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Kindermord: Angeklagter stellt sich als Opfer dar

Im Dresdner Mordprozess um den Tod zweier Kinder hat der 56-jährige Angeklagte nun aus seinem Leben berichtet. Es klang sehr beschönigend.

Von Alexander Schneider
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Anfang Februar hat der Prozess gegen Laurent F. begonnen. Der 56-Jährige, hier mit seinem Verteidiger Andreas Boine (r.) soll im Mai 2019 seine beiden Kinder ermordet haben. Am Dienstag sprach F. den ganzen Tag über sein leben und seine Ehe.
Anfang Februar hat der Prozess gegen Laurent F. begonnen. Der 56-Jährige, hier mit seinem Verteidiger Andreas Boine (r.) soll im Mai 2019 seine beiden Kinder ermordet haben. Am Dienstag sprach F. den ganzen Tag über sein leben und seine Ehe. © Ronald Bonß

Dresden. Das Landgericht Dresden hat den ganzen Tag reserviert für den Angeklagten, der sich nun doch äußern wollte. Laurent F., ein 56-jähriger Franzose, der seit Anfang der 90er-Jahre in Dresden lebt, soll im Mai vergangenen Jahres seine beiden Kinder umgebracht haben. Dafür steht er nun bereits seit Anfang Februar unter anderem wegen zweifachen Mordes vor der Schwurgerichtskammer. Viel gesagt hatte er bisher nicht, weder über sein Leben, noch über die entsetzliche Tat.

Am Dienstag sollte sich das ändern. Schon vor mehreren Wochen hatte Verteidiger Andreas Boine angekündigt, dass sich sein Mandant einlassen wolle. Unklar blieb jedoch, worüber. Tatsächlich berichtete der 56-Jährige sehr ausführlich aus seinem Leben, seiner Kindheit in Frankreich, das schwierige Verhältnis zu seinen Eltern und dergleichen mehr. So erzählte F., dass er wiederholt von seinem Vater verprügelt worden sei, mal mit dem Gürtel, mal mit dem Besenstiel. Der Mann habe auch seine Mutter immer wieder geschlagen.

1992 kommt F. nach Dresden

Nach der Schule habe F. mehrere Berufsausbildungen hintereinander absolviert - zunächst Bäcker/Konditor, dann Fleischer, schließlich Koch. Er habe in guten Restaurants gearbeitet, sei auch bald Küchenchef gewesen. Es scheint, als sei F. überall der Beste oder einer der Besten gewesen, nicht erst in der Küche, schon zuvor in der Schule. 

Schließlich habe er eine Management-Ausbildung absolviert, ehe er 1992 nach Dresden gekommen sei. Dort sei ihm eine Stelle in einem Restaurant versprochen worden. Weil das sich verzögerte, habe er einen Job bei einem reichen Mann erhalten, der ihn offenbar fürs Nichtstun bezahlte.

Auch in Dresden muss F. irgendwie wichtig gewesen sein. Nach wenigen Monaten in einem Restaurant habe er als Sekretär beziehungsweise Chauffeur seines Chefs gearbeitet, viele bedeutende Menschen kennengelernt. 1.000 DM monatlich, freie Kost, Wohnung gestellt und als privaten Dienstwagen einen Mercedes 600 will er für eine Stunde Arbeit am Tag erhalten haben. So sei es gekommen, dass er von der Gastronomie in die Immobilienbranche wechselte, und eine Baufirma leitete.

Kein Wort zu seinen Haftstrafen

Dass er Freundinnen hatte, spricht er kurz an; anders als in den vielen Verästelungen seines Lebens, über die er sehr detailreich berichtete, erzählte er zu seinen Beziehungen jedoch  wenig. Von seinen Gefängnisaufenthalten zu berichten, sparte er sich ganz. Kein Wort, warum er bereits in Frankreich in Haft gewesen ist, kein Wort zu seiner mehrjährigen Haftstrafe in Dresden wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und Körperverletzung in den 90ern.

Der Vorsitzende Richter Herbert Pröls hat den Angeklagten immer wieder unterbrochen und gebeten, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf Dinge, die in diesem Verfahren relevant seien. Es half nichts. F. fiel auch dem Richter mehrfach ins Wort, und beharrte darauf, dass alles bedeutend sei.

Häusliche Gewalt - Erfindung seiner Frau?

Am Nachmittag kam er langsam auf die Beziehung zu seiner Noch-Ehefrau zu sprechen, einer 27-jährigen Senegalesin. Noch immer schilderte F., was er alles für die Frau, ihre Familie in Afrika und seine beiden Kinder getan habe. „Ich würde alles für meine Kinder tun“, sagte er wörtlich. „Auch wenn sie jetzt nicht mehr da sind, denke ich jeden Tag an sie.“ Kein Wort davon, dass die Staatsanwaltschaft ihn für den Tod seines zwei Jahre alten Mädchens und seines fünf Jahre alten Sohnes verantwortlich macht.

Laut Anklage sei die Trennung von seiner Frau und der Streit um das Umgangsrecht der Anlass für die brutale Tat gewesen. Der Täter habe die Kinder am Nachmittag oder frühen Abend des 9. Mai 2019 erwürgt und ihnen schnell härtenden Bauschaum in den Rachen gesprüht. Tatort ist F.s Anwesen an der Stetzscher Straße in der Dresdner Neustadt. An jenem Abend soll F. darüber hinaus auch versucht haben, seine Ehefrau zu töten.

"Ich sehe mich nicht als Patriarch"

F. versuchte den Vorwurf seiner Frau und weiterer Zeugen, er sei ein Haustyrann gewesen, der seine Frau eingesperrt und total kontrolliert haben soll, zu widerlegen. „Ich sehe mich nicht als Patriarch“, sagte der Angeklagte, vielmehr habe er aus Verantwortung gehandelt. Er habe seine Frau auch nie eingesperrt. Allerdings habe er ihr immer wieder klar machen wollen, dass sie zunächst die deutsche Sprache erlernen müsse, ehe sie sich eine Arbeit suche – schon um nicht ausgebeutet zu werden. Seine Frau habe immer Arbeiten wollen, damit sie ihrer Familie Geld nach Hause schicken könne. Die Frau habe jedoch nie eine Sache zu Ende gebracht.

Bemerkenswert ist, dass F. seine Frau gewarnt haben wollte, in eine Disko in der Neustadt zu gehen. In der Katharinenstraße wimmle es von Drogendealern, habe er ihr gesagt. Sie müsse aufpassen, wohin sie gehe. Diese Warnung klingt kurios, weil F. selbst auch vorgeworfen wird, als Kurierfahrer für einen Bekannten knapp zwei Kilogramm Crystal aus Polen nach Deutschland geschmuggelt zu haben. Bei der letzten Fahrt Anfang Januar 2019 wurde er auf frischer Tat erwischt - und musste schon dafür eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren Haft wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln fürchten. Auch dazu schwieg er am Dienstag.

Laurent F. widersprach auch dem Vorwurf, seine Frau geschlagen zu haben. Den Anlass, der schließlich dazu geführt hatte, dass ihn die 27-Jährige mit den Kindern verlassen hatte und in ein Frauenschutzhaus zog, stellte er als eine Intrige der Frau dar. Auch am Nachmittag hatte das Gericht die Einlassung F.s mehrfach unterbrochen, um ihn klarzumachen, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Erfolglos. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.

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