß zurückfinden. Acht Stunden täglich verbrachten durchschnittlich jene Kinder und Jugendliche mit Medien, die bei Jäger-Hundt vorsprachen. "Eltern sollten sich vergegenwärtigen, welche Verrohung und Gewalt beispielsweise über Tiktok transportiert wird", ergänzt Schlenkrich.

Weniger Medienkonsum, dafür mehr Aufgaben

Alle Expertinnen sind sich einig darin, dass sich die Eltern den Medienkonsum ihrer Kinder vergegenwärtigen sollten. Ein gut umsetzbarer Rat ist es, sich das Smartphone aushändigen zu lassen, bevor die Kinder ins Bett gehen. "Es ist nicht gut, wenn Kinder und Jugendliche zu viel Zeit haben, sich nur mit ihren Gedanken zu beschäftigen", sagt Annelie Öhlschläger, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Schmiedeberg. "Sie brauchen Aufgaben, auch, um ihren Tag zu strukturieren." Engagement in Vereinen, beim Sport, bei der Feuerwehr sorgt für Höhepunkte und soziale Kontakte, "es hilft auch noch bei der beruflichen Orientierung." Ganz falsch sei es, Schülern mit Schulproblemen ihre außerschulischen Tätigkeiten wie Fußball zu streichen.

Doch auch die Schulen hätten ein paar Hausaufgaben zu erledigen: Die Kommunikation zwischen Lehrern und Eltern würde nicht immer gut funktionieren, Eltern empfänden sich oft als störend, wenn sie Fragen zu ihren Kindern haben. Schüler würden auch mit pädagogischen Problemen zum Arzt geschickt. Lehrer sollten sich zurücknehmen und den Leistungsdruck, der ohnehin schon auf den Kindern liegt, nicht noch mit abfälligen Bemerkungen verstärken. Und die Eltern sollten sich schon gleich gar nicht daran beteiligen, den Leistungsdruck hochzuhalten. "Versuchen Sie, das Theme Schule auf dem geringsten Zeitlevel zu halten", sagt Jäger-Hundt.