Wie konnte es in der JVA zum Suizid kommen?

Chemnitz/Hartha. Es ist einer von bisher drei Suiziden in den Justizvollzugsanstalten (JVA) des Freistaats in diesem Jahr. Eine 31-Jährige aus Hartha hat sich am Montag in der Chemnitzer JVA das Leben genommen, nachdem sie am vergangenen Freitag in Untersuchungshaft gekommen war. Unklar ist bislang, warum es zum Tod der jungen Frau kam, gegen die zuletzt wegen des Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ermittelt wurde.
Sächsische.de fasst den aktuellen Stand des Todesfalls zusammen und fragt, wie die sächsische Justiz Suizide wie diesen eigentlich verhindern will.
Welche Details sind bislang zum aktuellen Suizid bekannt?
Am vergangenen Freitag durchsuchten Polizeibeamte im Auftrag der Staatsanwaltschaft Zwickau mehrere Wohnungen unter anderem in Waldheim, Saalbach, Hartha und Dresden. In Letzterer nahmen sie die 31-jährige aus Hartha stammende Frau fest.
Nach Angaben eines Sprechers der Polizeidirektion Zwickau, die für die Durchsuchungsmaßnahmen zuständig war, wurde der Frau Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen.
Auf Anfrage konkretisiert Staatsanwältin Ines Leonhardt: „Gegenstand des Verfahrens ist der Handel mit Crystal. Bei der Durchsuchung wurde auch eine geringe Menge Crystal aufgefunden.“ Daraufhin wurde die 31-Jährige dem Haftrichter vorgeführt, der für die Harthaerin Untersuchungshaft anordnete.
Noch am Sonnabend kam sie in die Frauen-Justizvollzugsanstalt in Chemnitz. Nur zwei Tage später wurde die Frau JVA-Chefin Eike König-Bender zufolge „stranguliert aufgefunden“. Christian Schünemann, Pressesprecher der Polizeidirektion Zwickau, bestätigte weitergehend, dass es sich bei der Toten um die am vergangenen Freitag in Dresden Festgenommene handelt.

Die weiteren Ermittlungen hat unterdessen die Kriminalpolizei Chemnitz im Auftrag der hiesigen Staatsanwaltschaft aufgenommen. „Wie üblich bei unnatürlichen Todesfällen wurde ein sogenanntes Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Bei einer ersten rechtsmedizinischen Leichenschau ergaben sich keine Hinweise auf Fremdeinwirkung, sodass gegenwärtig von Suizid ausgegangen wird“, erklärt Pressesprecher Jörn Wunderlich von der Staatsanwaltschaft Chemnitz.
- Sie haben Hinweise, Kritik oder Lob? Dann schreiben Sie uns per E-Mail an [email protected]
Weiter teilt er mit, dass nun eine Obduktion durchgeführt wird, die bei derartigen Fällen gesetzlich vorgeschrieben ist. Weitere Einzelheiten konnte der Staatsanwalt aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht mitteilen.
Auch das Sächsische Justizministerium sowie die JVA Chemnitz wollen sich zu weiteren Details nicht äußern. Wie in der Statistik deutlich wird, ist der Todesfall vom Montag jedoch der erste Suizid seit zehn Jahren im Chemnitzer Frauengefängnis. Sachsenweit gab es 2021 einschließlich des aktuellen Falls drei sowie im vorigen Jahr lediglich einen Selbstmord, wie ein Sprecher des Justizministeriums mitteilt.
Was ist im Chemnitzer Fall öffentlich bislang nicht geklärt?
Öffentlich ungeklärt ist bislang noch, ob die Bediensteten der JVA die Gefangene hinreichend auf ihre Suizidgefährdung geprüft und anschließend entsprechende Maßnahmen ergriffen haben. Außerdem wurde nicht bekannt gegeben, ob die 31-Jährige aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit medizinisch beziehungsweise psychologisch betreut wurde.
Dies bezweifeln unter anderem einige Freunde und Verwandte der Toten. So schreibt ein Bekannter der Frau: „Ich bin überzeugt, dass hier mal wieder das komplette Versagen der sächsischen Justiz sowie der Justizvollzugsanstalt zutage gefördert wird. Irgendwer hat da richtig ziemlich fahrlässig gehandelt und richtigen Bockmist fabriziert.“
Hinweise auf das Einwirken einer anderen Person gibt es aber nach Angaben der Behörden nicht.
Hätte der Suizid in der JVA verhindert werden können?
Zum konkreten Fall wollen sich weder die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Chemnitz Eike König-Bender, noch der Leiter des Leitungsstabes aus dem Sächsischen Justizministerium Matthias Probst äußern.
Letzter teilt auf Anfrage lediglich mit: „Suizide von Gefangenen zu vermeiden, ist ein wichtiges Anliegen im sächsischen Justizvollzug. Daher wurden umfangreiche und standardisierte Maßnahmen zur Suizidprävention implementiert, welche regelmäßig fortentwickelt werden. Leider ist es trotzdem nicht möglich, jeden Einzelfall zu verhindern.“
Ihn mache der Fall aus Chemnitz „sehr betroffen“, doch trotz umfangreicher Suizidpräventionsmaßnahmen im sächsischen Justizvollzug seien Selbstmorde nicht immer abwendbar.

Für jeden Gefangenen wird bei Haftantritt ein Screeningverfahren im Rahmen der Suizidprophylaxe durchgeführt. Wie Matthias Probst vom Justizministerium erklärt, führen entsprechend fortgebildete Bedienstete mit jedem Insassen ein ausführliches Gespräch unter Einsicht in die Akten.
„Abhängig vom Ergebnis des Screenings werden erste vorläufige Maßnahmen eingeleitet. Die weitere Überprüfung der Maßnahmen erfolgt sodann durch die Fachdienste. Das sind der medizinischer und psychologische Dienst sowie der Sozialdienst“, so Matthias Probst.
Wie werden Inhaftierte in der JVA medizinisch betreut?
Bei Hinweisen auf eine akute Suizidgefahr erfolge dann unverzüglich die Überprüfung durch einen Mitarbeiter des psychologischen Dienstes, sagt JVA-Leiterin Eike König-Bender. Anschließend werden erforderliche Maßnahmen für den Inhaftierten ergriffen, darunter zählt unter anderem ein tägliches Gesprächsangebot.
„Gegebenenfalls kann eine Vorstellung bei einem Facharzt für Psychiatrie erfolgen.“ Ihr zufolge werden Gefangene, bei denen das Risiko für eine Suizidgefährdung vorliegt, in der Regel gemeinschaftlich untergebracht oder engmaschig kontrolliert. „Bei festgestellter akuter Suizidgefahr erfolgt eine ständige und unmittelbare Beaufsichtigung durch Bedienstete“, so König-Bender.

Doch ob es ein Gespräch mit der 31-Jährigen aus Hartha gab beziehungsweise sie als suizidgefährdet eingestuft war, teilte sie in Hinblick auf die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Chemnitz nicht mit. Auch wie die Frau in der Untersuchungshaft untergebracht war und ob sie regelmäßig beaufsichtigt wurde, ließ die Anstaltsleiterin offen.
Auf telefonische Anfrage bestätigt lediglich der Sprecher der Staatsanwaltschaft Chemnitz, Jörn Wunderlich, dass es bei der wohl drogenabhängigen Inhaftierten „engmaschige Kontrollen“ gab. Weitere Einzelheiten der Tat seien Teil der derzeitigen Polizeiarbeit.
Wie werden Drogenabhängige in Haft behandelt?
Nach Angaben von JVA-Leiterin Eike König-Bender gebe es grundsätzlich für Gefangene das Angebot einer externen Suchtberatung. Diese soll der Ursachenfindung des Drogenkonsums dienen. „Weiterhin werden Verläufe des Konsumverhaltens analysiert und Strategien zum Umgang mit Risikosituationen entwickelt“, so König-Bender.
Außerdem bietet die JVA Chemnitz die Möglichkeit zu einer Behandlung von suchtproblematischen Gefangenen an. Dabei sollen Fähigkeiten für eine perspektivisch ambulante oder stationäre Suchtmittelentwöhnung erlernt werden.
„Eine bedeutende Rolle kommt hierbei dem längerfristigen Verzicht auf den Umgang und/oder Konsum von Suchtmitteln zu“, so die JVA-Leiterin. „Das Anliegen besteht weiterhin in der physischen und psychischen Stabilisierung der Gefangenen sowie im Erlernen und dem Zuwachs von sozialkompetentem Verhalten.“
Am Standort in Chemnitz ist zudem derzeit der Aufbau einer suchttherapeutischen Abteilung in Planung. Eine statische Erfassung drogenabhängiger Gefangener liegt für die Justizvollzugsanstalt Chemnitz nicht vor.
Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über das Thema Suizid, außer es erfährt durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/1110111 und 0800/1110222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.