Von Doreen Reinhard
Der Abend geht in die letzte Runde. Das Kinderzimmer ist dunkel, die Spielzeugautos sind vor dem Bett eingeparkt, und Fabius schläft ein, bevor die Gute-Nacht-Geschichte zu Ende vorgelesen ist. Christian streicht seinem Sohn übers Haar und schleicht zur Tür hinaus. Zurück an den Küchentisch, wo er mit Matthias den Tag Revue passieren lässt. Wie war es auf Arbeit? Was hat Fabius in der Kita erlebt? Muss noch Essengeld für den nächsten Monat bezahlt werden? Und wer bringt gleich den Müll herunter? Szenen einer Ehe. Oder besser gesagt: einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.

Christian und Matthias sind seit 16 Jahren ein Paar. Sie haben geheiratet und immer den Wunsch gehabt, eine richtige Familie zu werden. Vor drei Jahren sind sie schließlich Eltern geworden. Papa und Papi von Fabius, den sie direkt nach seiner Geburt adoptiert haben. „Diesen Schritt haben wir nie bereut, selbst in der schwierigsten Phase nicht“, sagt Christian. „Mit Fabius fühlen wir uns vollständig.“
Seit dem letzten Interview sind zwei Jahre vergangen. Aus den jungen Eltern sind routinierte Väter geworden, der Säugling ist jetzt ein kleiner Junge, der immer noch gern mit Autos spielt, mittlerweile in die Kita geht und gerade dafür sorgt, dass seine Väter am Küchentisch häufig über den pädagogischen Umgang mit der Trotzphase diskutieren. Banal normaler Familienalltag. Genauso haben sie es sich gewünscht. Mit einem Unterschied: Bald hat Fabius zwei richtige Väter. Nicht nur im Alltag, sondern auch auf dem Papier.
Im Februar hat das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss gefällt, auf den Matthias und Christian jahrelang gewartet haben. Künftig dürfen Lesben und Schwule, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, das Kind ihres Partners adoptieren, sodass es auch rechtlich zwei Elternteile hat. Bisher hatte Fabius nur einen Vater: Matthias. So steht es jedenfalls in seiner Geburtsurkunde. Die Entscheidung, wer diesen Part übernimmt, wurde pragmatisch gefällt, nach Kriterien wie in anderen Familien. Matthias konnte leichter aus seinem Job aussteigen und sich die ersten zwei Jahre komplett um Fabius kümmern.
„Als wir das Adoptionsverfahren durchlaufen haben, wurden wir natürlich als Paar geprüft“, erzählt Christian. Und am Ende als „geeignet“ eingestuft. Als die leibliche Mutter von Fabius über mögliche Adoptiveltern für ihr Kind informiert wurde, wählte sie Matthias und Christian aus – ein Glücksfall für das Paar. Auch wenn es mit der rechtlichen Grundlage der Adoption damals nur halbzufrieden war. Denn theoretisch hätte Christian als Vater keine Rolle gespielt. „Wenn Matthias etwas passiert wäre, hätte ich mich um Fabius nicht weiter kümmern können, sondern er hätte einen Vormund bekommen.“ Demnächst wird für Christian das Adoptions-Prozedere noch einmal von vorn beginnen – Hausbesuch vom Jugendamt empfangen, Stapel mit Führungszeugnissen, Arzt-Attesten und Einkommensnachweisen einreichen, und Fragen zur Vater-Kind-Beziehung beantworten. Reine Formalität. „Da muss ich eben noch mal durch“, sagt der der 40-Jährige. Routine ist das auch für die Behörde, aber trotzdem eine Besonderheit, denn bis heute wurden im Dresdner Jugendamt nur zwei Adoptionsverfahren von homosexuellen Paaren betreut.
Im Leben jenseits der Paragrafen hatte Fabius schon immer zwei Väter, auch wenn diese bisher über einige Schriftstücke länger nachdenken mussten als andere Paare. „Theoretisch hätte ich bei allen Anträgen immer die Spalte ,alleinerziehend‘ ankreuzen müssen“, erzählt Matthias. Praktisch haben sie die letzten drei Jahre als angenehm unkompliziert erlebt. „Es hat nie irgendeine Zurückweisung gegeben“, sagt Matthias. Sie haben sich als Homo-Paar mit Kind nicht als besonders empfunden, nicht auf dem Spielplatz, nicht beim Elternabend. Vielleicht ein Ergebnis ihrer Strategie. „Wir sind von Anfang an offensiv als Paar aufgetreten“, sagt Matthias. Um Klarheit zu schaffen und keinen Fragen aus dem Weg zu gehen. Denn die gibt es nun mal, und damit können sie leben. „Ich habe Verständnis dafür, dass einige Menschen unsere Konstellation skeptisch betrachten“, sagt Christian. „Aber ich erwarte, dass man sich damit auseinandersetzt und uns nicht im Vorhinein verurteilt.“ Dass man Argumente dafür findet, warum gerade sie schlechtere Eltern sein sollen.
Eines sind Matthias und Christian auf jeden Fall: gut vorbereitet. Sie haben unter anderem einen Leitfaden ausgearbeitet, den sie bisher in jeder Kinderkrippe und Kita auf den Tisch gelegt haben. Zwei Seiten mit allen Fragen, die auftauchen könnten, und ihren Antworten darauf. Darin werden zum Beispiel die Hintergründe von Fabius Adoption geklärt: „Klar, Fabius hat auch eine leibliche Mutter. Wir nennen sie Bauch-Mama.“ In seinem Kinderzimmer hängt ein Foto von ihr, außerdem treffen sie sich zweimal im Jahr, um losen Kontakt zu halten. Und es geht in dem Fragebogen um Details, die für Verwirrung sorgen könnten. Kann man mit Fabius Kinderlieder singen, in denen das traditionelle Familienmodell ,Mutter, Vater, Kind‘ vorkommt? – „Natürlich, er kennt genügend Familien mit Mama und Papa, aber auch andere Familienmodelle.“ Und was ist eigentlich mit dem Muttertag? Darf Fabius dafür Geschenke basteln? – „Warum denn nicht? Das Geschenk ist dann eben für die Oma, Tante oder Taufpatin. Idealerweise bastelt er zum Vatertag zwei Geschenke.“
Seit einer Weile besucht Fabius einen christlichen Kindergarten. Seine Väter haben überlegt, ob dieses Modell mit ihrem Lebensentwurf zusammenpasst, sind nun aber positiv überrascht, dass es keinerlei Vorbehalte gibt. Trotzdem haben sie noch einen neuen Punkt in ihrem Leitfaden hinzugefügt: „Homosexualität ist für die Kirche noch immer ein schwieriges Thema. Es ist für Fabius wichtig zu erfahren, dass er und auch seine beiden Papas von Gott gewollt und geliebt werden – so, wie sie sind.“
Während um den Dreijährigen viele Gedanken kreisen, weiß er selbst noch nicht, dass er in einer besonderen Familie groß wird. „Für ihn ist unsere Konstellation normal“, sagt Christian. Es werden Fragen kommen, auch darauf sind sie vorbereitet. „Aber vielleicht spielt nicht der Punkt eine Rolle, dass er zwei Papas hat, sondern eher das Thema ,Adoption‘.
Bis dahin wird viel passieren, das hoffen die beiden Väter jedenfalls. Der Adoptionsbeschluss des Verfassungsgerichts war ein Schritt, aber sie warten schon auf den nächsten – auf die Gleichstellung von Homo-Ehen beim Steuerrecht. Bis das Gesetz wirklich diskutiert wird, tun sie einfach, als würde es bereits existieren. In den letzten zwei Jahren haben sie bereits gemeinsame Steuererklärungen beim Finanzamt abgegeben – die natürlich abgelehnt wurden. Dagegen haben sie Widerspruch eingelegt und sich erst mal damit abgefunden, dass die Verfahren ruhen. Matthias und Christian haben einen langen Atem. Sie wissen, dass sie auf das Leben, das sie sich wünschen, eben länger warten müssen.