Von Michaela Widder
Irgendwie beruhigt die Frage. „Papa, wo fahren wir nächstes Wochenende noch mal hin?“ Für Lennox Lehmann ist im Moment noch nicht interessant, wo das nächste Rennen stattfindet, wie die Konkurrenten heißen, sondern, dass er wieder auf seiner kleinen Maschine sitzt und Gas gibt. Von Montag bis Donnerstag ist der Zehnjährige ein Schuljunge wie jeder andere in seinem Alter, der sich am Nachmittag mit seinen Kumpels zum Fußball trifft oder mit dem BMX-Rad durch Dresden düst. Wenn jedoch das Wochenende bevorsteht, dreht sich bei Familie Lennox alles nur noch um das große Hobby des Sohnes.
Der ist Motorradrennfahrer und gehört in seinem Alter zu den Schnellsten in Sachsen. Seit April ist die Familie fast jedes Wochenende an einer anderen Rennstrecke unterwegs. „Das ist einfach cool. Motorradfahren fetzt“, sagt der Viertklässler. Man könnte meinen, dass Lennox aus einer motorsportverrückten Familie stammen muss. Aber erst ein Freund der Eltern hat ihn 2014 zu einer Testfahrt eingeladen, schon eine Woche später fährt er sein erstes Testrennen. Seine erste Maschine, ein Pocket Bike, sieht aus, als haben es seine Eltern in der Spielzeugabteilung gekauft. Und wörtlich übersetzt ist es auch ein Taschenmotorrad. Im Herbst hat Lennox in Oschersleben damit sein erstes Rennen gewonnen.
Mit über hundert Sachen
In dieser Saison stieg er auf die größere Maschine um – eine Honda mit acht PS – und fuhr bei den Einsteigern im ADAC Minibike Cup. Mit zwei zweiten Plätzen überraschte er gleich die Konkurrenz. Wie schnell die 80-Kilo-Maschine fahren kann, hat er im Winter in Spanien getestet, als er Spitzengeschwindigkeiten bis zu 130 Stundenkilometern erreichte. „Wenn Lennox mit dem Fahrrad durch Dresden fährt habe ich mehr Angst, als wenn er mit dem Motorrad auf der Rennstrecke ist“, sagt Vater Tobias, obwohl er schon ein paar Stürze seines Jungen auf dem Asphalt miterlebt hat. Den bereits jetzt sehr aufwendigen Rennsport kann Lennox nur betreiben, weil der 37-jährige Vater und seine Frau Manja darin aufgehen, ihren Sohn zu unterstützen.
„Es dreht sich bei uns alles ums Motorrad. Das ist schon ein riesiger Aufwand. Lennox weiß das auch“, sagt Tobias Lehmann. „Aber vieles kann er doch noch gar nicht einschätzen, soll er auch gar nicht.“ Oberste Priorität hat die Schule. Dennoch kommt es schon vor, dass die Eltern für ihren künftigen Gymnasiasten eine Freistellung beantragen, weil das Rennwochenende schon am Freitag beginnt. „Es muss aber alles mit der Schule passen“, findet der Vater. Mit dem Wohnwagen fährt die Familie zu den Rennen, die auf Kartbahnen stattfinden. „Ein Zeittraining und dann zwei Rennen sind für die Kids echt anstrengend“, findet Tobias Lehmann. Der ADAC organisiert dort morgens um sieben Uhr gemeinsamen Frühsport, damit sich die Nachwuchsfahrer zumindest aufgewärmt auf ihre Maschinen setzen. Um das Technische kümmert sich der Vater, obwohl er selbst nicht Motorrad fährt. „Ich habe anderen über die Schulter geschaut, viel nachgelesen und nachgefragt.“ Zwischen den Rennläufen spielen die Jungs sogar noch Lego miteinander. „Wenn der Helm auf ist und die Motoren an sind, dann werden sie zu Gegnern“, sagt Tobias Lehmann. „Es ist aber auch cool zu sehen, wie sich die jungen Kerle gegenseitig trösten oder Fachgespräche führen.“ Wie die Profis bekommen selbst die jüngsten Sieger schon die obligatorische Sektflasche – natürlich mit alkoholfreiem Inhalt.
Der Vater ist nicht nur Mechaniker, er ist auch Motivator und Manager. Tobias Lehmann pflegt die Facebook-Seite seines Sohnes, kümmert sich um Sponsoren und Presseanfragen. Außerhalb der Motorsportszene könnte er verstehen, wenn Leute schon mal mit dem Kopf schütteln. Doch ohne finanzielle Unterstützer ist dieser Sport unmöglich. Eine Rennmaschine kostet 5 000 Euro, ein Satz Reifen, der nach zwei Veranstaltungen abgefahren ist, 150 Euro, eine Lederkombi, aus der Lennox schnell rauswächst, 400 Euro. „Das meiste kaufen wir natürlich gebraucht“, erklärt Lehmann. Sein Sohn wird vom AMC Sachsenring-Team, für das er fährt, vom ADAC Sachsen, und zwei privaten Sponsoren unterstützt.
Trainingsmöglichkeiten gibt es in Dresden und Umgebung keine, und unter der Woche ist keine Zeit, dafür erst nach Bernsgrün oder ins tschechische Cheb zu fahren. „Vieles probiere ich aus oder lerne es bei den Rennen. Und Dirk Heidolf hilft uns, die richtigen Bremspunkte zu finden“, sagt Lehmann Junior. Der frühere WM-Fahrer aus Chemnitz organisiert regelmäßig gemeinsame Trainingseinheiten für den Nachwuchs in Sachsen.
Die Geschwindigkeit und die Lust am Risiko dürften Lennox allerdings im Blut liegen. Mit drei Jahren steht er das erste Mal auf Abfahrtsski, nur kurze Zeit später fährt er schwarze Pisten hinunter, auf die sich nicht einmal sein Vater traut. „Ich habe nie Angst“, sagt Lennox. Dass er für die Rennen eine Grundfitness braucht, darauf achtet sein Vater. Oder anders gesagt: Er erinnert seinen Sprössling gern mal an die Liegestütze, Rumpf- und Kniebeuge – jeden Tag 25. Er muss klein anfangen, um seinem großen Vorbild Valentino Rossi, dem neunfachen Weltmeister, nachzueifern. Der Italiener hat mit elf sein erstes Rennen auf dem Minibike gewonnen. Bei Lennox Lehmann stehen schon jetzt so viele Pokale im Kinderzimmer, „dass es bald eng wird“. Eben ein Draufgänger mit Zukunft.