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Ex-Bürgerrechtlerin rechnet mit Einheit ab

Daniela Dahn analysiert den Wende-Herbst 89 und die Jahre danach. Zu Gast war sie im Ost West Forum Gut Gödelitz.

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Daniela Dahn wurde in Berlin geboren und hat in Leipzig Journalistik studiert. Sie ist Publizistin und Schriftstellerin.
Daniela Dahn wurde in Berlin geboren und hat in Leipzig Journalistik studiert. Sie ist Publizistin und Schriftstellerin. © Dagmar Doms-Berger

Von Dagmar Doms-Berger

Döbeln. Daniela Dahn (71) wollte wie viele Millionen Menschen in der DDR immer in einer Demokratie leben, aber nie im Kapitalismus. Viel ist nicht geblieben von den Hoffnungen, die sie und viele andere mit der friedlichen Revolution 1989 verband.

Daniela Dahns Bilanz nach 30 Jahren Wiedervereinigung fällt ernüchternd aus. In ihrem Buch mit dem Titel „Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute, Die Einheit – eine Abrechnung“, thematisiert sie die immer noch andauernde Spaltung zwischen Ost und West, die sich in vielen Bereichen zeigt. 

Die Veranstaltung zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung im Ost West Forum Gut Gödelitz war keine Jubelstunde, sondern kritische Betrachtung. Der Veranstaltungsraum in der alten Schäferei war voll. Das Interesse an der Lesung sei groß gewesen, sagt Vereinsvorsitzender Axel Schmidt-Gödelitz. Vielen Interessierten musste abgesagt werden. Corona bedingt wurden die Stuhlreihen gelichtet und die Abstände vergrößert.

Wende-Analyse bereits in sieben Büchern

Daniela Dahn ist bekannt für ihre kritische Betrachtung der Einheit. In sieben Büchern hatte sie bereits den Wende-Herbst 89 und die Jahre danach analysiert. Ein weiteres Buch war nicht mehr geplant. Aber die Realität habe es gefordert, sagt sie. Die Autorin war 1989 Mitbegründerin des Demokratischen Aufbruchs. Die oppositionelle Gruppe verband das Ziel, die DDR zu reformieren, in einem sogenannten dritten Weg den Sozialismus und Demokratie zu verbinden. 

Als sich der Demokratische Aufbruch schließlich der Allianz für Deutschland von Helmut Kohl und damit der schnellen Wiedervereinigung anschloss, verließ Daniela Dahn die Bürgerbewegung. Für sie war die Einheit eine feindliche Übernahme auf Wunsch der Übernommenen. Die heutigen Probleme seien ihrer Meinung die Rache für die falschen Weichenstellungen in Richtung Anschluss. „Die Quittung für das politische Versagen ist die AfD.“

Mit etwas mehr Zeit wäre es anders verlaufen, ist sie sich sicher. Aber der Westen habe auf Tempo gesetzt. Eine Wiedervereinigung strebte im Herbst 89 nur eine Minderheit an. Doch bei der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 wählten 48 Prozent die „Allianz für Deutschland“. Wichtige Gründe dafür sind ihrer Ansicht nach in der Millionen schweren Wahlkampfhilfe der CDU sowie in der gezielten Desinformation der Menschen zu sehen. „Die Bankrott-Reden trieben die Menschen in eine Richtung“, so Dahn.

„Akten westdeutscher Politiker und Eliten wurden vernichtet“

Was ist also geblieben von den Zielen der friedlichen Revolution? „Sicher haben die Menschen individuelle Freiheit wie Reisen und freie Meinungsäußerung gewonnen“, so Dahn. „Aber sämtliche systemrelevanten Forderungen der Bürgerbewegung wie demokratische Kontrolle der Wirtschaft oder der Wunsch nach einer solidarischen Gemeinschaft haben sich nicht erfüllt, sondern sind in den Verhandlungen ignoriert worden.“ Sie nennt eine weitere wichtige Forderung, die nicht erfüllt wurde: die Öffnung der Akten der Geheimdienste auf beiden Seiten. „Die Akten westdeutscher Politiker und Eliten wurden vernichtet“, sagt die Publizistin.

Der Herbst 89 war eine Chance. Die Ideen der Bürgerrechtsbewegung fanden damals auch Unterstützer im Westen. Die Frankfurter Rundschau veröffentlichte Ende 89 die „Erklärung der Hundert: Wider Vereinigung“, in der Intellektuelle wie unter anderem Karl Bonhoeffer, Dorothee Sölle und Luise Rinser darauf hinwiesen, dass Ost und West in einer schweren Krise stecken und reformbedürftig sind. 

„Was ihr macht, könnte ein Modell für die Welt werden.“

Der österreichische Zukunftsforscher Robert Jungk sagte damals: „Was ihr macht, könnte ein Modell für die Welt werden.“ Im zweiten Teil ihres Buches widmet sie sich auf etwa 100 Seiten den rechten Entwicklungen. Im letzten Drittel schaut die Autorin auf die weltpolitischen Folgen des Zusammenbruchs des Sozialismus und resümiert, dass es seit 1989 nicht friedlicher, sondern menschenfeindlicher, nationalistischer und unsolidarischer geworden ist. Sie verweist auf den Jugoslawien-Krieg, 11. September 2001 und den Irak-Krieg.

Zu Beginn der Veranstaltung eröffnete Vorstandsmitglied Wendelin Szalai die 52. Kunstausstellung. Unter dem Thema „Grüße aus Dresden vom Rest der Welt“ sind nun Bilder von Karen Koschnick zu sehen, einer Dresdner Künstlerin, die dem Gödelitzer Publikum nicht ganz unbekannt sein dürfte. Sie stellte ihre Bilder bereits 2011 im Veranstaltungssaal aus.

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