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Schüsse im Wald bei Rehefeld

Was ein DEFA-Agententhriller mit dem stillgelegten Bahndamm im Osterzgebirge zu tun hat.

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Einen Tag vor dem letzten Betriebstag der Strecke verließ dieser Zug den Bahnhof von Hermsdorf-Rehefeld in Richtung Freiberg - Aufnahme vom 5. Februar 1972.
Einen Tag vor dem letzten Betriebstag der Strecke verließ dieser Zug den Bahnhof von Hermsdorf-Rehefeld in Richtung Freiberg - Aufnahme vom 5. Februar 1972. © Archiv Heiko Vogler

Von Matthias Schildbach

Ein Dampfzug nähert sich einer Brücke. Kurz bevor der Zug sie erreicht, fliegt sie in die Luft. Zwei Schützen, die auf der Lok stehen, schießen mit ihren Maschinenpistolen auf die in den Wald fliehenden Attentäter. „Schüsse in Marienbad“ – ein Film, den sich heute niemand mehr ansieht. In der deutsch-tschechoslowakischen Co-Produktion von 1973 wird ein Mordfall aufgeklärt, der vor dem Hintergrund des gerade zurückliegenden Kriegsendes steht. Politisch überholt, zeitgemäß langatmig umgesetzt.

Dennoch ist die Bedeutung dieses inzwischen 39 Jahre alten „Schinkens“ eine ganz besondere: In der 38. Minute sieht der Zuschauer den letzten Zug, der auf der Bahnstrecke zwischen Holzhau und dem Bahnhof Rehefeld fuhr.

Das dramatische an der Szene, bei dem jedem Bahnenthusiasten das Herz blutet, ist die Sprengung der Bahnbrücke bei Teichhaus, das zur Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle gehört. Für den Film wurde eigens das östliche Brückenlager in die Luft gejagt. Dieser Akt der Zerstörung in Namen der „staatlichen Kunst“ war das endgültige physische Ende der osterzgebirgischen Bahnstrecke, die Nossen und Freiberg mit dem böhmischen Dubi und Most verband.Was heute kaum noch einer weiß: Hermsdorf und Rehefeld teilten sich einen eigenen Bahnhof.

Der einst bedeutende Bahnhof Moldau, kolorierte Postkarte um 1910.
Der einst bedeutende Bahnhof Moldau, kolorierte Postkarte um 1910. © Repro: Matthias Schildbach

Verborgen im Wald, ganz nah an der deutsch-tschechischen Grenze, gibt es ihn immer noch. Er liegt im äußersten südwestlichen Winkel des Landkreises Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Züge fahren hier seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Bahndamm, noch gut erkennbar und zum Wanderweg, im Winter zur Loipe umfunktioniert, trägt keine Gleise mehr.

Seit Jahrhunderten wurden aus den Bergen Erze zum Verhütten nach Freiberg geliefert. Und zum Verhütten brauchte man Unmengen Kohle, die im Egerbecken bei Brüx (Most) reichlich gefördert wurde. Schnell kam im 19. Jahrhundert die Idee auf, eine Transportbahnlinie zu errichten. Es war seinerzeit das einzige Transportmittel, das die notwendige Kraft und Kapazität hatte, die erforderlichen Mengen über das Gebirge zu bringen.1885 wurde der staatenverbindende Lückenschluss vollzogen und damit die Bahnstrecke Brüx – Freiberg eröffnet. Aus den Kohlegebieten um Brüx, Kaaden und Oberleutensdorf (Most, Kadaň und Litvínov) rollten die Züge bis nach Eichwald (Dubí). Es sollen zehn Züge voller Kohle täglich über den Kamm gefahren sein. Sie bestanden aus je 45 Waggons.

Zehn Kohlezüge täglich

Wegen des enormen Höhenunterschiedes auf böhmischer Seiten mussten die Züge in Klostergrab (Hrob) in drei Teile zerlegt den Gebirgskamm erklimmen, bevor sie wieder vereinigt ihren Weg bergab nach Freiberg fortsetzen konnten. Immerhin mussten die Züge auf 40 Kilometern 550 Höhenmeter überwinden.

Sechzig Jahre lief dieser Güterverkehr. Als die Region im Mai 1945 zum Kampfgebiet wurde, zerstörten deutschen Wehrmachtspioniere am 7. Mai den Viadukt Lichtenberg bei Freiberg. Damit war die Bahnlinie unterbrochen. Über den Bahndamm zwischen Lichtenberg, Rechenberg-Bienenmühle und Moldava stießen die Panzerspitzen der Roten Armee in Richtung Zinnwald vor, um den Gebirgspass abzuriegeln und die östlich, noch auf sächsischer Seite befindlichen Trümmer deutschen Militärs einzukesseln. Der Vorstoß gelang. Der Bahndamm wurde dabei erheblich beschädigt.

Gleis als Reparationsleistung demontiert

Als Reparationsleistung wurde das zweite Gleis zwischen Freiberg und Lichtenberg demontiert, das Material in die Sowjetunion verfrachtet. Noch bis 1948 sollen Militärtransportzüge der Roten Armee auf ostdeutscher Seite in Grenznähe gefahren sein. 1951 wurde dann der Abbau der Gleise zwischen Hermsdorf-Rehefeld und Moldava als grenzüberschreitendes Teilstück veranlasst. Zwanzig Jahre später erfolgte eine weitere Verkürzung durch Demontage: Holzhau bis Hermsdorf-Rehefeld.

Auf tschechischer Seite gewann die Bahnlinie bis Moldava wieder ab den Sechzigerjahren für den Nahtourismus an Bedeutung. Vernachlässigt und nur mit dem Nötigsten gewartet, mussten Teilabschnitte 1996 stillgelegt werden. Einheimische nahmen das nicht hin, sie erzwangen mit Petitionen an den Betreiber und das Parlament drei Jahre später die Wiederinbetriebnahme. Mit dem kleinen Zug Moldaváček kann man heute auf einer landschaftlich beeindruckenden Strecke zwischen Most und Moldava pendeln.

Das Bahnhofsgebäude Hermsdorf-Rehefeld heute.
Das Bahnhofsgebäude Hermsdorf-Rehefeld heute. © Matthias Schildbach

Bahn-Enthusiasten auf deutscher wie auch tschechischer Seite bemühten sich die letzten Jahrzehnte hindurch immer wieder um eine Wiederherstellung des Lückenschlusses zwischen Holzhau und Moldava. Aktuell engagiert sich die kleine Gemeinde Moldava um die Sanierung des riesigen Bahnhofsgebäudes des ehemals bedeutsamen Grenzbahnhofes. Zwei Millionen Euro hatte das tschechische Industrieministerium allein dem Bahnhof Moldava in Aussicht gestellt, den Eigenanteil von 5 Prozent muss die Gemeinde selbst aufbringen. Eine große Hürde für den kleinen Ort, das auf Spenden angewiesen ist. Aktuell steht das Projekt jedoch wieder infrage, denn Moldavas Gemeinderat lehnte die Annahme der Fördergelder ab, denn es gibt Bedenken, dass die Förderbedingungen nicht eingehalten werden können.

Vielleicht ertönt ja doch eines Tages wieder das Pfeifen eines Zuges vom Kamm über Rehefeld, für die Wiederbelebung alter grenzüberschreitender Traditionen wäre es wünschenswert.