Wie groß ist das Gaststättensterben im Osterzgebirge?

Eigentlich hätte Ronny Pätzold gerade sein zehnjähriges Jubiläum als Inhaber des Hotels am Rennberg feiern können. Und eigentlich hat das Hotel auf der Höhe zwischen Schönfeld und Ammelsdorf eine Lage wie gemacht für Großstädter auf Idylle-Suche: Wald, Felder und die osterzgebirgischen Hügelkuppen, so weit der Blick vom Zimmerbalkon aus reicht.
Das Hotel hat Charme mit seinem großen weißen Lehmofen im Gastraum und den hellen, freundlich eingerichteten Zimmern. Und bis vor kurzem bekam Ronny Pätzold das auch in allen möglichen Bewertungsportalen bestätigt: Die "ruhige Lage" mit "wunderschöner Aussicht" erwähnen nahezu alle Gäste lobend, und bis auf seltene Abstriche auch alle das gute Essen.
Traueranzeige statt Jubiläumsfeier
Vorbei. Seit Oktober ziert ein Trauerspruch den letzten Eintrag auf der Facebook-Seite des Hotels: "Und wir dachten, wir hätten noch so viel Zeit". Darunter verabschiedet sich Pätzold von seinen Gästen und erklärt auch, warum er sein Hotel schließen muss: "Die Betriebskosten und der Wareneinkauf geht durch die Decke. Normalerweise müssten wir den doppelten Umsatz plus eine Preiserhöhung im Hotel erreichen, um zu überleben." Doch weil gleichzeitig auch alles andere teurer wird, würden seine Gäste dort sparen, wo sie können: bei Restaurantbesuchen und Hotelübernachtungen.
"Unsere Gästezahlen sind extrem zurückgegangen", sagt Pätzold auf Nachfrage am Telefon. Langjährige Stammgäste hätten sich bei ihm entschuldigt, dass ihre finanzielle Lage und die unsichere Zukunft keinen Urlaub wie gewohnt bei ihm zuließen.
Mehr Ausgaben als Einnahmen
Er selbst sieht ebenfalls in eine ungewisse Zukunft: "Ich musste zuletzt jeden Tag die Karte neu kalkulieren. Wir haben unser Knoblauchschnitzel zuletzt für 13,90 Euro angeboten. Aber eigentlich müsste ich dafür 32 Euro verlangen, wenn es sich wirklich für uns rechnen soll", sagt er. "Ich habe jeden Monat Ausgaben - Energiekosten, die Krankenkassenbeiträge der Mitarbeiter. Da musste ich jetzt die Reißleine ziehen."
Während der beiden Lockdown-Jahre hatte sich Pätzold ein neues Standbein geschaffen: Seither fahren seine Mitarbeiter mit den Food-Trucks durchs Osterzgebirge und bieten unter anderem auf dem Dippoldiswalder Markt saftige, frisch zubereitete Burger an. "Damit konnte ich das Hotel querfinanzieren, aber mittlerweile reichen die Gewinnspannen aus dem Burgerverkauf nicht mehr." Inzwischen hat er vier Foodtrucks im Einsatz, die Burger kosten 8,50 Euro, ein Euro mehr als letztes Jahr. "Doch da ist der Preis eigentlich genau dasselbe Problem: Wir haben die Kosten für Fleisch, Diesel, Gas - und müssen sehen, wie wir hinkommen."

Von seinen zehn Hotelangestellten behält er zwei für die Trucks, "außerdem ist meine Frau bei mir angestellt", sagt Pätzold. Für ihn heißt das so viel wie zurück auf los, "allerdings muss ich jetzt noch die Schulden vom Rennberg abarbeiten", sagt er.
Keine Hilfe gefunden in Altenberg
Ronny Pätzold ist nicht der einzige unter den Wirten im Osterzgebirge, der in diesem Jahr die Reißleine zieht. An der Tür der Einkehr zur Schmiede in Altenberg hängt ein Zettel, auf dem sich Kerstin Köhler von ihren Gästen verabschiedet. "Mit Corona haben sich bei mir finanzielle Probleme aufgehäuft, und ich habe mein Personal verloren", erklärt sie ihren Schritt. Zwar hätte sie beim Lockdown einen Straßenverkauf angeboten, "der wurde auch gut von den Altenbergern angenommen. Aber davon wurden die Graupen nicht fett."

Dieses Jahr fehlten dann Rücklagen. Sie versuchte es noch mit einer Hilfe zur Mittagszeit, doch als dann noch diese Hilfskraft ausfiel, musste sie aufgeben: "Es funktioniert einfach nicht, Küche und Gäste gleichzeitig im Auge zu behalten, schnell noch ein Bier zapfen, während hinten ein Schnitzel brutzelt."
Auch die gebürtige Thüringerin hätte dieses Jahr ihr Zehnjähriges feiern können. "Ich wollte schon noch ein bissl länger machen", sagt sie. Aber von der Selbstständigkeit hat sie jetzt die Nase voll. "Aber ich werde sehen, was kommt. Arbeit gibt es genug."
Krankheit Hauptgrund für Schließung in Bärenfels
Auch die Tage des Bärenfelser Stübl's sind gezählt: "Wir machen zum 31. 12. zu", sagt Gastwirt Matthias Nürnberger. Er kommt kaum zum Reden, weil gerade Gäste Platz nehmen und andere für den Abend reservieren wollen - "aber bitte schon 17 Uhr", wirft er ein, "da habe ich noch eine Ecke frei."
An zu wenig Gästen liegt es bei ihm also nicht, "es ist vor allem die Gesundheit", sagt er. Dieses Jahr war er schwer krank. "Der zweite Punkt ist der Personalmangel. Und der dritte die ungewisse Zukunft durch die steigenden Energiepreise." Perspektivisch würde er das ganze Haus mitsamt der Ferienwohnungen zum Verkauf stellen - er ist ja auch schon 62 Jahre alt. "Vorerst werde ich aber das Gewerbe noch nicht abmelden. Ich schau mir erst mal an, wie das Weltgeschehen weitergeht. Vielleicht gibt es ja auch ein Comeback."
Jedes Jahr drei Prozent Verlust
Vielleicht gilt das auch für andere Einrichtungen im Osterzgebirge, aber erst mal ist zu: Seit dem 1. November hat auch die Rabenauer Mühle geschlossen. Das Hotel "König-Albert-Höhe" in Rabenau nimmt keine Buchungen mehr an, und die Tage vom Gasthof in Obercarsdorf sind ebenfalls gezählt: Lutz Seifert steht zwar noch hinter seinem Tresen, sucht aber einen Nachfolger.
"Wir haben über all die Jahre eine stetige Tendenz in der Gastronomie: Pro Jahr gehen circa drei Prozent der Leute in den Ruhestand", sagt Axel Klein, der Geschäftsführer der Wirte-Interessenvertretung Dehoga Sachsen. "Es werden nicht mehr, aber inzwischen werden die Schließungen sichtbarer." Einfach, weil es nicht mehr viele Wirte im Ostergebirge gibt.
"Das Problem sind nicht die fehlenden Gäste, sondern der demografische Wandel. Die Leute fehlen als Nachfolger genauso wie bei den Servicekräften", sagt Klein noch. Bei einer Dehoga-Umfrage stand das fehlende Personal an vierter Stelle nach den steigenden Energie-, Gas- und Einkaufspreisen.
Gerüchte sorgen für "gefühlte" Schließungen
Und dann gibt es noch zahlreiche Gerüchte. "Gut, dass Sie fragen", sagt Maik Sellack, Inhaber der Heidemühle in Karsdorf. "Bei uns ist nämlich keine Schließung geplant." Jetzt ist die Zeit der Martinsgänse, und auch davon sind genug für alle Gäste da, wenn sie vorbestellen. Außerdem steht im Herbst traditionell Wild auf der Karte, und geöffnet ist täglich bis 22 Uhr, Küchenschluss ist 20.30 Uhr.
Dass das Gasthaus Lockwitzgrund in Schellerhau schließen soll? "Vielleicht kommt das Gerücht wegen des Lockwitzgrunds bei Kreischa zustande?", wundert sich das Inhaberpaar Mögel. "Vielleicht schließt da jemand. Wir jedenfalls nicht."
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Und die Riedelmühle in Waldbärenburg? "Blödsinn", sagt Manuela Ziegs von der Inhaberfamilie. Das einzige, was die Familie dieses Jahr anders machte als sonst, waren jeweils eine Woche Urlaub in den Sommer- und Herbstferien. "Wir haben Angestellte mit schulpflichtigen Kindern, da muss sowas mal drin sein." Ansonsten hat niemand aus der Familie vor, die Riedelmühle zu schließen, und nach wie vor kommen die Stammgäste selbst aus Dresden. "Aber das Gerücht kennen wir jetzt auch schon seit vier Wochen."