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Dresden – Wroclaw in dreieinhalb Stunden

Die Bahn verbindet seit März zwei europäische Kulturstädte. Die SZ hat sich für einen Tag unter die Fahrgäste gemischt.

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Von Marcel Pochanke

Es ist Sonntagmorgen im Regionalexpress von Dresden nach Wroclaw. In Görlitz übernimmt Jan Bergmunda den Platz im Führerhaus von seinem deutschen Kollegen. Die Begrüßung ist überaus herzlich, „Dzien Dobry“ lachen beide. Sobald Bergmunda aber losgefahren ist und sich dem Viadukt über die Neiße nähert, zeigt ihm der Zug die Zähne. Ein Alarmsignal schrillt immer wieder weit in den Fahrgastraum hinein.

Bergmunda bewegt den Richtungshebel vor und zurück, um die Sicherung zu überlisten. Die linke Hand bearbeitet einen Druckknopf, signalisiert so dem System „Alles in Ordnung, ich kontrolliere den Zug.“ Dennoch benimmt sich der Siemens Desiro wie ein störrischer Esel, beschleunigt, bremst, beschleunigt, bremst. Für das Neißeviadukt, eine der größten und ältesten Eisenbahnbrücken Deutschlands, hat Bergmunda keinen Blick. Endlich, kurz vor dem Bahnhof Zgorzelec, gehorcht ihm der Wagen ganz so wie er soll.

Die Polnische PKP und die Deutsche Bahn benutzen unterschiedliche Zugsicherungssysteme, die eine automatische Bremsung einleiten, wenn der Lokführer zu schnell fährt oder ein Signal ignoriert. Kommunikationsprobleme gibt es eben nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Eisenbahnnetzen.

Herausgeputzte Bahnhöfe

Die polnische Landschaft vorm Fenster unterscheidet sich kaum, Wälder, Felder und kleinere Siedlungen wechseln einander hüben wie drüben ab. Feinheiten fallen auf, so sind die Ackerflächen in Polen kleiner parzelliert und viele Bahnhöfe regelrecht herausgeputzt. Auch die Ohren bekommen was geboten: Der Lokführer betätigt die schallende Hupe vor jedem Haltepunkt und Bahnübergang geradezu lustvoll, und die Schaffnerin meldet die Abfahrt an jedem Bahnhof mit einem gellenden Pfiff.

Das ist etwas für Eisenbahnliebhaber, und davon sind sonntags jede Menge unterwegs. Sie stehen unentwegt fotografierend auf Bahnsteigen, säumen die Brücken oder fahren für eine Station mit, einem ausgeklügelten Fahrplan folgend, um am Ende des Tages möglichst viele Verbindungen als „erlebt“ abhaken zu können.

Polnische Pendler profitieren

Natürlich nutzt die Mehrzahl der Reisenden die Bahn als Mittel zum Zweck. Und der besteht vor allem in schneller Beförderung. Etwa zwei Stunden spart man seit Inbetriebnahme der durchgehenden Verbindung, es entfällt das entnervende Suchen nach Anschlüssen zwischen Zgorzelec und Görlitz, besonders in den Abendstunden. Das wissen vor allem die polnischen Pendler zu schätzen. „Toll, das hat wirklich gefehlt“, kommentiert eine in Bautzen lebende Polin, die ihre Familie besucht. Sie verweist darauf, dass eine vergleichbare Verbindung schon einmal existierte, aber 2004, praktisch mit dem EU-Beitritt Polens, eingestellt wurde. Wegen der langwierigen Grenzabfertigung war die Strecke für Fahrgäste wenig attraktiv und entsprechend unrentabel. Erst durch den Wegfall aller Grenzkontrollen lohnt sich der Betrieb für die Bahn.

Im Nachbarland werden die Züge richtig voll, sind auch mal überfüllt. Sie sind schneller als die Konkurrenz von der polnischen PKP. Ein Teil der Zeitersparnis geht allerdings immer wieder wegen Verspätungen bis zu einer halben Stunde verloren. Das betrifft fast nur die Richtung Deutschland fahrenden Züge, pünktliche und unpünktliche Züge halten sich dabei die Waage. Auch hier hapert es noch an der Abstimmung. Anfragen der Deutschen Bahn zu den Ursachen werden von der PKP oft schleppend bearbeitet.

Im Auto nicht schneller

Schnelligkeit ist für die Thieles aus Moritzburg nicht mehr als ein technisches Detail. Auch sie gehören zu den Eisenbahnliebhabern. „Wir waren schon vor zwei Jahren mit dem Zug in Wroclaw, als man noch fünfeinhalb Stunden brauchte. Das war auch egal.“ Als „Profis“ wissen die Moritzburger um die Schwächen der hier eingesetzten Fahrzeuge. „Das ist eigentlich der falsche Zug, er ist zu klein, es gibt keine ausreichende Gepäckablage.“

Und die Sitze seien nicht für mehrstündiges Reisen ausgelegt. „Stimmt“, melden Hintern und Rücken. Die Schönheit der Stadt ließ Familie Thiele wiederkommen und diesmal bleiben. Es sind nicht Wenige, die auf einen Kurzbesuch nach Wroclaw kamen und alsbald für einen längeren Aufenthalt zurückkehrten. So auch die Wittenburgs, die aus Berlin mit dem Auto kamen. Und ab Görlitz nicht schneller als die Eisenbahn waren. „Wegen einer Baustelle haben wir für 30 Kilometer Umleitung 90 Minuten gebraucht“, erzählen sie. „Und die Karten aus dem Internet kann man oft vergessen.“

Die meisten kommen im Bus

Der Bus aber bleibt das Verkehrsmittel Nummer eins für die Reise nach Wroclaw. Aus ganz Deutschland kommen Gruppen, um ihre alte Heimat oder die ihrer Vorfahren zu sehen. Frau Gröschel führt eine solche Gruppe durch die barocken Säle der Universität. Sie betreibt ein kleines Reiseunternehmen in Thüringen, lebt von der Spurensuche im früheren Breslau. Ihr Wunsch ist es, „dass nicht nur Vertriebene oder Angehörige hierherkommen. Die Leute fahren nach Norwegen oder Marokko, aber hier denken sie nur: Das ist Polen, das ist nichts.“

Die Universität ist das neue Herz der Stadt. Die 150000 Studenten von Wroclaw sorgen für einen kulturellen Aufbruch und schaffen sich eine neue, selbstbewusste Identität. Das bestätigt ein Blick in die Cafés und jungen Galerien. „Die Älteren sind nie hier, aber unter den Jungen entwickelt sich ein ganz neues Interesse für Kunst“, erzählt etwa Marta Cwilinska, Inhaberin der Galerie Rewolucja.

Das muss sich in Deutschland noch herumsprechen. Indes fahren jüngere Reisende lieber nach Krakau. Beide Orte kennengelernt hat der Schweizer Walter Ochsenbein und dabei große Unterschiede ausgemacht. Dort, berichtet er, seien die Menschen auch aufgeschlossener gegenüber Deutsch sprechenden Fremden. Hier in Wroclaw seien die Reaktionen mitunter noch recht bissig. Auch der Schweizer ist hier auf den Pfaden seiner ehemals ausgewanderten Vorfahren unterwegs, die hier schon nach dem Ersten Weltkrieg alles verloren. Damals wurde Polen nach preußischer und russischer Knechtschaft praktisch neu gegründet, die fremd gewordenen Schweizer mussten gehen. „Wir wussten gar nicht, wie stark die Bewegungen der Völker hier insgesamt waren.“

Am folgenden Tag wird Ochsenbein weiterreisen. Richtung Dresden, mit dem neu bestellten Regionalexpress. Er wird sich unter polnische Pendler, deutsche Touristen und internationale Studenten mischen. Dass er in ein anderes Land fährt, wird er vielleicht an einem störrischen Rucken des Triebwagens merken. Wenn er nicht zu sehr abgelenkt ist durch den Blick vom Viadukt ins Neißetal zwischen Zgorzelec und Görlitz.

Fahrpreis: Sondertarif Dresden-Wroclaw

und zurück 39 Euro, Familien 59,

Gruppen bis fünf Personen 79 Euro

www.bahn.de

www.rozklad.pkp.pl (deutsche Übersetzung)