Von Stephan Schön
Die Warnung vor der Flut, sie kommt mit einem Kanonenschuss. Laut, weithin hörbar. Im Elbtal rettet sich, wer kann. 1799 war der Kanonenschuss die damals führende Warn-Technologie für die Menschen elbabwärts. Heute kommt die Warnung lautlos per Breitband aus dem Netz: Sachsen besitzt seit Dienstag das europaweit beste Hochwasser-Frühwarnsystem bei Starkregen. Das zumindest erklären dessen Macher. Mehrere Jahre Forschung waren dafür nötig. Das digitalisierte Wissen über die gesamte Landschaft, die Böden, die Vegetation darauf und natürlich die Wasserläufe machen dies erst möglich. Experten vom Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) sowie Wissenschaftler der TU Dresden haben dieses für jeden frei nutzbare Frühwarnsystem entwickelt.
Starkregenfälle nehmen in Sachsen nicht nur von der Häufigkeit her zu, sondern auch in der Stärke. Und wie die regionalen Klima-Analysen zeigen, bleiben sie auch nicht mehr nur auf die Sommermonate begrenzt. Kurze, aber extreme Regengüsse schütten auf einem oftmals nur wenige Kilometer großen Bereich ganze Monatsmengen an Wasser binnen Minuten herab. Diese Heftigkeit hat zerstörerisches Potenzial, so wie in Spitzkunnersdorf im vergangenen Jahr.
Das bisherige Problem war, dass Hochwasserwarnungen nur anhand der Regenmengen und Pegelstände der Flüsse gegeben werden konnten. Nun aber werden dank neuer Rechenmodelle und komplexer Landschaftssimulationen die Flächen jenseits der Flüsse mit einbezogen. Steilhang oder Mulde, nasser Boden oder trockener Lehm, Sand oder Fels, Bäume oder kahler Acker – all das hat Einfluss darauf, ob und wie schnell ein Starkregen zum Hochwasser wird. „Es geht hier nicht um die Warnung vor dem Starkregen an sich“, sagt Uwe Müller, Abteilungsleiter im Landesumweltamt. „Es geht hier um die Warnung vor den Folgen.“ Und das sind vor allem Wassermassen und Schlamm. „Wir schließen damit eine Lücke zwischen den Wetterwarnungen und den Hochwasserwarnungen.“ Technologisch gesehen bewege sich diese sächsische Prognose an der Grenze zum derzeit technisch Machbaren. Europaweit sei dies einmalig, sagt Uwe Müller.
Sachsen wurde dafür in 16 geografische Regionen aufgeteilt. Für die wird nun 24 Stunden im Voraus das Risiko berechnet. Ständig kommen neue Daten ins System, alle drei Stunden gibt es daher eine aktuelle Berechnung mit regionalen Warnungen in fünf Gefährdungsstufen von grün wie gefahrlos bis violett wie verheerend. Seit März 2016 testen und verbessern die Wissenschaftler bereits ihre Rechenmodelle mit dem Ergebnis: Bei 85 Prozent aller Fluten durch Starkregen hatten sie mit ihren Warnungen richtig gelegen. Auch die verheerende Flut vom Mai 2017 in Spitzkunnersdorf hatte das Frühwarnsystem vorab erkannt, aber es befand sich damals noch in einer frühen Testphase.
Insgesamt gab es beim Probebetrieb im vergangenen Jahr nur in einem Prozent aller Warnungen einen falschen Alarm. Die Wissenschaftler appellieren an die Bürger: Hinsehen und ernst nehmen! „Es kann keiner in Sachsen mehr sagen, ich habe es nicht gewusst“, sagt Müller. Auf den Internetseiten der Hochwasserzentrale sind diese Daten automatisch abrufbar. Ab kommendem Jahr werden diese sächsischen Frühwarnungen auch in die bundesweite MeinePegel-App integriert. Dann warnt das Handy und nicht nur im Elbtal.
Hier finden Sie die interaktive Karte des Hochwasser-Frühwarnsystems vor Starkregen in Sachsen. Mit der Maus darüber gehen und regionale Prognosen ansehen: