SZ + Dippoldiswalde
Merken

"Bin froh, dass wir den neuen Rückhaltedamm im Pöbeltal haben"

Schmiedeberg hatte bei der Augustflut 2002 die höchsten Schäden pro Kopf. Sie hat viel Hilfe erfahren und auch wieder weitergegeben bis nach Sri Lanka. Ex-Bürgermeister Karl-Günter Schneider erinnert sich.

Von Franz Herz
 5 Min.
Teilen
Folgen
Karl-Günter Schneider steht hier an der Roten Weißeritz direkt neben seinem Grundstück. Die Brücke hinter ihm ist 2002 zerstört und danach neu wiederaufgebaut worden.
Karl-Günter Schneider steht hier an der Roten Weißeritz direkt neben seinem Grundstück. Die Brücke hinter ihm ist 2002 zerstört und danach neu wiederaufgebaut worden. © Karl-Ludwig Oberthür

Karl-Günter Schneider war 2002 Bürgermeister von Schmiedeberg, der Gemeinde in Sachsen, die beim August-Hochwasser den höchsten Schaden pro Kopf der Bevölkerung hatte. Seit 2008 ist er im Ruhestand und genießt seinen blühenden Garten, der aber direkt an die Rote Weißeritz angrenzt. Sächsische.de sprach mit ihm über seine Erlebnisse in der Hochwasserzeit und die Hilfe danach, die Schmiedeberg bekommen und bei einer anderen Flutkatastrophe selbst gegeben hat.

Herr Schneider, wann ist ihnen im August 2002 zum ersten Mal klargeworden, was da auf Sie zukommt?

Früh um acht sah alles noch normal aus. Als ich aber gesehen habe, wie in Obercarsdorf die Rote Weißeritz über die Ufer tritt, habe ich die Feuerwehr rausgeklingelt, damit sie Sandsäcke vorbereitet und die üblichen problematischen Stellen kontrolliert. Die kannten wir ja. Ich selbst bin eine Runde über die Dörfer gefahren. Dann bin ich kurz noch einmal nach Hause, habe mit meinem Sohn die Kühltruhe aus dem Keller hoch geräumt und einen alleinstehenden Nachbarn zu uns in die Wohnung geholt. Sein Haus gibt es heute nicht mehr. Dann wollte ich nach Schmiedeberg zum Gemeindeamt, kam aber schon nicht mehr über die Brücke zur Straße.

Waren Sie dann zu Hause eingesperrt?

Na ja, ich habe mich zu Fuß über Waldwege an der Talseite auf den Weg von Obercarsdorf nach Schmiedeberg gemacht. Dort lief das Wasser schon so 30 Zentimeter hoch über die Straße. Thomas Quinger, der Wehrleiter, kam mir dann mit einem Fahrzeug entgegen und hat mich geholt. Von da an ging es Schlag auf Schlag.

Was waren die größten Herausforderungen für Sie?

Bei uns sind ja Reisende gestrandet, die auf der B170 unterwegs war, ein Bus mit 50 Kindern, ein anderer aus Dänemark mit Rentnern, die teilweise medizinische Versorgung brauchten. Unsere Kinder mussten wir aus der Schule sicher nach Hause bringen, Menschen aus ihren vom Wasser eingeschlossenen Häusern holen. Ganz große Hilfe hat Klaus Geiger, der Leiter des Martin-Luther-King-Hauses, geleistet. Dort sind viele Menschen untergekommen, die ihre Häuser verlassen mussten.

Bekamen Sie Hilfe von anderen?

In den ersten Tagen waren wir ganz auf uns allein gestellt. Das Landratsamt hatte ja überall zu tun. Bald sind auch Strom und Telefon ausgefallen. Wir haben niemand mehr erreicht. Nach zwei, drei Tagen haben wir einen Kurierdienst eingerichtet. Jan Hegewald ist dafür mit dem Moped nach Dipps gefahren.

Als der Regen nachließ, setzte die Hilfe ein. Das waren zuerst die Menschen aus der Gemeinde. Jeder, der nicht selbst betroffen war, hat mit angepackt. Und dann setzte auch die Berichterstattung ein. Darauf kamen viele Helfer von woanders her, die mit zupackten. Aus dem süddeutschen Raum sind die ersten nach Schmiedeberg gekommen. Ich kann mich an einem Bus aus Bautzen erinnern mit Helfern, und Politprominenz ist auch gekommen. Wir haben die Aufräumarbeiten auf den Weg gebracht. Baubetriebe haben uns unterstützt, mit Lkws den Dreck aus den Ortschaften weggefahren.

Und es gab ja auch Spenden.

Unsere Partnergemeinden haben angefragt, wie sie uns unterstützen können. Und wir haben eine Möglichkeit geschaffen, dass Geldspenden auf das Gemeindekonto eingezahlt werden konnten. Klaus Geiger hat sich in erster Linie um die Spendenverteilung in der Gemeinde gekümmert, und wir haben ein Gremium eingerichtet, das über die Verteilung entschieden hat. Wir haben versucht, das gerecht zu lösen.

Haben Sie in der Zeit nie den Mut verloren?

Ich habe mich nachts hingesetzt und die Ereignisse des Tages aufgeschrieben. Ich musste mir das von der Seele schreiben. Dabei habe ich auch noch einmal nachgedacht, ob meine Entscheidungen richtig waren. Das hat mir geholfen. Und dann hatte Peter Hofmann aus dem Gemeinderat eine Idee. Er prägte den Spruch: Schmiedeberg wird wieder ein schönes Stück Deutschland. Das haben wir auch auf T-Shirts drucken lassen. Das hat Optimismus gegeben.

Gibt es Hilfsaktionen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Einzelne zu nennen, ist jetzt schwierig. Insgesamt hat Schmiedeberg ja 3,6 Millionen Euro Spenden erhalten. Es gab dafür eine große Aktion der Ostsee Zeitung und der Lübecker Nachrichten. Die Zeitungen haben aus Schmiedeberg berichtet und ihre Leser aufgerufen, für die Gemeinde zu spenden. Da ist fast eine halbe Million Euro aus ganz vielen kleinen Beträgen zusammengekommen. Aus Kirchheimbolanden hat uns der dortige Spendenverein geholfen. Zu ihm entstand dann ein besonderer Kontakt.

Wie sah der aus?

Pfarrer Elmar Funk hat den Verein geleitet, und wir blieben weiterhin verbunden. Als später das verheerende Seebeben in Asien passiert ist, das weite Küstengebiete verwüstet hat, half er 2005 mit seinem Verein auch dort und hat uns angesprochen, ob wir uns nicht beteiligen. Unsere Gemeinde hat 40.000 Euro gesammelt, und die sind mit Geldern des Vereins in den Wiederaufbau einer Schule und eines Fischerdorfs auf Sri Lanka geflossen. Wir, Elmar Funk aus Kirchheimbolanden, Dietrich Haselwander, der frühere Chef der Schmiedeberger Gießerei, und ich, sind dann auch noch nach Sri Lanka geflogen, um uns die Projekte anzusehen.

Wenn Sie jetzt 20 Jahre zurückschauen, wie schätzen Sie die Hochwassergefahr heute ein?

Ich weiß, dass ich unmittelbar am Fluss wohne und dass damit ein Risiko verbunden ist. Das Hochwasser 2013 hat ja bei uns auch Schäden angerichtet, ein Stück vom Grundstück weggerissen. Aber froh bin ich, dass wir den neuen Rückhaltedamm im Pöbeltal haben. Dieser kleine Pöbelbach hat 2002 ja in Schmiedeberg so viele Schäden angerichtet wie die Weißeritz. Auch die neuen Uferbefestigungen bringen uns viel Sicherheit. Darüber freue ich mich.