Dresden
Merken

"Dresden darf nicht vergessen"

Die Stadt gedenkt dem rassistisch motivierten Mord an Marwa el-Sherbini. Könnte nun, zehn Jahre nach der Tat, ein Platz nach ihr benannt werden?

Von Melanie Schröder
 4 Min.
Teilen
Folgen
Oberbürgermeister Dirk Hilbert und Aiman Mayzek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime,  gedenken dem Mord an Marwa el-Sherbini.
Oberbürgermeister Dirk Hilbert und Aiman Mayzek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, gedenken dem Mord an Marwa el-Sherbini. © René Meinig

Da ist immer noch Sprachlosigkeit. 20 Minuten dauert es, bis alle weißen Rosen vor dem Bild Marwa el-Sherbinis niedergelegt sind. Ihr Porträt verschwindet allmählich hinter dem Blumenberg. Unterhaltungen werden im Flüsterton geführt. Selten sind so viele Menschen zur jährlichen Gedenkveranstaltung ins Dresdner Landgericht gekommen. Aus London ist ein BBC-Reporter angereist, auch Berliner Initiativen sind vor Ort – neben dem Zentralrat der Muslime auch die junge Islamkonferenz. Auf den schwarzen T-Shirts der Gruppe steht „Haltung statt Herkunft.“

Aufgrund ihrer Herkunft wurde genau hier vor zehn Jahren die junge Ägypterin Marwa el-Sherbini während einer Gerichtsverhandlung ermordet. Als sie den Zeugenstand verließ, stach der wegen fremdenfeindlichen Äußerungen von ihr Angeklagte Alex W. mit einem Messer auf die junge Mutter ein. Sie starb, ihr Mann wurde schwer verletzt, der dreijährige Sohn musste das rassistisch motivierte Verbrechen mit ansehen. Es ist eine Erinnerung, die man gern löschen würde, sagt Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) im Foyer des Landgerichts leise. Die Grausamkeit der Tat betrübe noch heute. Sie sei kein Einzelfall des Fremdenhasses in Dresden, sagt er und verweist auf die Ermordung des Mosambikaners Jorge Gomondai im Jahr 1991, auf hitzig geführte Asyldebatten seit 2015. Entschlossen für Weltoffenheit eintreten – das sollten engagierte Dresdner deshalb weiterhin. Die Missachtung, Ausgrenzung anderer dürfe nicht toleriert werden. „Handeln wir im Alltag mit Zivilcourage, seien wir weiterhin aufmerksam und aktiv“, appelliert er.

Im Foyer des Dresdner Landgerichts wird Marwa el-Sherbini gedacht. Am Montag jährte sich der rassistisch motivierte Mord an der jungen Ägypterin. 
Im Foyer des Dresdner Landgerichts wird Marwa el-Sherbini gedacht. Am Montag jährte sich der rassistisch motivierte Mord an der jungen Ägypterin.  © René Meinig

Um ein sichtbares Zeichen zu setzen, fordern die Stadtratsfraktionen von SPD, Grünen und Die Linken nun, den Park vor dem Dresdner Landgericht in „Marwa El-Sherbini Park“ zu benennen. „Der Platz soll Ort der Mahnung und Erinnerung sein. Er soll daran erinnern, dass wir mehr Toleranz und mehr Akzeptanz im Umgang miteinander brauchen“, heißt es. Dresden dürfe sich kein Klima des Rassismus und der Vorurteile leisten. Vielfalt sei eine Bereicherung. "Dresden darf das, was Marwa passiert ist, niemals vergessen.“

„Es wäre für die Stadt Dresden eine starke und weltoffene Geste“, erklärt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, zu dem Vorstoß. Bereits vor Jahren wurde über angemessene Formen des Gedenkens diskutiert – unter anderem über eine Straßenbenennung. Letztlich wurde ein „Marwa el-Sherbini“-Stipendium ausgelobt. Ziel des Programms ist es, künftige Führungs- und Fachkräfte zu fördern, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, politisch engagiert sind und sich für Demokratie sowie die Grund- und Menschenrechte aktiv einsetzen.

Marwa el-Sherbini wurde 2009 im Dresdner Gericht ermordet. Der Täter Alex W. war von der jungen Muslime selbst angeklagt wurden - wegen rassistischer Beleidigungen.
Marwa el-Sherbini wurde 2009 im Dresdner Gericht ermordet. Der Täter Alex W. war von der jungen Muslime selbst angeklagt wurden - wegen rassistischer Beleidigungen. © René Meinig

Aktuell ist Youmna Fouad Stipendiatin. Die 29-Jährige steht vor der Gedenkveranstaltung mit Tränen in den Augen vor dem Gerichtsgebäude. Sie berühre dieser Tag immer wieder emotional, sagt sie. „Immer denke ich, ich könnte an ihrer Stelle sein.“ Rassismus sei ein globales Phänomen, das sich in Ostdeutschland dennoch stärker zeige. Nicht nur Muslime seien betroffen, betont Fouad. „Terroristin“, „Verpiss dich von hier“ bekomme sie selbst zu hören. Sie hoffe, dass sie Menschen einander näher bringen kann, indem sie für Frieden und Miteinander eintritt. Dresden sei eine schöne Stadt, in ihrem Umfeld an der Universität werde Vielfalt problemlos gelebt. Aber: Es bleibe eine stete Aufgabe, Zivilcourage im Alltag zu zeigen, Unrecht zu benennen und sichtbar dafür einzutreten, friedlich miteinander zu leben.

Youmna Fouad rührt der Gedenktag immer wieder. Die 29-Jährige erklärt: „Immer denke ich, ich könnte an ihrer Stelle sein.“
Youmna Fouad rührt der Gedenktag immer wieder. Die 29-Jährige erklärt: „Immer denke ich, ich könnte an ihrer Stelle sein.“ © René Meinig

Leise Kritik äußert Aiman Mazyek am Gedenktag. Er erklärt, die Familie hätte stärker in den Prozess eingebunden werden können. Der Zentralrat habe einen Kontakt zum Bruder Marwa el-Sherbinis hergestellt. „Die Geschichte sollte stärker aus der Perspektive der Familie erzählt werden.“ Um das Andenken an die engagierte Ägypterin wach zu halten, lobt der Zentralrat zudem einen Preis aus. Der internationale Marwa el-Sherbini Preis für Zivilcourage soll Ende dieses Jahres vergeben werden. Die Preisträger stehen bereits fest: Unter anderem soll Mevlüde Genc geehrt. Sie verlor bei einem Brandanschlag in Solingen 1993 ihre Familie. Zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte kamen bei dem Attentat ums Leben. Hass und Zerstörung sei sie mit Barmherzigkeit und Versöhnung entgegen getreten, das mache sie zu einer Botschafterin des Friedens und der Zivilcoruage.

Geehrt wird auch Farid Ahmad. Im März dieses Jahres verlor der 44-Jährige seine Frau bei dem Angriff auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch. Bei dem Angriff wurden 51 Menschen getötet. Die Worte Ahmads nach der Tat hätten sich tief ins Gedächtnis eingebrannt, so Mazyek: „Liebe statt Hass – Vergebung ist das Beste, Großzügigkeit, Liebe und Fürsorge.“ Diese Worte seien ein Beispiel menschlicher Größe. Auch Marwa el-Sherbini habe Zivilcourage gezeigt. Nachdem sie auf einem Dresdner Spielplatz von Alex W. beleidigt wurde - auch, weil sie ein Kopftuch trug - rief sie die Polizei, die Sache kam vor Gericht. Sie habe nicht weggeschaut, sondern sei selbstbewusst für ihren Lebensentwurf eingetreten. Diese Form der Zivilcourage soll geehrt werden. "Der Preis ist ihre Hinterlassenschaft", so Mazyek.